Hans Thoma - Die Nornen
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Die Nornen

Hans Thoma

Maße:
H 100,0 cm  B 77,5 cm  
Jahr:
1889
Ort:
nicht ausgestellt

Beschreibung

Thomas Gemälde stellt eine Variante der Parzen oder der Moiren dar, der Schicksalsgöttinnen der römischen beziehungsweise griechischen Mythologie. Während das Thema der Parzen in der europäischen Kunst eine Kontinuität von der Antike bis zu Thomas Lebzeiten darstellte, wählte der Maler deren Entsprechung aus der nordischen Mythologie als Bildthema. Die drei Frauen unterschiedlichen Alters repräsentieren Urd (Norne der Vergangenheit), Verdandi (Norne der Gegenwart) und Skuld (Norne der Zukunft). Sie sitzen auf einem Felsen, der in der Mythologie als Quelle der Urd bekannt ist, und spinnen den Schicksalsfaden.

Auffallend ist die verhaltene, in Beige-Grau getauchte Gesamtstimmung der Malerei. Hier wird eine Eigentümlichkeit Thomas augenfällig: Gelegentlich mischte er bräunliches Pigment in seinen Firnis und tönte so einzelne Partien oder auch die gesamte Bildoberfläche durch. In diesem Fall ging es ihm offenbar um den Effekt eines wie durch Nebel hindurch zeitlich entrückten Bildes. Denn die nordischen Göttinnen selbst boten Thoma keine reiche Bildtradition. Vielmehr wurden sie im Kontext der erstarkenden völkischen Bewegung des deutschen Kaiserreichs literarisch entdeckt und fanden gerade im Umfeld von Haus Wahnfried zu einer bildlichen Konkretisierung.

In Richard Wagners vierteiligem Opernzyklus und monumentalem Hauptwerk Ring des Nibelungen wird die germanische Heldensage mit heidnisch-germanischer Mythologie verknüpft. Hierin nehmen die Nornen eine wichtige Rolle ein. So reißt ihnen zu Beginn des letzten Teils, der Götterdämmerung , der Schicksalsfaden, das Ende der Götter naht. Die Kostümierung der Nornen auf der Bühne war ein Politikum, da sie die Frage aufwarf, inwiefern eine römisch-griechische oder eine vermeintliche, denn unbekannte, nordische oder germanische Tradition heraufbeschworen werden sollte. Carl Emil Doepler, der damalige Kostümbildner Bayreuths, stellte die Nornen als zottelig frisierte, doch in ihrer Tracht antikischen Idealen nacheifernde Frauen dar, die einander zugewandt und im Schutz der Weltesche ein recht stabiles Seil in ihren Händen halten.

Hiervon rückt Thoma gezielt ab, als er seine brütenden Nornen wie eigenständige Urgewalten eher statisch, aber monumental in eine karge Szenerie versetzte und in ihrer Kleidung auf jeglichen Schmuck und Schleifen verzichtete. Statt auf die Eleganz antikisch empfundener Gewänder setzt er auf viel grobes Leinen, das in starkem Faltenwurf eine Einheit zwischen den Frauen schafft. Die Frisurenfrage umgeht er weitgehend durch ebenfalls schwere Kopftücher. Einzig der Schicksalsfaden hat – dem Thema entsprechend – etwas Zartes und Fragiles.

Thoma erfindet so eine Ikonographie für die Idee einer urgermanischen gemeinschaftlichen Herkunft. Mit dieser radikaleren und – aus der Binnenperspektive völkischer Milieus – moderneren Inszenierung eines der zentralen Motive bei Wagner konnte Thoma in den einschlägigen Kreisen in Frankfurt am Main von sich reden machen. Über den Leibarzt Richard Wagners, Otto Eiser, den auch Thoma in medizinischen Fragen konsultierte, erwuchsen dem Künstler gute Kontakte zur Familie Wagner. So verwundert es nicht, dass Cosima Wagner Thoma wenige Jahre später mit neuen Kostümentwürfen für Bayreuth beauftragte, mit denen der Künstler reüssierte.

Hans Thoma als Künstler

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Monumentale Falten

Falten über Falten in einheitlicher, rauer Stofflichkeit. Was auf den ersten Blick wie eine Fingerübung in Sachen Textildarstellung erscheint, ist auf den zweiten eine Übersetzung zeitgenössischer Ideologie ins Bild.

Ein Museum im Museum für den Direktor

Zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 1909 wurden Hans Thoma als Direktor der Großherzoglichen Galerie Karlsruhe, vor allem aber als überregional erfolgreichem Künstler, große Ehren zuteil.

Ihm wurde innerhalb der Galerie ein eigenes Thoma-Museum gewidmet – ein Flügel, der allein die Werke dieses Künstlers feiern sollte. Schon Jahre zuvor hatte der Großherzog Thoma beauftragt, die sogenannte Thoma-Kapelle bildnerisch zu entwerfen und auszuführen. Auch diese wurde baulich wie programmatisch in das Thoma-Museum integriert.

Im Jahr darauf schenkte Thoma der Großherzoglichen Galerie rund 90 seiner Gemälde und begründete somit den bedeutenden Thoma-Bestand der Kunsthalle Karlsruhe. In diesem Zuge kam auch das Gemälde Die Nornen in den Bestand, jedoch nicht als Geschenk Thomas, sondern als eine Gabe der mit Thoma befreundeten Luisa Gräfin Erdödy.

Das Gemälde zeigt drei alte nackte Frauen in einem Wald, wie sie an einem Faden schneiden.

In nordischem Gewand

Thomas Gemälde stellt eine Variante der Parzen oder der Moiren dar, der Schicksalsgöttinnen der römischen bzw. griechischen Mythologie. Während das Thema der Parzen in der europäischen Kunst eine Kontinuität von der Antike bis zu Thomas Lebzeiten darstellte, wählte der Maler deren Entsprechung aus der nordischen Mythologie als Bildthema.

Die drei Frauen unterschiedlichen Alters repräsentieren Urd (Norne der Vergangenheit), Verdandi (Norne der Gegenwart) und Skuld (Norne der Zukunft). Sie sitzen auf einem Felsen, der in der Mythologie als Quelle der Urd bekannt ist, und spinnen den Schicksalsfaden.

Auffallend ist die verhaltene, in Beige-Grau getauchte Gesamtstimmung der Malerei. Hier wird eine Eigentümlichkeit Thomas augenfällig: Gelegentlich mischte er bräunliches Pigment in seinen Firnis und tönte so einzelne Partien oder auch die gesamte Bildoberfläche durch.

Dies bewirkt in anderen Fällen etwa den Effekt eines südlichen Lichts. In diesem Fall ging es ihm offenbar um die Idee eines Bildes, das wie durch Nebel zeitlich entrückt ist. Denn die nordischen Göttinnen selbst boten Thoma keine reiche Bildtradition.

Vielmehr wurden sie im Kontext der erstarkenden völkischen Bewegung des deutschen Kaiserreichs literarisch „entdeckt“ und fanden gerade im Umfeld von Haus Wahnfried zu einer bildlichen Konkretisierung.

Das Gemälde zeigt drei Frauen in verschiedenfarbigen Gewändern, wie sie unter einem Baum sitzend einen Faden halten.

Kleider machen Nornen

In Richard Wagners vierteiligem Opernzyklus und monumentalem Hauptwerk Ring des Nibelungen wird die germanische Heldensage mit heidnisch-germanischer Mythologie verknüpft. Hierin nehmen die Nornen eine wichtige Rolle ein.

So reißt ihnen zu Beginn des letzten Teils, der Götterdämmerung, der Schicksalsfaden, das Ende der Götter naht. Die Kostümierung der Nornen auf der Bühne war ein Politikum, indem sie die Frage aufwarf, inwiefern eine römisch-griechische oder eine vermeintliche, denn unbekannte, nordische oder germanische Tradition heraufbeschworen werden sollte.

Carl Emil Doepler, der damalige Kostümbildner Bayreuths, stellte die Nornen als etwas zottelig frisierte, doch in ihrer Tracht antikischen Idealen nacheifernde Frauen dar, die einander zugewandt und im Schutz der Weltesche ein recht stabiles Seil in ihren Händen halten.

Düstere Darstellung dreier älterer Frauen mit langen Gewändern.

Hiervon rückt Thoma gezielt ab, als er seine brütenden Nornen wie eigenständige Urgewalten etwas statisch, aber monumental in eine karge Szenerie versetzte und in ihrer Kleidung auf jeglichen Schmuck und Schleifen verzichtete.

Statt auf die Eleganz antikisch empfundener Gewänder setzt er auf viel grobes Leinen, das in starkem Faltenwurf eine Einheit zwischen den Frauen schafft. Die Frisurenfrage umgeht er weitgehend durch ebenfalls schwere Kopftücher. Einzig der Schicksalsfaden hat – dem Thema entsprechend – etwas Zartes und Fragiles.

Konsequente Neuinterpretation

Thoma erfindet so eine Ikonographie für die völkische Idee einer urgermanischen gemeinschaftlichen Herkunft. Mit dieser radikaleren und – aus der Binnenperspektive völkischer Milieus – moderneren Inszenierung eines der zentralen Motive bei Wagner konnte Thoma in den einschlägigen Kreisen in Frankfurt am Main von sich reden machen.

Über den Leibarzt Richard Wagners, Otto Eiser, den auch Thoma in medizinischen Fragen konsultierte, erwuchsen dem Künstler gute Kontakte zur Familie Wagner. So verwundert es nicht, dass Cosima Wagner Thoma in den 1890er-Jahren mit neuen Kostümentwürfen für Bayreuth beauftragte, womit der Künstler reüssierte.

Wann genau dieses Gemälde von der bedeutenden Mäzenin Luisa Gräfin Erdödy erworben wurde, ist bislang nicht bekannt. Auch der rege Briefwechsel zwischen Thoma und ihr lässt hierüber keine Rückschlüsse zu.

Doch darf der ikonographische Bezug zu Richard Wagners Ring-Tetralogie wohl nicht unterschätzt werden, denn Erdödy achtete Wagner sehr. Die talentierte Pianistin, die ehemals von Franz Liszt unterrichtet worden war, hatte unter dem Pseudonym LIOS beachtlichen Erfolg mit ihren eigenen romantischen Liedkompositionen.

Und dennoch suchte sie in Thomas Arbeiten nicht allein Anknüpfungspunkte zur Musik. Auch sein Gemälde Im Paradies hatte Erdödy einst erworben, bevor sie es ebenfalls 1910 der Großherzoglichen Galerie für das Thoma-Museum schenkte.

Touren zu diesem Werk

Gemälde von Hans Thoma, in dem mehrere Kinder im Kreis tanzend abgebildet sind.

Hans Thoma als Künstler


In dieser Tour geben ausgewählte Gemälde Hans Thomas einen Einblick in die verschiedenen Schaffensphasen des Künstlers, der als "Lieblingsmaler der Deutschen" galt.
kurzweilig
zur Tour

Daten und Fakten

Titel Die Nornen
Künstler*in Hans Thoma
Entstehungszeit 1889
Inventarnummer 1292
Maße Bildträger H 100,0 cm  B 77,5 cm  
Maße Rahmen H 134,0 cm  B 111,5 cm  T 5,2 cm  
Material Pappe
Technik Ölfarbe
Gattung Gemälde
Abteilung Neue Malerei (nach 1800)
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