Tetris, Drogen, große Kunst: Der Kopf von Amedeo Modigliani
Heute geht es um wirklich wichtige Themen: Tetris, Drogen und große Kunst. Was wollt ihr mehr? Richtig nix. Es geht um Amedeo Modigliani – klingt wie ein guter Rotwein, ist aber ein Künstler und was für einer! In der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe befindet sich seine Skulptur mit dem knackigen Titel Kopf. Was die mit einer Stretchlimousine und Altglascontainern zu tun hat – darum geht‘s jetzt. Viel Spaß!
Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.
Schaut euch die Skulptur, um die es jetzt geht, gerne an – in den Shownotes ist ein Link zur Abbildung. Und normalerweise würde ich euch das Werk jetzt erst mal beschreiben. Aber heute machen wir es anders, einfach weil ich wild drauf bin. Wir starten so:
Wer hat‘s gemacht? Künstler/in im Spotlight
Amedeo Modigliani ist der Stereotyp eines Künstlers. Er hat Opium genommen, in bitterer Armut gelebt, war krank, hat sich trotzdem Exzess gegeben, ist früh gestorben, hat zu Lebzeiten kaum Anerkennung bekommen, Skandale provoziert. Wenn man seine Biografie liest, denkt man nur: „Übertreib’s doch nicht!“
So, aber wer war Amedeo Modigliani überhaupt? 1884 wird er in Italien geboren. Aus gesundheitlichen Gründen bricht er dann die Schule mit 14 ab. Stattdessen kriegt er Zeichenunterricht, verbringt einige Zeit in Florenz und Venedig und zieht dann mit Anfang 20 nach Paris, genauer gesagt nach Montmatre. Ich war da mal mit einem Freund, man kann wunderbar in Montmatre Essen gehen, mittlerweile ist es ein richtig schönes Viertel, aber damals war das so ein richtiges Elendsviertel von Paris. Aber damals war es auch der Mittelpunkt der Kunstwelt. Modigliani kannte das who is who. Trotzdem gehörte er nie einer Stilrichtung an. Kunsthistoriker*innen hassen diesen Trick! Er passt in keine Schublade. Modigliani ist die blaue Proseccoflasche, mit der du vor dem Altglascontainer stehst und verzweifelst. Er passt nirgends rein.
Modigliani hatte in Paris dann einige Ausstellungen, wurde ein bisschen bekannter, aber dann erkrankt er an Tuberkulose, wie schon zuvor. Er hatte auch zeitlebens ein Lungenleiden – dagegen wurde ihm sogar Haschisch verschrieben. Interessante Wahl. 1920 stirbt Modigliani dann. Er wurde gerade mal 35 Jahre alt, aber er hinterließ ein großes Werk und dazu gehört eben auch der Kopf aus der Kunsthalle Karlsruhe.
Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung
Die Skulptur von Modigliani ist 64 cm hoch und zeigt einen Kopf mit Hals aus Stein. Was sofort auffällt: Das Gesicht wirkt wie eine Maske. Alles ist sehr vereinfacht, alles reduziert auf geometrische Formen. Es wirkt ein bisschen wie Gesichts-Tetris. Einfache, klare Bausteine. Und eine andere Sache, die typisch für Modigliani ist: Das Gesicht ist ungewöhnlich in die Länge gezogen. Der Hals ist viel zu lang, das Gesicht ist viel zu lang und schmal – das ist die Stretchlimousine unter den Gesichtern.
Dieser Kopf hat keine individuellen Züge, das ist kein exaktes Porträt. Das ist eher ein allgemeines Formenspiel. Alles ist sehr klar umrissen. Die Nase ist viel zu lang und dreieckig. Das wäre eine super Rampe im Skatepark. Die Augen sind mandelförmig und stehen hervor. Der Mund ist super schmal, so eine kleine runde Form, als hätte man die Lippen geschürzt. Die Stirnfalten wiederrum sind eingeritzt und der Haaransatz auch. Die Skulptur scheint lange Haare zu haben, aber der Teil vom Stein ist nicht wirklich bearbeitet.
Insgesamt komm die Skulptur also sehr gradlinig und elegant daher. In einer minimalistisch eingerichteten Wohnung würde die richtig gut kommen. Aber die Skulptur gehört ja der Kunsthalle Karlsruhe.
Wie wurde das Werk beeinflusst? Interessante Inspirationen
Ich kenne echt wenige Künstler haben, die sich so breit haben inspirieren lassen wie Modigliani. Er wurde beeinflusst von afrikanischer, ozeanischer, indischer, asiatischer und europäischer Kunst. Bäm! Das ist Weltoffenheit.
Ich habe ja schon gesagt: Die Skulptur wirkt wie so eine Maske. Hier war Kunst von der Elfenbeinküste ein wichtiger Einfluss – und zwar vom Stamm der Baule. Googlet mal Baule Kunst, dann seht ihr die Masken und Skulpturen von diesem Stamm. Da sind die Formen sehr klar und vereinfacht. Da fügt sich alles harmonisch zusammen – wie bei Modigliani.
Anfang des 20. Jahrhunderts, als Modigliani in Paris war, war es Mode in Frankreich sich mit der Kunst der Kulturen der Welt auseinanderzusetzen. Frankreich war Kolonialmacht, Paris das Zentrum – logisch. Die Museen dort waren ja auch voll mit solcher Kunst. Modigliani hat allerdings nicht herabgeschaut auf diese Kulturen – er hat deren Kunst sehr bewundert.
Und wenn man Modiglianis Kopf aus Karlsruhe so anguckt, dann wirkt der durch diese einfachen Formen sehr zeitlos. Der könnte locker auch ein-, zweitausend Jahre alt sein. Kein Wunder, denn Modigliani hat sich auch an der griechischen Antike orientiert und auch an der Kunst der Khmer. In Kambodscha gibt es heute noch die berühmte Tempelanlage Angkor Wat. Die entstand in der Blütezeit der Khmer im 12. Jahrhundert. Da wurde übrigens auch Tomb Raider gedreht. Ich war vor einigen Jahren mal da: Mega beeindruckend. Und tatsächlich hat die Kunst der Khmer auch diese ruhigen, meditativen Gesichtsausdrücke wie bei Modigliani.
Und es gibt noch einen moderneren Einfluss – nämlich den Bildhauer Rodin, der hat zur gleichen Zeit wie Modigliani gelebt hat. Ich hatte ja vorhin erwähnt, dass ein Teil des Steins bei Modiglianis Kopf nicht bearbeitet ist. Der Hinterkopf. Und das war ein typischer Move von Rodin – Teile unfertig lassen, sodass es unsere Fantasie anregt. Und wie es der Zufall will, gibt es zu Rodin bereits eine Folge Kunstsnack. Die Nummer 3. Könnt ihr direkt im Anschluss an diese Folge hören.
Wer hätte das gedacht? Faszinierender Funfact
Modigliani war ziemlich arm. Er hätte sich den Kalksandstein für seine Skulpturen eigentlich gar nicht leisten können. Wie kam er also an sein Material? Es ist durchaus möglich, dass er den Stein geklaut hat. Auf Baustellen, denn in seinem Pariser Viertel wurde zu der Zeit viel mit Kalksandstein gebaut und renoviert. Jugendliche nehmen ja heutzutage gerne nach Partys Schilder oder Leuchten von Baustellen mit. In Paris haben sich Bildhauer*innen stattdessen an Steinen bedient. Also vielleicht war der Stein für den Kopf aus Karlsruhe vorher ein Fenstersims, eine Treppenstufe oder ein Bordstein. Ein gutes Beispiel für einen steilen Werdegang: Von der Pariser Baustelle in die Kunsthalle Karlsruhe.
Ein weiterer spannender Fakt zu Modigliani: Es gibt viele Fälschungen. Die Skulptur in Karlsruhe ist nachweislich ein Original, keine Angst, aber das ist nicht überall so.
1984 gab es, was Fälschungen angeht, einen besonders spektakulären Fall: Da tauchten in Livorno drei Skulpturen von Modigliani plötzlich auf. Livorno ist übrigens in Italien und der Geburtsort von Modigliani. Die Skulpturen fanden drei Studenten in einem Kanal. Die wurden da raus gefischt und die Fachwelt hat sich komplett drauf gestürzt. Das war ja ein unfassbarer Fund! Und dann kam die fette Klatsche: Ein paar Wochen später waren die drei Studenten, die die Skulpturen gefunden hatten, im Fernsehen. Und da kam raus: Das war alles nur ein Joke, die hatten die Fälschungen selbst gemacht… mit nur wenigen Stunden Arbeit. Kein Meisterwerk von Modigliani, sondern stümperhafter Stuss von Studenten. Eine richtige Blamage für die Fachwelt.
Kunst-Hotspot Karlsruhe
Dass ihr Modigliani im Original in der Kunsthalle Karlsruhe sehen könnt, ist wirklich krass. Es gibt nämlich insgesamt nur rund 25 Skulpturen von Modigliani überhaupt. Und generell gibt es nur ganz wenige deutsche Museen, die überhaupt Werke von Modigliani besitzen. Das ist echt ein Highlight in Karlsruhe.
Das liegt auch an den Preisen heutzutage. Was schätzt ihr, was kostet das teuerste Bild von Modigliani? Der war nämlich nicht nur Bildhauer, sondern auch Maler. 158 Millionen Euro! Das ist teurer als die 150 Millionen Euro Villa von Jeff Bezos. Aber man kennt ja die Wahl: Mega-Villa oder Modigliani. 2010 wurde eine Skulptur von Modigliani für 43,2 Millionen Euro versteigert. Und die sieht dem Kopf aus Karlsruhe ziemlich ähnlich. Also, läuft bei der Kunsthalle.
Damit sind wir für heute durch, vielen Dank für’s Zuhören. Ich hoffe, euch hat die Folge gefallen. In zwei Wochen geht’s weiter mit Kunstsnack, werft bis dahin bitte keine Fälschungen in irgendwelche Flüsse. Danke. Ciao.
Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.