Kunst aus der Zukunft?
Karl Hofer: Selbstbildnis mit Dämonen
Es gibt richtig nervige Formulierungen in der Kunstgeschichte. Wenn jemand den Zeitgeist gut einfängt, wird zum Beispiel immer gesagt: „Der Künstler ist ein wahrer Seismograf seiner Zeit“ – als wären die Bilder so komische Erdbeben-Diagramme. Das wird echt inflationär benutzt. Die ganze Kunstwelt ist voller Seismografen. Allerdings trifft die Formulierung bei manchen halt schon echt zu – Karl Hofer ist so ein Fall. Der reagierte mit seinen Werken sehr eindrücklich auf die Situation in den Zwischenkriegsjahren, so etwa in seinem Gemälde Selbstbildnis mit Dämonen von 1922/23. Ein krasses Bild! Dann schauen wir uns dieses… seismographische Werk doch mal näher an. Viel Spaß!
Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.
Auf dem Bild von Karl Hofer gibt es viel zu sehen. Ich empfehle euch daher: Schaut es euch das mal kurz an. In den Shownotes ist ein Link zur Abbildung.
Also, was ist auf dem Selbstbildnis mit Dämonen dargestellt? Im Zentrum des Bildes steht der Künstler selbst – mit Glatze und Schnauzbart. Er trägt einen Malerkittel, damit wirklich alle checken, dass er Maler ist. Normalerweise porträtierte sich Hofer sehr selbstbewusst, hier allerdings nicht. Sein Blick ist ängstlich, seine Handhaltung abwehrend. Das ist sehr verständlich, denn auf dem Bild ist der Künstler umgeben von großen Masken, es wirkt wie eine sehr mittelmäßige Halloween-Party. In dieser Menge bekommen die Masken allerdings etwas Bedrohliches, eine Hand greift sogar nach dem Dargestellten. Hofer wirkt auf dem Bild sehr verloren. Die Masken sind offenbar Dämonen, die im Titel des Werkes erwähnt werden.
Der Titel und der Bildaufbau ist auch eine Anspielung auf ein bekanntes Thema in der Kunst: Die Versuchung des Heiligen Antonius. Es gibt beispielsweise eine berühmte Druckgraphik von dem Künstler Martin Schongauer, die um 1472 entstanden ist. Darauf sieht man den Heiligen Antonius. Er ist in der Mitte des Werkes, um ihn herum sind lauter gruselige Dämonen, die alle aussehen wie Monster aus Videospielen. Sie zerren an dem Heiligen und umringen ihn. Die Parallelen zu Hofers Selbstbildnis mit Dämonen sind also durchaus vorhanden. Hofer bezieht sich hier geschickt auf eine kunstgeschichtliche Tradition und greift ein Jahrhunderte altes Motiv auf. Das lässt mein Kunsthistoriker-Herz natürlich höherschlagen. By the way: Die Kunsthalle Karlsruhe hat natürlich auch einige spannende Darstellungen des Heiligen Antonius – ist halt ein krasses Museum.
Aber zurück zu Hofer: Sein Gemälde wird als Reaktion auf seine Erfahrungen im 1. Weltkrieg gesehen. Hofer selbst war nicht an der Front, aber auch für ihn war die Zeit traumatisch. Er wurde von dem Krieg bei einem Frankreich-Urlaub überrascht und dann dort drei Jahre lang interniert. Mit Zwischenstation in der Schweiz kam er schließlich nach Deutschland zurück. Diese Erfahrungen verarbeitet er natürlich in seiner Kunst.
Das Selbstbildnis mit Dämonen von Hofer zeigt außerdem die diffuse Angst vor einer Bedrohung. Ob Hofer schon damals, also Anfang der 20er Jahre, die Machtergreifung der Nationalsozialisten vorhergesehen hat, puuuh. Ich finde es immer ein bisschen schwierig, einen Künstler als so eine Art Propheten zu behandeln. Hofer ist ja nicht Marty McFly aus Zurück in die Zukunft. Also, in meinen Augen ist Hofer kein Prophet, höchstens… Seismograf. Ich glaube tatsächlich, dass Hofer wie viele andere Kunstschaffende sehr sensibel auf seine Zeit reagiert hat. Und ich kann mir gut vorstellen, dass er eine bedrohliche Stimmung und Entwicklung in der Gesellschaft wahrgenommen hat und das auch in das Selbstbildnis mit Dämonen eingeflossen ist.
Das Selbstbildnis mit Dämonen hat eine bewegte Geschichte, die einiges über die Kunstpolitik der damaligen Zeit aussagt. 1923 wird es vom damaligen Kunsthallen-Direktor Willy Storck angekauft, der sich stark für die moderne Entwicklung des Museums einsetzte. Da sich gegen zeitgenössische Kunst jedoch großer Widerstand regte, wurde es nicht ausgestellt. Die Karlsruher Kunstszene war konservativ und deutschnational. Da hatte so ein Bild wie von Hofer nichts zu suchen. Es wurde nach ein paar Jahren sogar versucht, Hofers Gemälde gegen ein anderes von ihm zu tauschen. Da hatte der Künstler aber keinen Bock drauf.
Das Selbstbildnis mit Dämonen wurde zu einer sogenannten Depotleiche. Damit bezeichnet man im Museumssprech umgangssprachlich Werke, die lange nicht das Tageslicht erblicken, sondern einfach nur gelagert werden. Das Bild von Hofer wurde auch 1933 nicht präsentiert. Im Jahr der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten gab es nämlich eine Schandausstellung in der Kunsthalle Karlsruhe. Dabei wurden die Ankäufe aus den Jahren 1918 bis 1933 angeprangert. Einige andere Werke von Hofer waren in der Ausstellung, was den Künstler sehr wütend machte. Hofer war eigentlich der Ansicht, Kunst müsse keine politischen Themen behandeln. Doch gegen das NS-Regime positionierte er sich deutlich. Schon 1931 rief er dazu auf, sich der Kommunistischen Partei anzuschließen um ein „Drittes Reich“ zu verhindern.
Für die Nazis war Hofers Kunst nicht systemkonform, 311 seiner Werke wurden schlussendlich aus deutschen Museen entfernt. Dass das Selbstbildnis mit Dämonen erhalten geblieben ist, liegt an einem Tauschgeschäft. Diesem Tauschgeschäft stimmte Hofer jetzt zum Glück zu. 1936 wurde sein Selbstbildnis gegen eine Landschaft von ihm getauscht. Den Deal hatte der Direktor der Kunsthalle Karlsruhe eingefädelt, Kurt Martin. Er mochte Hofers Kunst und stand den Nazis kritisch gegenüber. Sein Gedanke war, dass das Landschaftsgemälde unverfänglicher wäre und von den Nazis vielleicht toleriert würde. Doch diese Landschaft wurde 1937 konfisziert, und zwar im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“, so bezeichneten die Nazis Kunst, die ihnen nicht in den Kram passte.
Doch durch diesen Tausch blieb das Selbstbildnis mit Dämonen in Hofers Besitz und überlebte so den Krieg. 2018 gelang der Kunsthalle Karlsruhe dann schließlich die Wiedererwerbung des Gemäldes. Wow! Was für ein Ritt und was für ein Glück, dass uns dieses starke Selbstbildnis erhalten geblieben ist. Und das auch noch in Karlsruhe, der Geburtsstadt von Karl Hofer. Das Selbstbildnis… ein echtes Stück Geschichte.
Ich hoffe, euch hat diese Folge gefallen. Erzählt gerne allen, die ihr kennt, von diesem Podcast. Und seid in zwei Wochen bei der nächsten Folge wieder dabei. Bis dann. Ciao.
Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.