Geisterbahn auf Wandertag

Otto Dix: Die Sieben Todsünden

„Du wirst nie Maler, du bleibst ein Schmierer.“ Das wurde zu dem Künstler Otto Dix am Ende seiner Ausbildung zum Dekorationsmaler gesagt. Wow, wie doll kann man jemanden demotivieren? Tatsächlich wurde Otto Dix kein Dekorationsmaler, aber heute ist eines seiner Bilder in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Also, so schlecht kann seine Kunst ja nicht gewesen sein. Aber Otto Dix war ein Skandalkünstler. Bei Porträtsitzungen im bürgerlichen Umfeld spuckte er teilweise auf den Boden und spritzte mit Farbe rum. Danach mussten manche angeblich ihr Haus renovieren. Stell dir vor, du willst dich einfach nur malen lassen und am Ende wird es ein Fall für deine Hausratsversicherung. Ihr merkt, Otto Dix ist ein faszinierender Typ und sein Werk Die sieben Todsünden ist es auch. Das gehört zur Sammlung der Kunsthalle Karlsruhe und ist ein wirklich historisches Werk. Keine Übertreibung! Also, viel Spaß mit dieser Folge, denn die ist auch besonders. Das hier ist der Start der zweiten Staffel von Kunstsnack. Wir haben uns extra neue Rubriken für diesen Podcast ausgedacht und gehen das Ganze jetzt ein bisschen anders an. Also schreibt uns gerne Euer Feedback auf Instagram @kunsthalle_ka und sagt uns, wie Ihr es findet. So und jetzt geht’s los.

Der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Bevor die Folge startet, ein kurzer Hinweis: Schaut gerne in die Shownotes von diesem Podcast. Da ist ein Link, unter dem könnt Ihr Euch das Bild in Ruhe anschauen könnt.

Was gibt‘s hier zu sehen? Bildliche Beschreibung“

Auf den ersten Blick sieht das Bild von Otto Dix aus, als hätte die Geisterbahn heute Wandertag. Alles ist sehr fein und exakt gemalt, aber wir haben es hier mit sieben sehr schrägen Gestalten zu tun. Der Titel verrät uns schon, worum es geht:Die sieben Todsünden.

Arbeiten wir uns also wie auf jedem guten Fußballmannschaftsfoto von links nach rechts durch. Los geht es links unten mit einer Hexe. Ihre Kleider sind zerrissen und ihre Nase ist lang und rot – eine Mischung aus Pinocchio und Rudolf dem Rentier. Die Hexe ist gebückt und greift ein Bündel Geldscheine. Der Batzen wäre eine stattliche Investition in ein Lebkuchen-Loft. Die Hexe steht für die Todsünde Habgier bzw. für den Geiz. Auf ihrem Rücken sitzt ein kleines Männchen mit einem gelben Pullover. Die Farbe Gelb ist ein Hinweis, denn es gibt ja die Redewendung „gelb vor Neid sein“. Das ist also die Todsünde Neid. Das Männchen hat einen auffälligen Hitlerbart, unter dem wiederum ein weißer Schnurrbart ist. Das Ganze sieht ein bisschen aus wie auf Wahlplakaten, wenn jemand mal wieder einem Politiker mit Edding ein Hitlerbärtchen gemalt hat.

In der Mitte des Bildes ist der Tod, wobei der eher aussieht, als hätte sich jemand für eine Halloween-Party ein billiges Sensenmann-Kostüm gekauft. Es ist ein schwarzer Anzug mit Kochen drauf, dazu eine Totenkopfmaske aus Stoff, plus eine Sense. Auffällig ist: An der Stelle des Herzens ist das Kostüm aufgeplatzt. Und da sitzt eine Kröte. Die steht symbolisch für die Trägheit des Herzens. Also geht es hier um die Todsünde Trägheit. Links dahinter steht ein Monster, das aussieht wie ein klassischer Gegner aus einem Computerspiel: Hörner, große Augen, aufgerissenes Maul, spitze Zähne, zotteliges Fell und einen Dolch in der Hand. Das Monster scheint richtig wütend zu sein. Sehr passend, denn das ist die Todsünde Zorn.

Figur Nummer fünf verkörpert die Wollust. Das ist eine Frau, die ihr runterrutschendes Kleid nicht mehr unter Kontrolle hat. Sie leckt sich über die Lippen und knetet ihre eine Brust wie einen Anti-Stress-Ball. Hinter ihr ist meine Lieblingsfigur auf dem Bild: Und zwar steht dort ein waschechtes Arschgesicht. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich das in einem Museumspodcast mal sage. Aber es ist wirklich ein Arschgesicht. Der Mund ist tatsächlich ein Anus. Die Nase über dem Anus-Mund ist logischerweise schon verfault, für eine Nase gibt es keine schlechtere Position als über einem Anus. Trotzdem ist diese Nase hoch erhoben. Denn wir haben es hier mit der Todsünde Hochmut zu tun. Das Arschgesicht ist übrigens eine Maske, die von einer kleinen Person getragen wird. So, und die letzte Todsünde ist die Völlerei. Das ist ein Kind, das einen großen Kinderkopf trägt. Warum auch immer. Und dazu hat das Kind eine Brezel in der Hand und einen Stab mit Würstchen. Also ganz viel zu essen, somit Völlerei.

All diese Figuren befinden sich übrigens in einer kargen Landschaft und vor einer Art Ruine. Alles hier ist tot – Todsünden halt.

Von wann ist das Werk? Historischer Hintergrund“

Sehr wichtig ist hier das Entstehungsjahr des Bildes: 1933. Das Jahr der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler. Jetzt könnte man denken: „Ah, okay. Dann ist das Hitlerbärtchen (das ich grad erwähnt hatte) also eine direkte Reaktion von Otto Dix auf dieses historische Ereignis.“ Aber das stimmt nicht. Dix hat den Hitlerbart auf der einen Figur erst 1947 ergänzt.

Das Jahr 1933 ist auch für Otto Dix persönlich ein sehr einschneidendes Jahr. Er ist einer der ersten Künstler, den die Kulturpolitik der Nazis erwischt. Schon 1933 wird er seines Amtes als Professor an der Dresdener Kunstakademie enthoben. Die sieben Todsünden ist das erste Bild, das danach entsteht. Und damit nicht genug: Das NS-Regime erteilt Dix außerdem ein Ausstellungsverbot. Für einen Künstler ist das mehr als herber Schlag. Das Bild Die sieben Todsünden wird oft so gelesen, dass Dix in dem Bild seine persönliche Betroffenheit zum Ausdruck bringt. Trostlose Gestalten in einer trostlosen Landschaft. Das Werk strahlt wenig Hoffnung aus.

Sein Gemälde aus der Kunsthalle Karlsruhe kann aber auch allgemeiner interpretiert werden – als Warnung vor drohendem Unheil. In diesem Fall: Eine Warnung vor der Politik der Nazis. Otto Dix tarnt seine Message geschickt mit den sieben Todsünden. Ein cleverer Schachzug, um subtil Kritik zu äußern.

1937 kommt der nächste Schlag für Otto Dix. Werke von ihm sind Teil der Ausstellung „Entartete Kunst“. Diesen Begriff sollte man in große Anführungszeichen setzen, denn es ist eine Bezeichnung der Nazis. „Entartete Kunst“ umfasste in der NS-Zeit jede Kunst, die nicht den Vorstellungen der Nazis entsprach. 1937 gibt es eine große Ausstellung mit dem Titel „Entartete Kunst“ in München, die später an vielen anderen Orten gezeigt wurde. In der Ausstellung werden die Werke, die den Nazis nicht passen, richtig durch den Dreck gezogen und heftig diffamiert. Dix ist, wie gesagt, dort vertreten.

Im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ werden von den Nazis zudem viele Kunstwerke beschlagnahmt, die ihnen nicht in den Kram passten. 1938 werden allein von Otto Dix 260 Arbeiten aus öffentlichem Besitz beschlagnahmt. Einige der Werke werden ein Jahr später, also 1939, sogar verbrannt. Ebenfalls 1939 wird Dix kurzzeitig verhaftet. Ihm wird unterstellt, er sei an dem Attentat auf Hitler in München beteiligt gewesen. Dix befand sich also durchaus im Fadenkreuz der Nazis und sein Bild aus der Kunsthalle Karlsruhe ist direkt zu Beginn der NS-Herrschaft eine Reaktion darauf.

Der Epochen-Check“

Otto Dix ist einer der wichtigsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Neue Sachlichkeit… Das klingt, als hätten Sachbearbeiter*innen diese Kunstrichtung gegründet und das klingt irgendwie auch, als wäre die richtig langweilig. Aber hier handelt es sich um super spannende Werke. Die Neue Sachlichkeit datiert man grob in die Weimarer Republik, also von 1919 bis 1933. Wie schon erwähnt, wurden die Werke in der NS-Zeit als „entartet“ gebrandmarkt. Warum mochten die Nazis die Neue Sachlichkeit nicht? Weil sie sehr gesellschaftskritisch war.

Der Erste Weltkrieg hatte großen Einfluss auf die Kunst der Neuen Sachlichkeit. All die Gräuel, all die Grausamkeit des Krieges wurden in den Gemälden nicht verschwiegen und beschönigt. Soldaten wurden auch nicht als Helden dargestellt – so wie im Nationalsozialismus. Nein, in Werken der Neuen Sachlichkeit werden Soldaten als verletzte, gebrochene, zerschundene Menschen gezeigt. Otto Dix und seinen Kolleg*innen ging es um einen ungeschönten Blick auf die harte Realität. Dix war im ersten Weltkrieg selbst an der Front gewesen und verarbeitete seine Erfahrungen schonungslos.

Die dunklen Seiten der Gesellschaft waren außerdem Themen dieser Kunstrichtung, die Großstadt in all ihren Facetten. Es ging um Prostitution, Armut, Elend und Dekadenz. Definitiv keine Feel-good-Kunst. Otto Dix malte viele Bordellszenen und dann auch noch so explizit – es war schwierig für ihn seine Kunst über Galerien zu verkaufen. Für das Gemälde „Mädchen vor dem Spiegel“ kam er sogar vor Gericht, weil das Bild als enorm unzüchtig empfunden wurde. Eine Zeichnung davon befindet sich übrigens in der Kunsthalle Karlsruhe. Auch dieses Museum hat also eine FSK 18 Abteilung.

Das Bild Die sieben Todsünden passt mit der drastischen Darstellung gut in die Neue Sachlichkeit. Das Gemälde aus der Kunsthalle Karlsruhe zeigt ein Hauptanliegen von Dix: Die Augen nicht vor dem Hässlichen verschließen. Oder um es in den Worten des Künstlers zu sagen (ich zitiere): „Der Maler ist das Auge der Welt. Der Maler lehrt die Menschen sehen, das Wesentliche sehen, auch das, was hinter den Dingen ist.“

Wie wichtig ist das Kunstwerk?“

Wichtig.

Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Die sieben Todsünden ist politisches Bild, das die menschlichen Schattenseiten zeigt. Und damit ist es auch heute noch hoch aktuell. Vielen Dank fürs Zuhören, abonniert gerne den Podcast und bis bald mit der nächsten Folge von Kunstsnack. Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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