Bambi und der Blaue Reiter: Rehe im Walde II von Franz Marc

Was haben Rehe mit Religion zu tun? Warum sind Menschen hässlich? Und wie kann es sein, dass Farben gegeneinander kämpfen? Um diese schrägen Fragen und noch viel mehr geht es in der heutigen Folge von Kunstsnack. Denn wir haben es hier mit einem sehr besonderen Bild zu tun: Rehe im Walde II von 1914. Es stammt von dem Künstler Franz Marc, der übrigens zeitweise ein Klassenkamerad von Albert Einstein war. Doch heute geht’s um Rehe und nicht um Relativitätstheorie. Also, viel Spaß mit dieser Folge.

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Bevor es losgeht, kurze Empfehlung: Guckt mal in die Shownotes von diesem Podcast.  Da findet ihr einen Link zur Abbildung, dann seht ihr das Bild, um das es jetzt geht. Ansonsten beschreibe ich euch das Ganze aber natürlich auch – wie immer.

 

Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung

Das Gemälde Rehe im Walde II von Franz Marc sieht aus, als würde man durch ein Prisma gucken. Das Bild ist sehr bunt und alles ist in geometrische Formen aufgesplittert. Das Werk erinnert mich mit den ganzen eckigen Formen auch ein bisschen an eins von diesen Schiebepuzzlen, die mich als Kind völlig überfordert haben… und heute übrigens auch noch.

Obwohl alles so prismatisch aufgefächert ist, ist das Bild nicht abstrakt. Man erkennt drei Rehe, die auf dem Boden liegen. Um sie herum ist viel Grün, also liegen sie offenbar in einem Wald. Die drei Rehe sind unterschiedlich groß und haben verschiedene Farben. Blau, rot, gelb – das sind die sogenannten Primärfarben, die Farben, aus denen alle anderen gemischt werden.

Ihr merkt: Bei diesem Kunstwerk handelt es sich nicht um eine exakte Naturbeobachtung. Ein blaues Reh wäre jetzt nicht soooo dolle im Wald getarnt und ein Reh besteht auch eher nicht aus geometrischen Formen. Was an dem Bild aus der Kunsthalle Karlsruhe außerdem auffällt: Die drei Rehe sind wie ein Dreieck angeordnet. Die Dreieckskomposition hat in der Kunstgeschichte eine lange Tradition. Oft wurden heilige Figuren im Dreieck angeordnet, denn diese Form stand für die heilige Dreifaltigkeit. Achtet bei älteren religiösen Bildern mal drauf: Da sind überall Dreieckskompositionen. Aber das ist nicht die einzige religiöse Anspielung in dem Bild Rehe im Walde II. Das Ganze erinnert auch an Kirchenfenster und zwar wegen der intensiven bunten Farben. Und auch das Aufteilen des Bildes in kleinere Formen ist wie bei einem Kirchenfenster.

Man kann schon festhalten: Das Bild dieser Folge ist sehr ungewöhnlich. Und da stellt sich natürlich die Frage: Warum malt Franz Marc das alles überhaupt?

 

Worum geht’s hier eigentlich? Die Message

Franz Marc ging es nicht darum das Äußere, das Aussehen der Rehe möglichst exakt wiederzugeben. Er wollte das Wesen der Tiere ausdrücken. Er selbst sagte dazu: „Hat es irgendwelchen (…) Sinn, das Reh zu malen, wie es unsrer Netzhaut erscheint? Ich kann ein Bild malen: das Reh. Ich kann aber auch ein Bild malen: ‚das Reh fühlt‘.“ Franz Marc erwähnte auch an anderer Stelle, dass er sich die Frage stellte, wie wohl die Welt durch die Augen eines Tieres, zum Beispiel eines Hundes oder Rehs aussähe. Diese Überlegungen flossen in seine Malerei ein.

Franz Marc empfand Menschen als hässlich, deshalb malte er sie kaum. Für ihn waren Tiere die reineren Wesen, die im Einklang mit der Natur lebten. Auf seinem Bild in der Kunsthalle Karlsruhe verschmelzen die Rehe daher auch mit der Natur zu einer harmonischen Einheit. Die kristallartigen Formen, dieser Blick wie durch ein Prisma löst die klaren Abgrenzungen auf. Teilweise wirken die Flächen auch durchscheinend. Rehe und Natur gehen ineinander über. Franz Marc hielt die Menschen seiner Zeit, also zu Beginn des 20. Jahrhunderts, für zu technikgläubig und materialistisch. Er sehnte sich zur ursprünglichen Natur. Dafür zog er 1914 auf’s Land, in einen kleinen Ort in Bayern. Hier kaufte er Rehe und Land, damit die Tiere ein Gehege hatten. Aus Franz Marc wäre sicher ein glühender Bambi-Fan geworden!

 

Der Epochen-Check

Franz Marc sagte mal (ich zitiere): „Es gibt keine ‚Gegenstände‘ und keine ‚Farbe‘ in der Kunst, sondern nur ‚Ausdruck‘.“ Diese Aussage passt ziemlich gut zu der Kunstströmung Expressionismus, die Anfang des 20. Jahrhunderts aufkam. Den Künstler*innen ging es darum Gefühle und Stimmungen intensiv auszudrücken. Es ging um expressive Werke, deshalb der Begriff Expressionismus. Dafür wurde dann nicht immer alles so gemalt, wie es in der Realität aussieht. Bunte Tiere wie bei Franz Marc zum Beispiel. Das ist im Prinzip wie bei dem kleinen blauen Elefanten aus der Sendung mit der Maus.

Franz Marc wollte maximalen Ausdruck kreieren und dafür nutzte er knallige Farben. So kommen die Rehe in blau, gelb und rot zustande. Marc entwickelte zudem eine eigene Farbtheorie, in einem Brief schrieb er: „Blau ist das männliche Prinzip, herb und geistig. Gelb das weibliche Prinzip, sanft, heiter und sinnlich. Rot die Materie, brutal und schwer und stets die Farbe, die von den anderen beiden bekämpft und überwunden werden muß!“ Wow, vergesst Star Wars – das hier ist Farb Wars.

Franz Marc war Teil des Blauen Reiters. Das klingt wie das blaue Logo von Ralph Lauren, war aber eine wichtige Instanz der modernen Kunst. 1911 wurde der Blaue Reiter von Franz Marc und seinem Künstlerkollegen Wassily Kandinsky gegründet. Unter diesem Label wollte man Schriften herausgeben und Ausstellungen organisieren. Wie kam es zu diesem skurrilen Namen? Kandinsky erklärte das wie folgt: „Der Blaue Reiter“ erfanden wir am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf; beide liebten wir Blau, Marc – Pferde, ich – Reiter. So kam der Name von selbst […]“ Klingt einem echt tiefgründigen Brainstorming. Ich zum Beispiel mag Pinguine und grün. Ihr wisst also, was bei mir für ein Name rausgekommen wäre.

Der Blaue Reiter war eher ein lockerer expressionistischer Verbund und keine Künstlergruppe. Man wollte nicht mehr klassisch gegenständlich Malen, sondern das Fühlen in den Vordergrund stellen. Dabei entstanden zunehmend abstrakte Bilder, eben auch Die Rehe im Walde II. Das ist ja schon recht abstrahiert und keine normale Wald-Darstellung mehr.

Das alles war ein ziemlich neuer Ansatz damals. Wie Franz Marc wollten auch andere Künstler*innen beim Blauen Reiter das Wesen der Dinge und Lebewesen erfassen und nicht mehr nur die äußere Erscheinung. Diese Ansätze überforderten viele Menschen zu der Zeit. Verständlich, denn die Malweise des Blauen Reiters entsprach nicht mehr der traditionellen Kunst. Franz Marc und Konsorten provozierten, ihre Werke waren für die Kunst revolutionär. Das hat sich mittlerweile stark geändert, denn heute sind viele ihrer Werke beliebte Kalenderkunst.

 

Wer hätte das gedacht? Faszinierender Funfact

Wenn ihr noch mehr über den Expressionismus und die Bilder erfahren wollt, dann hört doch Folge 18 von Kunstsnack – die geht über den Künstler August Macke. Mit dem war Franz Marc eng befreundet. Die beiden haben mal einen Wettbewerb gemacht: Wer kann schneller ein Porträt des jeweils anderen malen? Macke war schon nach 20 Minuten fertig. Bei Franz Marc lief es nicht ganz so gut. Das Porträt war so unschön, die beiden tauften es „Der Verbrecher“. Ich stelle mir das vor wie ein Porträt der Panzerknacker.

 

Was macht das Werk so besonders?

Innerhalb des Schaffens von Franz Marc nimmt Rehe im Walde II eine besondere Stellung ein, denn es ist eines seiner letzten großen Bilder. Die Maße sind 110,5 x 100,5 cm. Also über ein Quadratmeter Leinwand. Wie gesagt entstand das Bild dieser Folge im Jahr 1914. Zwei Jahre später stirbt Franz Marc – und zwar im Ersten Weltkrieg bei Verdun, als er von einem Granatsplitter getroffen wird. Der Künstler wurde nur 36 Jahre alt, aber er hinterließ ein beeindruckendes Werk – vor allem ein Werk mit vielen Tierdarstellungen und ein paar davon sind bis heute in der Kunsthalle Karlsruhe.

Vielen Dank fürs Zuhören. Ich hoffe, die Folge hat euch gefallen. In zwei Wochen geht’s wie immer weiter. Bis dahin, ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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