Stellungnahme der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zur Schrift von Dr. Christian M. Geyer zur Ausstellung „Marcel van Eeden – 1898“ im Rahmen des Hans-Thoma-Preises 2023

Im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg hat Dr. Leonie Beiersdorf für die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe die kuratorische Begleitung der Ausstellung 1898 des Thoma-Preisträgers Prof. Marcel van Eeden 2023 in Bernau im Schwarzwald übernommen (Hans-Thoma-Kunstmuseum, Bernau, 13.8.–15.10.2023) und eine begleitende Publikation herausgegeben. Im Zuge der Ausstellung kamen unter anderem neue antisemitische Äußerungen Hans Thomas zum Vorschein, welche eine erneute öffentliche Debatte zum Künstler und der Namensgebung des Preises entzündeten. Über die Benennung des Staatspreises hat die Politik zu entscheiden, nicht die Kunsthalle Karlsruhe. Für 2024, dem Jahr des 100. Todestags des Künstlers, plant die Kunsthalle eine öffentliche Veranstaltung zu den Diskussionen um Hans Thoma und eine konzentrierte Präsentation zu seiner Amtszeit als Direktor der Kunsthalle Karlsruhe.

Dr. Christian M. Geyer, im Ruhestand befindlicher Kunsthistoriker in Frankfurt am Main, fühlte sich durch die Diskussionen um den Hans-Thoma-Preis angeregt, nicht nur eine 52-seitige Schrift gegen Marcel van Eeden und Dr. Beiersdorf zu verfassen, sondern diese auch auf diversen fachöffentlichen Plattformen zu publizieren und ungefragt an einen großen Kreis von Mitarbeiter:innen von Museen, Ministerien, Förder- und Freundeskreisen sowie weiterer Privatpersonen in Deutschland und der Schweiz zu verschicken. Da sich die Kunsthalle Karlsruhe grundsätzlich nicht einer öffentlichen Debatte über Hans Thoma und die eigene Arbeit verschließen will, zugleich aber massive Verletzungen von Standards des guten wissenschaftlichen Arbeitens in der Schrift Christian M. Geyers feststellt, und da er der Kunsthalle auch nicht Gelegenheit gab, den aus Sicht des Museums falschen Thesen im Vorfeld seiner Publikation zu begegnen und diese kritisch zu diskutieren, sieht sich die Kunsthalle Karlsruhe nun veranlasst, der an Diffamierung grenzenden Schrift in aller Form öffentlich zu widersprechen. Der Text und das Vorgehen von Christian M. Geyer sind emblematisch für eine Debattenkultur, die anstelle der sachlichen Auseinandersetzung die Beschädigung der Person zum Ziel hat. Falschbehauptungen sind kein Instrument des wissenschaftlichen Diskurses und Angriffe ad personam nicht nur kein guter Stil, sondern tragen nicht zur Stärkung demokratischer Aushandlungsprozesse bei. Die ausführliche Widerlegung durch Leonie Beiersdorf ist hier nachzulesen.

Hans Thoma ist für Baden-Württemberg eine kulturelle Identifikationsfigur. Zu Lebzeiten (1839–1924) musste der Künstler aus Bernau im Schwarzwald zunächst viel Geduld aufbringen, bis er wichtige künstlerische wie ökonomische Erfolge verbuchen konnte und ihm 1922 sogar eine monographische Ausstellung in der Berliner Nationalgalerie ausgerichtet wurde. Von 1899 bis 1920 fungierte er als Direktor der Großherzoglichen (bzw. Badischen) Kunsthalle in Karlsruhe und unterrichtete an der Großherzoglich-Badischen Akademie der Bildenden Künste. Eine umfangreiche Schenkung von Werken Thomas durch den Künstler selbst sorgte dafür, dass die Kunsthalle Karlsruhe nach dem Städel Museum in Frankfurt bis heute die wichtigste Sammlung seiner Arbeiten hat. Auch wenn das Œuvre Thomas qualitativ keineswegs unumstritten ist, sind zahlreiche Straßen und Schulen im Südwesten Deutschlands nach ihm benannt, ebenso wie der 1949 ins Leben gerufene Staatspreis des Landes Baden-Württemberg für Bildende Kunst.

Mit der Serie 1898 hat der Rektor der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe und diesjährige Hans-Thoma-Preisträger Marcel van Eeden sich kritisch mit dem Namensgeber des Preises auseinandergesetzt. Van Eeden thematisiert in seinem Ausstellungsbeitrag eine Holland-Reise Hans Thomas zur Rembrandt-Ausstellung 1898 in Amsterdam, zugleich aber auch dessen früheres Verhältnis zu Julius Langbehn, einem völkisch gesinnten Kulturtheoretiker, dessen zunehmend aggressiver Antisemitismus auch im Briefwechsel mit Thoma aufscheint. Dabei kommen auch Thomas Verbindungen zu Henry Thode und anderen Personen aus dem Wagner-Kreis zur Sprache.

Die Öffentlichkeit und die Kunsthalle Karlsruhe verdanken dieser Ausstellung und der Arbeit des Künstlers den Impuls, sich angemessen kritisch mit Hans Thoma auseinanderzusetzen. Angesichts von Thomas langjährigen Beziehungen zu völkischen Kreisen, deren Ideologeme etwa im Bildprogramm der Thoma-Kapelle in Karlsruhe greifbar werden und die in einer Reihe von wissenschaftlichen historischen und kunsthistorischen Untersuchungen bekannt geworden sind, ist es für die Kunsthalle Karlsruhe eine Selbstverständlichkeit, Thoma nicht nur als beliebten badischen Künstler affirmativ im Bewusstsein zu halten, sondern zugleich vor dem Hintergrund seiner Zeit differenziert kritisch zu verorten. Auch Thomas antisemitische Äußerungen, die nicht zahlreich, aber nachgewiesen sind, werden ernstgenommen, aber in keiner Form skandalisiert.

Seit einigen Wochen sehen sich Marcel van Eeden, Leonie Beiersdorf und auch die Kunsthalle Karlsruhe mit einer Reihe von Vorwürfen durch Christian M. Geyer konfrontiert, der seine Kritik an dem Preisträger und an der Kuratorin als Beitrag zu einem wissenschaftlichen Diskurs versteht. Form und Inhalt simulieren Wissenschaftlichkeit, halten aber diesem Anspruch bei genauerer Betrachtung nicht stand. Der gravierendste sachliche Fehler ist die Brandmarkung beider Personen als „Aktivisten“, die darauf aus seien, Thoma als „aktiven Antisemiten“ einer öffentlichen „Ächtung“ zuzuführen. Diese Behauptungen sind falsch und treffen in keiner Weise auf das subtil angelegte Kunstwerk oder den differenzierten wissenschaftlichen Text der Kuratorin zu. Auf über 40 Seiten Fließtext wird diese Konstruktion zur Grundlage der tendenziösen Rezension. Christian M. Geyer operiert mit zahllosen Verzerrungen, Unterstellungen, falschen Behauptungen und eklatanten Auslassungen. Konsequent werden unliebsame Fakten als „Thesen“ nivelliert oder ausgeblendet, was beim Lesen unweigerlich zu Irrtümern und Fehlschlüssen führen muss. Willkürlich verunklart der Autor die Urheberschaft an der Serie 1898, um Marcel van Eeden und Leonie Beiersdorf gemeinsam unwissenschaftliches Arbeiten zu unterstellen. Dieser methodische Fehler einer Künstler-Kuratorin-Symbiose findet eine Parallele in der Vermischung von Interview-Exzerpten und Pressestimmen mit der Analyse von Kunstwerk und Aufsatz, wann immer es dem Verfasser der Kritik nützlich erscheint. Vor diesem Hintergrund mutet es paradox an, dass er glaubt, wissenschaftliche Manipulation von Quellen und eine künstlerische Dämonisierung Thomas erkennen zu können, was jeglicher Grundlage entbehrt. Sein Versuch einer Inschutznahme Thomas vor kritisch-historischer Betrachtung kulminiert in dem umständlichen Bemühen, antisemitische Äußerungen zu verharmlosen.

Eine kritische Revision des Werks von Hans Thoma und seines Wirkens bedeutet keineswegs eine pauschale Verbannung der Kunst in die Unsichtbarkeit des Depots. Aber sie hinterfragt – sine ira et studio – alte Gewissheiten und tradierte Haltungen, sie fragt nach dem Verhältnis von Kunst und historischer Kontextualisierung im Ausstellungsraum und nach den Grenzen des Zumutbaren im Hinblick auf ein breites und vielschichtiges Publikum. Eine solche kunstwissenschaftliche Revision wird infolge neuer Sachkenntnis auch neue Akzentsetzungen bewirken, so wie dies von jeder früheren Generation von Wissenschaftler:innen der Kunsthalle für sich in Anspruch genommen wurde. Dies wird für die Kunsthalle auch weiterhin der wissenschaftliche Maßstab bleiben.

Prof. Dr. Frédéric Bußmann
Direktor Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

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