Mehr als Wartezimmerkunst: Improvisation 13 von Wassily Kandinsky
Den Künstler der heutigen Folge kennt ihr von Kalendern, T-Shirts, Tapeten oder Duschvorhängen: Wassily Kandinsky. Seine abstrakten, bunten Bilder sind wahnsinnig beliebt. Ich bin Standup-Comedian und deshalb viel auf Tour in Hotels. Und mindestens in jedem 10. Hotel hängt im Zimmer oder sonst wo ein Druck von Kandinsky. Genauso in Arztpraxen. Ärtzt*innen lieben Kandinksy. Aber ich zeige euch heute, warum Kandinsky mehr ist als Hotel- und Wartezimmerkunst. Der Museumsdirektor Karl Ruhrberg hat über ihn sogar gesagt, er wäre die (Zitat) „radikalste Revolutionierung der Malerei seit der Renaissance“. Stabil! Also, geht es heute um Kandinskys Bild Improvisation 13 von 1910. Das befindet sich in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Und damit, let’s go!
Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.
In der Vorbereitung auf diese Folge hab ich das Werk von Kandinsky gesehen und dachte, ehrlich gesagt, nur: „Bitte nicht!“ Dieses Bild ist der absolute Endgegner für eine Bildbeschreibung. Das ist so abstrakt und vielschichtig. Deshalb bitte ich euch inständig: Bitte guckt in die Shownotes von diesem Podcast! Da ist ein Link zur Abbildung und dann könnt ihr euch das Bild anschauen. Ich versuche trotzdem euch das kurz und knapp zu beschreiben.
Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung
Das Bild sieht auf den ersten Blick aus, als hätte jemand ein Aquarium voll mit farbenfrohen Fischen komplett durchgeschüttelt. Alles ist super bunt, wir sehen will de Farbflächen über das ganze Bild verteilt. Es gibt viele schwarze Punkte, die an Augen erinnern. Deshalb hatte ich die Assoziation mit dem Aquarium. Es gibt die ganze Bandbreite an Formen: rund, spitz, eckig, geschwungen. Alles greift ineinander, dicke schwarze Linien strukturieren das Bild. Teilweise ist die Farbe strichelig aufgetragen und insgesamt ist alles super dynamisch. Wenn ich dieses Bild in zwei Wörtern beschreiben müsste, wäre es: geordnetes Chaos. Ja, scheint sich zu widersprechen, aber man merkt, dass das Bild einer Ordnung folgt. Die Farben und Formen sind hier nicht einfach beliebig hingeklatscht. Die Formen wechseln sich geschickt ab. Zum Beispiel gibt es zackige Linien, die sind extra weit auseinander – oben und unten. Runde Formen grenzen an eckige. Das ist bewusst komponiert.
In der Literatur zu dem Bild steht: Darauf könnte man einen Reiter auf einem Schimmel erkennen. Ich habe mir echt Mühe gegeben, aber ich kann weder den Schimmel noch den Reiter finden. Ich bin eh nicht so Fan davon in abstrakter Kunst immer was Gegenständliches zu suchen. Mein Opa war Künstler und vor meinem Bett hängt seit Ewigkeiten ein abstraktes Bild von ihm. Für mich war das immer einfach abstrakt. Bis ein Freund von mir meinte: „Da ist doch ein Pferdekopf drauf.“ Und dann habe ich den auch gesehen. Seitdem fühle ich mich wie in dem Mafiafilm Der Pate. Denn wer kann sonst von sich behaupten, einen Pferdekopf im Schlafzimmer zu haben?
Wie wurde das Werk beeinflusst? Interessante Inspirationen
Wassily Kandinsky ließ sich viel inspirieren. Ich erzähle euch von 4 wichtigen Inspirationsquellen. Es gibt natürlich noch viel mehr, aber ich beschränke mich hier mal auf 4 wichtige Einflüsse:
1. Musik: Musik war sehr wichtig für ihn. Kandinsky spielte seit seiner Kindheit Cello und Klavier und hat viel Musik gehört. Wir alle wissen: Musik kann richtig starke Gefühle erzeugen. Das wollte Kandinsky auch mit seiner Malerei schaffen. Er hat versucht so zu malen, wie man Musik komponiert – mit Farbklängen und Harmonien. Quasi sichtbare Melodien, gemalte Ohrwürmer.
Eine sehr beliebte Frage bei so einer Malerei ist ja: „Was will uns der Künstler damit sagen?“ Würden wir bei Musik nicht machen. Niemand steht in einem Technoclub und sagt: Da sind ja gar keine Wörter in dem Lied. Was will uns der DJ damit sagen?“ Nein, wir tanzen einfach und lassen uns von der Musik treiben. Warum machen wir das nicht auch einfach mit abstrakter Kunst?
Hier ein passendes Zitat von Kandinksy über Malerei und Musik (ich zitiere): „Im Allgemeinen ist also die Farbe ein Mittel, einen direkten Eindruck auf die Seele auszuüben. Die Farbe ist die Taste. Das Auge ist der Hammer. Die Seele ist das Klavier mit vielen Saiten. Der Künstler ist die Hand, die durch diese oder jene Taste zweckmäßig die menschliche Seele in Vibration bringt.“ In anderen Worten: Kandinsky spielt mit unserer Seele, seine Kunst bringt unsere Seele zum Schwingen. Wie schön ist das?
Ein zweiter wichtiger Einfluss für Kandinsky war seine Synästhesie. Das heißt, dass verschiedene Sinneseindrücke sich zu einer Wahrnehmung vermischen. Synästhesie bedeutet zum Beispiel, dass man Farben hört oder schmeckt. Kandinsky hat deshalb Farben ganz anders wahrgenommen und den Farben ganz andere Eigenschaften zugeordnet. Blau war für ihn weich und aromatisch. Gelb war für ihn eine aktive Farbe, die im Ohr wehtut wie eine Trompete. Macht euch mal klar, wie das Bild aus der Kunsthalle Karlsruhe für ihn dann geballert haben muss. Alles bunt und wild – das muss für ihn gewesen sein wie Jahrmarkt, Karneval, Feuerwerk und Lasershow gleichzeitig. Der völlige Overkill. Ich dachte immer, blau würde wie Schlumpfeis schmecken, aber für Kandinsky war das zum Glück anders.
Der dritte Einfluss für Kandinsky war eine Geschichte, die ihm passiert sein soll. Er kam eines Abends nach Hause. Im Licht der Dämmerung sah er eines seiner Bilder. Das stand auf dem Kopf. Und plötzlich hat es bei ihm Klick gemacht. Denn dadurch, dass das Bild auf dem Kopf stand, hat Kandinsky ja nicht mehr das Motiv gesehen, sondern plötzlich nur noch die reine Wirkung der Farben. Das Motiv war nicht mehr da, es war plötzlich abstrakte Malerei. Und das war wohl ein richtiges Schlüsselerlebnis für ihn und dazu kommt, dass Kandinsky auch ein großer Theoretiker war und er hat sich aus verschiedenen spirituellen Quellen anregen lassen. Unter anderem auch von islamischen Kulturen, wo die Abstraktion bereits etabliert war.
Um das Jahr 1910 herum fing Kandinsky an abstrakt zu malen. Das Bild aus der Kunsthalle Karlsruhe ist von? Genau 1910. Also ein frühes Beispiel für seine abstrakte Malerei. Das Bild trägt den Titel Improvisation 13. Als Improvisation bezeichnete Kandinsky spontane Malerei, unbewusst und aus dem Inneren heraus. Dann gibt es noch Impressionen. So nannte Kandinsky Bilder, die Figürliches darstellen oder sich daran orientieren.
Es gibt noch einen vierten entscheidenden Einfluss für Kandinsky. Und das ist seine Heimat. Kandinsky kam aus Moskau. 1866 wurde er da geboren. Und in Improvisation 13 lässt er möglicherweise die Architektur Moskaus einfließen. Denn rechts oben kann mit etwas Fantasie goldene Kuppelbauten erkennen. Für Kandinsky war seine Heimat immer auch ein Sehnsuchtsort. Im Jahr 1896 war er nach München gezogen und kehrte erst sehr viel später zurück. Die russische Bauernkultur hat Kandinksy außerdem tief beeindruckt. Vor allem die farbintensive Gestaltung von Häusern, Möbeln und Trachten.
Ihr merkt: Kandinskys Einflüsse sind vielfältig. Und das war nur ein Teil davon.
Wie wichtig ist das Kunstwerk?
Das Kandinsky-Bild aus der Kunsthalle Karlsruhe ist richtig wichtig. Weil es eine mega Ansage ist. Ich weiß, aus heutiger Sicht wirkt das Bild jetzt noch soooo revolutionär. Aber 1910 hat so gut wie niemand abstrakt gemalt. Leute kamen gar nicht klar darauf. Über Kandinksy wurde gesagt, seine Bilder wären die eines Wahnsinnigen. Das gab echt Gegenwind. Es war unglaublich innovativ, dass Kandinsky nichts nachgemalt hat, sondern sich völlig von Gegenstand gelöst. Kandinsky hat damit der abstrakten Kunst viele Türen geöffnet. Nein, eigentlich hat er die Türen eingetreten. So viel Wucht hatte das.
Kandinksy hat mal gesagt: „Die Schönheit der Farbe und der Form ist kein genügendes Ziel der Kunst.“ Klarer kann man ja nicht sagen: Meine Bilder sind mehr als Wartezimmerkunst. Und trotzdem machen sie sich da auch ziemlich gut. Ich freue mich auf jeden Fall jedes Mal, wenn ich Kandinsky als Hotelkunst sehe.
Ich hoffe, ich konnte euch Kandinskys Bild aus der Kunsthalle Karlsruhe etwas näherbringen. Mir hat’s auf jeden Fall großen Spaß gemacht. Danke für’s Zuhören. Ciao.
Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.