Das schönste Blau der Welt: RE 48: Sol. 1960 von Yves Klein

Ich sag’s direkt vorweg, ich habe übertrieben Bock auf diese Folge! Heute geht es nämlich um einen meiner absoluten Lieblingskünstler: Yves Klein. Der ist ein richtiger King. Von ihm kommt das schönste Blau der Welt, der Typ ist dazu noch echt lustig und er hat einfach unsichtbare Kunst geschaffen. Was will man mehr für gutes Entertainment? Also widmen wir uns direkt seinem großartigen Werk aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Let’s go.

Der Kunstsnack – kurze Facts leicht bekömmlich. Von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Mit dem Comedian und Kunsthistoriker Jakob Schwerdtfeger.

Heute geht es um das Bild „RE 48: Sol. 1960“. Catchy Titel. „RE 48“: Da denkt man eher an einen Regionalexpress als an ein tolles Gemälde. Ich kenne kaum ein Kunstwerk, wo Titel und Bild so schlecht zusammenpassen. „RE 48: Sol. 1960“ – dieser bürokratische Titel klingt, als hätte sich den ein Sachbearbeiter in einem staubigen Kabuff ausgedacht, komplett in Eile, weil in der Mensa Schnitzeltag war. So klingt der Titel. Dabei ist das Bild genau das Gegenteil, das ist mega packend. Es ist nämlich komplett blau, aber nicht irgendein Blau, sondern das intensivste, strahlendste und satteste Blau, das ich kenne. Überzeugt euch selbst: In den Shownotes ist ein Link zur Abbildung.

Ich raste gleich noch weiter auf das Blau aus, aber ich mache kurz noch die Bildbeschreibung fertig: Auf dem Bild sind einige Schwämme angebracht und viele Kiesel. Es ist also eine Art Relief. Deshalb nenne ich das Bild Schwammrelief, weil ich keine Lust hab ständig „RE 48: Sol. 1960“ zu sagen. Das Werk ist 71 cm hoch und 1,53m lang – also ein Querformat.

Die Kiesel und die Schwämme sind auch komplett blau gefärbt. Meine erste Assoziation war: Das sieht ja aus wie beim Tauchen. Als würde man auf den Meeresboden blicken. Hier kann man richtig in Kunst baden. Normalerweise nervt es mich, wenn Kunsthistoriker*innen so Sachen sagen wie: „Ja, das Bild wirkt auf Abbildungen nicht, das muss man im Original sehen.“ Aber in diesem Fall muss ich sagen: Yves Klein müsst ihr im Original sehen! Die Farbe hat so eine krasse Sogwirkung. Es zieht einen direkt rein und man kann sich daran einfach nicht satt sehen. Ich war in vielen Museen, wo Werke von Yves Klein hingen, und jedes Mal standen die Leute vollkommen gebannt davor.

Yves Klein hat hunderte blaue Werke gemacht – mit Gemälde mit Gegenständen drauf und ohne, aber auch Skulpturen. Blau war sein absolutes Markenzeichen. Er war schon sehr früh fasziniert von dieser Farbe. Mit 18 Jahren soll er den Himmel signiert haben. Wie auch immer er das gemacht hat, wahrscheinlich einfach mit dem Finger. Wobei ich einen Schriftzug mit einem Kunstflugzeug noch besser gefunden hätte. Hier kommt schon Kleins humorvoller Umgang mit der Kunst raus. Mit 18 einfach mal entspannt den Himmel signieren – das ist schon solider Größenwahn.

1949 fing er dann an seine monochromen Bilder zu malen – monochrom bedeutet einfarbig. Es gibt auch pinke, goldene, grüne, gelbe, orangene, rote Bilder von ihm, aber bald schoss sich Klein auf ein ganz bestimmtes Ultramarinblau ein. Und das hat er dann komplett durchgezogen. Ganz ehrlich: Bildbände von Yves Klein sind richtig witzlos. Ich habe zwei Bücher und das sind dann einfach zwanzig Seiten komplett blau. Das sieht ein bisschen aus wie diese Farbkarten im Baumarkt, mit denen man Wandfarben auswählt.

Klein entwickelte sein Blau konstant weiter und nannte es schließlich „International Klein Blue“. Er bezeichnete die Farbe als sein geistiges Eigentum, dabei hatte er kein Patent darauf. Also bei der Fernsehsendung „Höhle der Löwen“ wäre er damit wohl nicht durchgekommen. Seine neuartige, monochrome Kunst stieß erst mal auf heftige Ablehnung. Als er 1955 ein Werk in eine Ausstellung einreichen wollte, wurde es nicht angenommen. Ihm wurde empfohlen: „Hier, nimm doch ’ne zweite Farbe dazu oder mal wenigstens einen Punkt oder eine Linie auf deine Bilder.“ Aber Klein blieb stur. Erinnert ihr euch noch an das Lied Blue von Eifel 65, (I’m blue dabadee, dabadee). Da wird ja auch eine ganze Welt in Blau beschrieben – Yves Klein hätte das geliebt.

Bald kam aber die Anerkennung für seine Kunst. Und sofort machte Yves Klein daraus eine freche Aktion: 1957 stellte er 11 seiner blauen Bilder aus, alle waren identisch. Alle blau, alle gleiches Format. Aber für jedes Werk verlangte er einen anderen Preis. Und Kleins Plan ging auf! Die Leute wählten gewissenhaft ihre Lieblingsbilder aus und alles wurde verkauft. Wobei ich mich darüber nicht so lustig machen sollte, ich wähle auch ewig im Supermarkt Pfirsiche aus, obwohl es zwischen denen kaum einen Unterschied gibt. Naja, immerhin variieren die nicht im Preis.

Yves Kleins Erfindungsreichtum nimmt lange noch kein Ende: Ebenfalls 1957 entwickelt er die Anthropometrien. Dabei werden nackte Frauen blau angemalt und über Leinwände gezogen oder pressen sich dagegen. So entstehen Körperabdrücke, die Klein Anthropometrien nennt. Die Frauen selbst werden zum Pinsel. Die Band Deichkind hat das 2021 aufgegriffen und den Schauspieler Lars Eidinger komplett in Blau getaucht von der Decke hängen lassen. Als menschlicher Pinsel baumelte er über eine riesige Leinwand. Und auch der berühmte Rapper Summer Cem hat in seinem Musikvideo „Bielefeld“ Yves Kleins Anthropometrien zitiert. In blau getauchte Frauen räkeln sich auf Bildern und drücken sich dagegen. Als ich das gesehen habe, dachte ich: Ich guck nicht richtig. Yves Klein und Hip-Hop? Das ist nicht die klassische Kombi. Also habe ich ein Instagram-Video dazu gemacht und Summer Cem und sein Videoproduzent haben mir geschrieben und bestätigt: Ja, das war eine konkrete Anspielung auf Yves Klein. Ich liebe es, wenn sich Kunstwelt und Pop Kultur vermischen!

Yves Klein bewies auch bei seinen Anthropometrie Sessions Humor. Parallel zum Malen spielte nämlich ein kleines Orchester und zwar durchgehend nur einen einzigen Ton. Wie konsequent! Eine Farbe, ein Ton, hier passt alles. Auch wenn ich mir das akustisch ziemlich anstrengend vorstelle. So, aber warum macht Yves Klein das eigentlich? Woher kommt diese Fixierung auf das Blau? Und was will er damit ausdrücken?

Die Idee hatte er wohl nach einem Japanaufenthalt, nach einer Zen-Meditation, bei der es um Reinheit und Nüchternheit ging. Weitere Einflüsse waren ein Buch von Gaston Bachelard, in dem ein Kapitel dem blauen Himmel gewidmet ist. Ach ja, und wie sollte es anders sein, der Himmel der Côte d’Azur inspirierte ihn ebenfalls. Außerdem war Yves Klein tief beeindruckt, als er in Italien die Basilika von Assisi sah, besonders hatte es ihm das Blau der Kirchenmalerei dort angetan. Also, jede Menge Einflüsse…

Yves Klein wurde mal gefragt, was seine blauen Bilder bedeuten würden. Er antwortete mit einem alten persischen Gleichnis (ich zitiere): „Ein Flötenspieler begann eines Tages, nur einen einzigen, langgezogenen anhaltenden Ton zu spielen. Als er damit nun an die zwanzig Jahre fortfuhr, gab ihm seine Frau zu bedenken, dass doch alle anderen Flötenspieler mehrere, harmonische Töne und ganze Melodien zustande brächten und dass das doch viel abwechslungsreicher sei. Der monotone Flötenspieler antwortete, dass es nicht sein Fehler sei, wenn er die Note schon gefunden hätte, nach der die anderen alle noch immer suchten.“ So sah Yves Klein sein Blau und gleichzeitig passt der eine Ton von seinem Orchester ja auch perfekt dazu.

Der Künstler formulierte außerdem viele Theorien zu seinem Blau. Hier ein Beispiel (ich zitiere wieder): „Was ist Blau? Das Blau ist das sichtbar werdende Unsichtbare… Das Blau hat keine Dimensionen. Es „ist“ außerhalb der Dimensionen, deren die anderen Farben teilhaftig sind.“ Hui, das klingt ein bisschen sehr hochtrabend für mich. Also, ich sehe in seinem Blau nicht „das sichtbar werdende Unsichtbare“. Das ist Bild aus der Kunsthalle Karlsruhe ist schon sehr sichtbar. Aber ich verstehe, dass dieses Blau eine sehr besondere Wirkung hat. Und Klein hat tatsächlich mit unsichtbarer Kunst experimentiert.

Es war der 28. April 1958 in Paris: Über 3000 Menschen kamen für ein spektakuläres Kunstereignis, denn Yves Klein stellte einen Raum aus. Das Besondere: Der Raum war leer, nur weiße Wände, that’s it. Zig Leute standen also in einem leeren Raum rum und haben getrunken. So was nennt man auch… Bar. Funfact: Die Drinks bei der Ausstellung waren blau gefärbt und danach haben die Leute blau gepinkelt. So bringt man Kunst und Alltag zusammen!

Zwei Jahre später gab es bei Kleins Hochzeit wieder blaue Cocktails und seine Frau trug natürlich… eine blaue Kopfbedeckung. Nicht lange danach starb Yves Klein 1962 im Alter von nur 34 Jahren. In dieser kurzen Lebenszeit hat er so viele Innovationen rausgehauen, das ist schon wirklich bewundernswert. Was ich euch hier erzählt hab, war nur ein Bruchteil seines Schaffens und seiner Ideen. Yves Klein hat die Kunstgeschichte wahnsinnig bereichert und viele Neuerungen hervorgebracht. Und eine davon ist das Schwammrelief aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Ihr wisst ja, es geht nichts über das Original.

Bleibt mir nur noch zu sagen: Danke fürs Zuhören. In zwei Wochen kommt der nächste Kunstsnack mit einem weiteren Werk. Bis dahin empfehlt uns gern weiter, machts gut, Ciao.

Das war der Kunstsnack – Kurze Facts leicht bekömmlich. Mit Jakob Schwerdtfeger. Eine Produktion der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Abonniert unseren Podcast und folgt uns bei Instagram. Habt Ihr Themenwünsche, schreibt uns via Directmessage oder per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de.

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