
Die Nornen
Beschreibung
Thomas Gemälde stellt eine Variante der Parzen oder der Moiren dar, der Schicksalsgöttinnen der römischen beziehungsweise griechischen Mythologie. Während das Thema der Parzen in der europäischen Kunst eine Kontinuität von der Antike bis zu Thomas Lebzeiten darstellte, wählte der Maler deren Entsprechung aus der nordischen Mythologie als Bildthema. Die drei Frauen unterschiedlichen Alters repräsentieren Urd (Norne der Vergangenheit), Verdandi (Norne der Gegenwart) und Skuld (Norne der Zukunft). Sie sitzen auf einem Felsen, der in der Mythologie als Quelle der Urd bekannt ist, und spinnen den Schicksalsfaden.
Auffallend ist die verhaltene, in Beige-Grau getauchte Gesamtstimmung der Malerei. Hier wird eine Eigentümlichkeit Thomas augenfällig: Gelegentlich mischte er bräunliches Pigment in seinen Firnis und tönte so einzelne Partien oder auch die gesamte Bildoberfläche durch. In diesem Fall ging es ihm offenbar um den Effekt eines wie durch Nebel hindurch zeitlich entrückten Bildes. Denn die nordischen Göttinnen selbst boten Thoma keine reiche Bildtradition. Vielmehr wurden sie im Kontext der erstarkenden völkischen Bewegung des deutschen Kaiserreichs literarisch entdeckt und fanden gerade im Umfeld von Haus Wahnfried zu einer bildlichen Konkretisierung.
In Richard Wagners vierteiligem Opernzyklus und monumentalem Hauptwerk Ring des Nibelungen wird die germanische Heldensage mit heidnisch-germanischer Mythologie verknüpft. Hierin nehmen die Nornen eine wichtige Rolle ein. So reißt ihnen zu Beginn des letzten Teils, der Götterdämmerung , der Schicksalsfaden, das Ende der Götter naht. Die Kostümierung der Nornen auf der Bühne war ein Politikum, da sie die Frage aufwarf, inwiefern eine römisch-griechische oder eine vermeintliche, denn unbekannte, nordische oder germanische Tradition heraufbeschworen werden sollte. Carl Emil Doepler, der damalige Kostümbildner Bayreuths, stellte die Nornen als zottelig frisierte, doch in ihrer Tracht antikischen Idealen nacheifernde Frauen dar, die einander zugewandt und im Schutz der Weltesche ein recht stabiles Seil in ihren Händen halten.
Hiervon rückt Thoma gezielt ab, als er seine brütenden Nornen wie eigenständige Urgewalten eher statisch, aber monumental in eine karge Szenerie versetzte und in ihrer Kleidung auf jeglichen Schmuck und Schleifen verzichtete. Statt auf die Eleganz antikisch empfundener Gewänder setzt er auf viel grobes Leinen, das in starkem Faltenwurf eine Einheit zwischen den Frauen schafft. Die Frisurenfrage umgeht er weitgehend durch ebenfalls schwere Kopftücher. Einzig der Schicksalsfaden hat – dem Thema entsprechend – etwas Zartes und Fragiles.
Thoma erfindet so eine Ikonographie für die Idee einer urgermanischen gemeinschaftlichen Herkunft. Mit dieser radikaleren und – aus der Binnenperspektive völkischer Milieus – moderneren Inszenierung eines der zentralen Motive bei Wagner konnte Thoma in den einschlägigen Kreisen in Frankfurt am Main von sich reden machen. Über den Leibarzt Richard Wagners, Otto Eiser, den auch Thoma in medizinischen Fragen konsultierte, erwuchsen dem Künstler gute Kontakte zur Familie Wagner. So verwundert es nicht, dass Cosima Wagner Thoma wenige Jahre später mit neuen Kostümentwürfen für Bayreuth beauftragte, mit denen der Künstler reüssierte.
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Hans Thoma als Künstler
Daten und Fakten
Titel | Die Nornen |
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Künstler*in | Hans Thoma |
Entstehungszeit | 1889 |
Inventarnummer | 1292 |
Maße Bildträger | H 100,0 cm B 77,5 cm |
Maße Rahmen | H 134,0 cm B 111,5 cm T 5,2 cm |
Material | Pappe |
Technik | Ölfarbe |
Gattung | Gemälde |
Abteilung | Neue Malerei (nach 1800) |
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