Behind the scenes
Edgar Degas: Die Sängerin in einem Pariser Gartencafé
Ich war in meinem Leben in hunderten Museen, ich habe vor tausenden Bildern gestanden, aber so was habe ich noch nie gesehen. Ich weiß, ich klinge, als hätte ich grad ein neues Pokémon entdeckt, aber wirklich dieses Werk ist absolut outstandig: Die Sängerin in einem Gartencafé von dem Künstler Edgar Degas aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Und ich glaube, damit habe ich die Erwartungshaltung ordentlich geschürt. Also, viel Spaß mit Kunstsnack.
Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.
An diesem Kunstwerk ist so vieles so schräg: Am besten schaut ihr es euch kurz mal an – ein Link zu der Abbildung ist in den Shownotes. Da ihr aber jetzt höchstwahrscheinlich nicht nachguckt, erläutere ich euch alles in Ruhe. Die erste ungewöhnliche Sache an diesem Kunstwerk ist das Format. Und zwar ist das Bild rund, genau genommen ein Halbkreis. Es sieht ein bisschen aus wie eine halbierte Schallplatte, bei der man nur den schwarzen Teil mit den Rillen bemalt hat und in dem Halbrund in der Mitte ist keine Farbe. Ansonsten hat das Bild allerdings nichts mit einer Schallplatte gemeinsam, ich wollte nur alle Hipster mit ins Boot holen, weil die Schallplatten lieben.
Damit ihr mal ein Gefühl für die Größe bekommt: Das Kunstwerk ist etwa 60 cm breit und 30 cm hoch. Besonders ist auch das Material, und zwar ist das nicht auf Leinwand oder Papier gemalt, sondern auf feiner Seide. Warum nicht gleich aufn 500-Euro-Schein? Das ist schon echt ungewöhnlich edles Material. Aber natürlich auch praktisch, wenn man ein Bild im Notfall als Seidenschal benutzen kann.
Tatsächlich handelt es sich hier um ein sogenanntes Fächerbild. Allerdings ist der Fächer nicht gefaltet und man kann ihn auch nicht benutzen. Das Bild war dafür gedacht, dass man es sich an die Wand hängt – also die fancy Variante von einem Wandteller. Das hat man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in Japan gerne gemacht und japanische Kunst ist auch das zentrale Vorbild für dieses Werk.
1880 hat der Franzose Edgar Degas den Fächer geschaffen und damals war japanische Kunst vor allem in Frankreich sehr populär. Das ging teilweise so weit, dass Vincent van Gogh ein Motiv von dem Japaner Hiroshige quasi 1:1 in einem Bild übernimmt. Manche sprechen hier von Inspiration, ich nenne es Ideen-Klau. Aber das ist ein anderes Thema. Auch Degas hatte eine Sammlung an japanischen Farbholzschnitten und Fächern. Den Einfluss von japanischer Kunst auf westliche Künstlerinnen und Künstler nennt man auch Japonismus. In jedem kunsthistorischen Text muss ja mindestens ein Wort vorkommen, das auf -ismus endet – daher bitte schön Japonismus.
Kommen wir jetzt mal dazu, was auf dem Fächer von Degas überhaupt dargestellt ist. Das Werk heißt ja Sängerin in einem Pariser Gartencafé und der Titel ist tatsächlich recht treffend. Auf der rechten Seite sehen wir eine Frau von hinten. Sie trägt ein rotes Kleid und befindet sich gerade in einer schwungvollen Bewegung. Vor ihr sind diverse weiße Kugeln, vermutlich Lampen. Wir sehen sie also von hinten auf der Bühne – es ist quasi ein Backstage-Blick.
Der Rest des Bildes besteht aus unterschiedlich grünen Schattierungen und Flecken, die das Blätterdach über dem Konzertcafé darstellen. Nach links hin wird das ganze Werk immer abstrakter. Würde man nur die linke Hälfte des Werkes sehen, wüsste man gar nicht, was hier überhaupt dargestellt wird. Es sind nur noch ungegenständliche Farbwolken und damit eigentlich wieder ein klassisches Motiv für einen Seidenschal.
Degas fängt hier eine flüchtige Szene ein, einen beiläufigen Moment. Das ist typisch für den Impressionismus. Yes, der zweite Ismus in dieser Folge. Der Impressionismus war eine Kunstrichtung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und wie der Name schon sagt, ging es um Impressionen, also spontane Momentaufnahmen. Die wollte man einfangen.
Insgesamt weist das Motiv von Degas einige Aspekte auf, die sich auf japanische Kunst beziehen: Zum Beispiel ein Kontrast zwischen leerem und gefülltem Bildraum. Rechts auf dem Werk ist einiges los mit der Tänzerin und den Lichtern, links ist das Bild ziemlich leer. Degas‘ Fächer ist auch nicht wirklich räumlich, es gibt keine perspektivische Tiefe, alles ist recht flach. Auch das ist typisch für japanische Malerei. Genauso, dass die Figur unten einfach angeschnitten ist. Wie auf so einem Foto.
Ein weiterer Verweis auf japanische Kunst ist auch der Pfosten, der neben der Tänzerin ins Bild ragt. In Farbholzschnitten aus Japan ist das ein Gestaltungselement, das oft eingesetzt wird. In japanischen Häusern waren Pfosten wichtig, um die Architektur optisch zu gliedern und so wurde auch genau das in Bildern gemacht. Ist ja ähnlich, wie heutzutage mit Säulen. Geht mal durch ein Reichen-Viertel – da werden vor jedes noch so hässliche Haus Säulen geklatscht, um dem Bau zumindest irgendeine optische Struktur zu geben.
Degas hat sich also deutlich von japanischer Kunst beeinflussen lassen. Für ihn war das eine Möglichkeit, um künstlerisch über den Tellerrand zu schauen und einfach was Neues auszuprobieren. Degas war eh sehr experimentierfreudig, er meinte mal: „Glücklicherweise habe ich noch nicht meine Methode gefunden. Es würde mich nur langweilen“. Da könnte sich deutsche Schlagermusik mal ein Beispiel drannehmen.
Und ich denke, das ist eine gute Message zum Schluss, die mir am Herzen liegt. Und damit verabschiede ich mich. Wir hören uns wieder in zwei Wochen mit einer neuen Folge von Kunstsnack. Tschüss.
Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.