Von Vögeln und Verführung

Jan van Hemessen: Lockere Gesellschaft

Dieses Bild ist FSK 18, obwohl es schon fast 500 Jahre alt ist. Auf den ersten Blick kommt das Gemälde aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe eigentlich ganz harmlos daher, aber das täuscht gewaltig. Wenn man nämlich genauer hinguckt, sieht man viele pikante Details. Anders gesagt: Diese Kunst ist dirty. Und da schauen wir natürlich ganz genau hin. Also viel Vergnügen mit dieser Folge von Kunstsnack.

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Das Bild, um das es heute geht, heißt Lockere Gesellschaft. Der Maler Jan van Hemessen hat es um 1540 gemalt. Ich beschreibe euch das Bild gleich, aber wenn ihr es angucken wollt: In den Shownotes ist ein Link zur Abbildung.

Also, was sieht man auf dem Gemälde? Wir blicken in einen großen Innenraum. Dass es sich hierbei aber nicht um eine normale Gaststube handelt, verrät uns ein Vogelkäfig, der draußen vor der Tür hängt. Denn bereits im Mittelalter wurden auf diese Weise Bordelle gekennzeichnet. So wie heute Barbershops immer diese komischen rot-blauen Drehdinger haben oder Eisdielen ein großes… Eis. Damals hängte man also einen Vogelkäfig ins Fenster, wenn es zur Sache gehen sollte. Wenn man als Freier zum Bordell ging, sagte man auch: „Ich geh zu den Vögeln.“ Daher kommt unser Ausdruck zu Sex auch „Vögeln“ zu sagen. Erzählt das mal euren Freundinnen und Freunden, die einen Wellensittich haben. Ich bin gespannt, wie die reagieren.

Ok, das Bild zeigt also eine Bordellszene. Hinten an der Tür beim Vogelkäfig wird auch schon fleißig Kundschaft angeworben. Aber widmen wir uns erst mal dem Vordergrund. Dort ist ein Mann an einem Tisch und neben ihm zwei Frauen. Der Mann ist etwas älter und trägt einen ziemlich albernen roten Hut. Er hat eine Art Schwimmreifen auf dem Kopf und daran hängt ein Tuch herunter. Echt ein gewöhnungsbedürftiger Look. Er sieht aus, als würde er gerade aufstehen wollen und hebt abwehrend oder warnend die rechte Hand. Warum tut er das?

Nun ja, neben ihm sitzt eine junge Frau, eine Prostituierte, die versucht ihn zum Bleiben zu Bewegen und ihn zu verführen. Sie legt ihm die eine Hand auf die Schulter und mit der anderen bietet sie ihm ein Weinglas und ein Kartenspiel an. Neben ihr ist eine weitere ältere Frau, die den Spaß ihres Lebens zu haben scheint. Sie lächelt mit den wenigen ihr verbliebenen Zähnen und wirft ihren Kopf nach hinten. Dadurch knallen die zwei Frauen fast mit ihren Köpfen fast zusammen. Die Ältere hat einen offenen Weinkrug in der Hand. Das könnte der Grund für ihre gute Laune sein. Vielleicht hat sie sich schon ordentlich einen hinter die Rüstung gerömert. Vielleicht will sie aber auch den Mann zum Trinken bewegen.

Bei der alten Frau handelt es sich um die Kupplerin. Daher bekommt der offene Krug auch eine sexuelle Symbolik. Genau so der Dolch, der dem Mann auf Schritthöhe hängt – ein sehr komisches Phallussymbol ist. Also genau so plump, wie wir heutzutage irgendwelche Pfirsich- und Auberginen-Emojis benutzen, hat man das damals halt auch gemacht. Aber der Gast will sich offenbar nicht verführen lassen. Er will keinen Sex, er will nicht spielen, er will nicht saufen – er lehnt ab.

So, das passiert also im Vordergrund. Und im Hintergrund, also hinten rechts im Bild, da ist ein junger Mann und der lehnt all diese Angebote nicht ab. Er sitzt auf einem Stuhl neben einem Himmelbett. Um ihn herum sind vier Frauen. Eine schürt das Feuer, eine sitzt auf dem Bett und eine weitere Frau bietet ihm ein gepelltes Ei an. Das ist eine Anspielung auf eine damalige Redensart – ähnlich wie heute die Redensart „das Fell über die Ohren ziehen“. Also jemanden betrügen. Das passiert auch ganz wörtlich im Bild. Denn während der junge Mann durch die drei Frauen abgelenkt ist, klaut ihm die vierte Frau Geld aus seiner Tasche. Also die vier Frauen scheinen ein sehr eingespieltes Team zu sein.

Jetzt gibt es eine spannende Sache, die erst beim näheren Hinsehen auffällt: Der ältere Mann im Vordergrund und der jüngere Mann im Hintergrund tragen denselben albernen roten Hut. Gehen die beiden zur gleichen Mottoparty oder ist das Zufall? Nein. Beides stimmt nicht. Es scheint, als erinnere sich alte Mann an seine eigene lasterhafte Vergangenheit. Diese wird im Hintergrund dargestellt. Das ist wie eine Denkblase aus Comics – halt nur vor 500 Jahren. Offenbar will der Mann aus dem Vordergrund seine Vergangenheit nicht wiederaufleben lassen und entsagt daher den Angeboten der Prostituierten und Kupplerin. Er lernt aus seinen Fehlern. Ich frage mich nur: Warum befindet er sich dann überhaupt in einem Bordell, wenn er keinen Bock auf das alles hat? Ich meine, an so einen Ort verirrt man sich ja nicht aus Versehen.

Aber hier wird die Aussage des Bildes deutlich. Das Gemälde hat eine moralisierende Botschaft und die lautet: Habt eure Lust im Griff. Und hört auf mit Glückspiel und Suff. Das erinnert mich ein bisschen an diese Anti-Alkohol Plakat-Kampagnen mit dem Slogan: „Kenn dein Limit.“ Da werden auch immer Abstürze gezeigt, die besonders abschreckend wirken sollen.

Es handelt sich bei diesem Bild um sogenannte Genremalerei. Da werden Szenen des täglichen Lebens gezeigt, in der Regel nicht idealisiert, sondern ziemlich direkt. So auch hier. Das Werk aus der Kunsthalle Karlsruhe ist sogar eines der ersten moralisierenden Genrebilder aus den Niederlanden. Echt ein historisches Zeugnis!

Es ist übrigens nicht ganz klar, ob das gesamte Bild von dem Künstler Jan van Hemessen gemalt wurde. Denn die Figuren im Vordergrund unterscheiden sich stilistisch von denen im Hintergrund. Vermutlich sind die kleineren Hintergrundfiguren von dem sogenannten Braunschweiger Monogrammist. Der soll sogar der Erfinder des Bordell- und Wirtshausbildes sein. Dass man nicht alleine an Bildern malt, war vor 500 Jahren nicht unüblich. Es gab auch Leute, die auf ganz bestimmte Details spezialisiert waren und zum Beispiel nur die Tiere auf Gemälden übernommen haben. Malerei war also durchaus Teamwork. Man musste nicht alles allein machen – so wie ihr diesen Podcast ja auch nicht alleine hören müsst. Empfehlt Kunstsnack also gerne weiter – vor allem an alle Leute, die Vögel zu Hause haben. In diesem Sinne danke fürs Zuhören. Bis zur nächsten Folge in zwei Wochen. Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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