Kitsch oder Kunst?

François Boucher: Schäfer und Schäferin

Stellt euch vor, ihr seid mitten in idyllischer Natur. Stellt euch vor, euch umgibt der Geruch von Rosen, warmes Licht strömt vom oben herab, alles ist ruhig, alles ist easy. Und jetzt atmet tief ein… Nee, das hier ist kein billiger Meditationspodcast und diese heile Welt müsst ihr euch auch gar nicht vorstellen. Ihr könnt sie nämlich sehen – und zwar in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe auf dem Gemälde von François Boucher. Das Bild ist das pure Good Life und eine echte Oase im stressigen Alltag. Wobei diese Kunst nicht nur auf Gegenliebe stieß. Schauen wir uns das Ganze also mal näher an. Viel Spaß!

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Bevor ich anfange: Schaut euch das Bild, um das es heute geht, gerne in Ruhe an. In den Shownotes ist ein Link zur Abbildung. Ok, was ist auf dem Gemälde zu sehen? Eine Waldlichtung und in der Mitte ein Liebespaar. Das Motiv würde sich super eignen für eine cheesy Karte zum Valentinstag. Die Frau ist entspannt an die Brust des Mannes gelehnt. Er sitzt etwas erhöht und pflückt ihr gerade eine Rose, obwohl sie schon vier Rosen in ihrem Korb hat und zwei weitere an ihrem Kleid befestigt sind. Außerdem liegen noch vier Rosen zu ihren Füßen. Er hat ihr also schon 10 Rosen gepflückt, aber ist weiterhin komplett im Modus. Ich finde, er übertreibt seine Rolle als Rosenkavalier ein bisschen.

Das Gemälde trägt den Titel Schäfer und Schäferin. Passend dazu ist neben den beiden ein Schaf und auf der anderen Seite ein Hirtenstab. Damit es hier dem Titel entsprechend nicht zu einem Schäferstündchen kommt, liegt ein Anstandswauwau neben dem Liebespaar. Das ist ein Zwergspaniel, der alles beobachtet und hier für Sitte und Anstand sorgt, während der Mann die Frau mit Rosen bewirft. Man spricht bei so einem Bild übrigens von einer sogenannten Pastorale. Pastorale heißt nämlich Hirtenszene.

Auf dem Bild fällt auf, dass sowohl Schäfer als auch Schäferin ziemlich edle Kleidung tragen. Das ist irgendwie komisch. Es wirkt, als hätten Schauspieler*innen sich nicht ganz passend verkleidet. Der Maler Boucher spielt genau mit dieser Schwebe: Sind es nun Angehörige des Hofes oder einfache Landleute? Genauso unklar ist, wo sich die Szene auf dem Gemälde abspielt. Es scheint eine Art Wald zu sein, aber gleichzeitig sind rechts auf dem Bild antik aussehende Skulpturen. Ist es also wilde Natur oder ein Hofgarten?

Naja, insgesamt ist das Bild sehr fluffig und zart gemalt, als läge so ein ganz leichter Dunst auf allem. Die Farbtöne sind warm, die Szene ist lieblich und… ehrlich gesagt, ich finde, das Bild ein kleines bisschen kitschig. Es könnte auch problemlos auf einem Wandteller sein, der bei irgendwelchen Großeltern hängt. Entstanden ist das Bild 1760 und lag damals total im Trend, denn es war die Zeit des Rokoko.

Das Rokoko ist eine Kunstströmung im 18. Jahrhundert, die von Frankreich ausging und sich in ganz Europa ausbreitete. Die Malerei ist häufig verspielt und sinnlich. Es wird auf jedem Bild so ein locker-leichtes Lebensgefühl vermittelt. Man sieht die Menschen beim Schaukeln oder Lesen oder in trauter Zweisamkeit. Oft befinden sich die dargestellten Personen in prunkvollen, idyllischen Gärten. Auch werden viele mythische Szenen und Feierlichkeiten gemalt. Rokoko-Gemälde sehen vom Stil oft aus wie Rückblenden in Filmen, wenn sich Leute an ihre Kindheit erinnern – alles sehr hell und wie in Watte gehüllt. Wenn man Rokoko-Bilder anguckt, will man sofort Urlaub machen.

Den Ursprung hat das Rokoko in der Architektur, man wollte sich von dem eher formalen, geometrischen Stil von Ludwig dem XIV. abgrenzen. Also wurde alles verspielter und heiterer. Der Name Rokoko kommt von der Rocaille. Das ist ein Ornament, das aussieht wie eine geschwungene Pflanze oder wie Muscheln. Denkt mal an einen goldenen, üppig verzierten Spiegel – so wie der Rahmen, den ihr vor eurem inneren Auge habt, sieht eine Rocaille aus. Das sind quasi fancy Schnörkel. Im Französischen heißt Rocaille „Muschelwerk“ und vieles im Rokoko wurde   mit Muscheln verziert. Auch der Maler Boucher sammelte Muscheln und studierte sie.

Das Rokoko war im 18. Jahrhundert sehr beliebt, aber nicht bei allen. Manchen waren die Rokoko-Bilder zu weltfern. Die Szenen hatten in ihren Augen wenig mit der Realität zu tun und waren eher Sehnsuchtsorte – ein bisschen wie das Disney Land der Kunst. Das kann man bei dem Karlsruher Bild Schäfer und Schäferin nachvollziehen. Hier wird ja keine wirkliche Hirtenszene gezeigt, sondern eine idealisierte Darstellung. Das ist nicht das harte Landleben, sondern eine romantische Vorstellung davon. Es ist ein bisschen so, wie sich Leute in der Stadt das Leben auf dem Land vorstellen.

Zurück zum Rokoko: Vor allem im Nachhinein betrachtete man das Rokoko als dekadente, oberflächliche Kunst. Erst im 19. Jahrhundert wurde das Rokoko neu bewertet – vor allem von Künstler*innen. Die mochten die sorglosen und vergnüglichen Szenen und ließen sich davon inspirieren. Auch François Boucher, der Maler von dem Bild in der Kunsthalle Karlsruhe, war viel Kritik ausgesetzt. Zum Beispiel der Philosoph Denis Diderot meinte „Boucher zeige nur Brüste und Hintern und verkehre bei den Prostituierten der unteren Klassen.“ Die beiden, Boucher und Diderot, waren wohl nicht so gute Freunde.

An dieser Stelle kurz ein paar Infos zu dem Künstler François Boucher: 1703 wurde er geboren. Boucher stammte aus einfachen Verhältnissen und wurde zu einem der einflussreichsten Künstler seiner Zeit. Er war Hofmaler des französischen Königs und prägte den Geschmack europaweit. Man muss echt sagen: Lief bei Boucher. Er war ein vielseitiger Künstler. Boucher machte nicht nur Gemälde und Zeichnungen, er entwarf auch Bühnendekorationen und Kostüme. Außerdem lieferte er Vorlagen für Wandbehänge, Porzellane und Möbel. Heutzutage hätte Boucher wahrscheinlich eine Kooperation mit IKEA oder Butlers.

1760 ist das Bild Schäfer und Schäferin aus der Kunsthalle Karlsruhe entstanden. Ein Jahr vorher wurde es in Auftrag gegeben und zwar von niemand geringerem als Karoline Luise von Baden. Über sie haben wir schon eine spannende Kunstsnack-Folge gemacht – Nummer 2 ist das. Karoline Luise war vieles: Mastermind, Helikoptermutter und Sammlerin. Ihr hat die Kunsthalle Karlsruhe den Grundstock ihrer Kunstwerke zu verdanken. Karoline Luise mochte die Pastoralen von Boucher. Also gab sie gleich zwei Hirtenszenen bei ihm in Auftrag. Karoline Luise legte bei den Bildern vor allem Wert auf Tiere, der Wunsch wurde ihr erfüllt. Wobei Boucher zwischen Schaf und Hund ehrlich gesagt kaum einen Unterschied macht: Auf dem Bild sieht das Fell bei beiden quasi identisch aus. Egal, Karoline Luise war sehr zufrieden und kopierte die Werke von Boucher. Sie zeichnete alles nach, um es besser zu erfassen und nachvollziehen zu können.

Zu Lebzeiten war François Boucher ein echter Kunst-Star, heute ist er nicht mehr so bekannt. Oder kanntet Ihr ihn? Seine erste Einzelausstellung in Deutschland war erst im Jahr 2020. Also 250 Jahre nach seinem Todestag im Jahr 1770. Und die Ausstellung war… klar, in der Kunsthalle Karlsruhe. Wo denn sonst? So schließt sich der Kreis. Vielen Dank fürs Zuhören. In zwei Wochen kommen wir mit der nächsten Folge von Kunstsnack um die Ecke. Bis dann, Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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