28. Okt. 2017 bis
11. Feb. 2018
Cézanne
Metamorphosen
Einer der Ausstellungshöhepunkte in der langen Geschichte der Kunsthalle Karlsruhe: Die Große Landesausstellung zum Werk Paul Cézannes.
Paul Cézanne (1839–1906) hat als Maler, Zeichner und Aquarellist ein überaus facettenreiches Werk geschaffen. Aufgrund seiner Tendenz zur Abstraktion der Bildelemente gilt er als wichtiger Wegbereiter der Moderne. Cézanne selbst hatte jedoch den Anspruch, die Malerei auf Grundlage der klassischen Kunst zu erneuern.
Die Ausstellung der Kunsthalle warf einen neuen Blick auf Cézannes lichte Landschaften, seine Badenden, Porträts und Stillleben.
Aktdarstellungen in Pastell
Klassische Motive des Stilllebens neu interpretiert
Vanitas – Symbole der Vergänglichkeit mit langer Tradition.
Cézanne als Geheimnissuchender, der das Wesen der Welt einzufangen versucht – es ist ein anderer Cézanne, als der Künstler, der bisher in retrospektiven Ausstellungen erlebt werden konnte. Erstmals macht eine Cézanne-Ausstellung dessen Werk als eine Einheit erfahrbar. Statt der klassischen chronologischen oder nach Bildgattungen geordneten Werkbetrachtung waren hier Gemälde verschiedener Gattungen und Schaffensphasen nebeneinander zu sehen. Wie hängt die Dramatik der frühen Figurenbilder mit der Erhabenheit und Dauerhaftigkeit seiner Stillleben zusammen?
Häufig wird angenommen, Cézanne habe im Spätwerk mit seinen künstlerischen Anfängen gebrochen. In der Ausstellung werden die inneren Zusammenhänge der verschiedenen Phasen und Entwicklungen aufgezeigt. Daneben wird auch deutlich, welche bedeutende Rolle der Kopie im Schaffen von Cézanne zukam. Der Künstler war sehr traditionsbezogen: Intensiv wie kaum ein zweiter seiner Generation kopierte er Alte Meister wie Zeitgenossen, um mit diesen schöpferisch umzugehen. Die den Vorbildern entnommenen Figuren und Details aus größeren Kompositionen leben in anderer, abgewandelter Form in seinen Gemälden weiter.
Die Ausstellung machte auch Doppeldeutigkeiten im Werk des Franzosen sichtbar. Er verflüssigte feste Strukturen und materialisiert weich fließende Formen – besonders deutlich wird dies beispielsweise an der Darstellung einer Jacke auf einem Hocker, die an die Montagne Sainte-Victoire erinnert.
Leihgaben
Rund 100 bedeutende Leihgaben aus internationalen Sammlungen in einer noch nie gesehenen Zusammenstellung gewähren den Blick auf einen „anderen“ Cézanne, darunter Werke aus dem J. Paul Getty Museum in Los Angeles, Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid, dem Metropolitan Museum und dem Museum of Modern Art in New York, der National Gallery of Canada in Ottawa, dem Musée d’Orsay in Paris, dem Puschkin-Museum in Moskau, dem Kimbell Art Museum in Fort Worth sowie dem Museu de Arte in São Paulo.
Cézanne. Metamorphosen war mit 116.361 Besucher*innen die bislang erfolgreichste Ausstellung in der Geschichte der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe.
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Hinter den Kulissen – Cézanne. Metamorphosen
Dr. Alexander Eiling, Kurator der Ausstellung
„Seit 2010 bin ich nach Stationen am Frankfurter Städel und dem Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen Kurator für Malerei und Skulptur ab 1800 an der Kunsthalle Karlsruhe. In dieser Zeit habe ich mich intensiv mit der französischen Kunst beschäftigt, die ein besonderes Sammlungs- und Forschungsgebiet unseres Museums ist. Ich beschäftige mich in Ausstellungsprojekten gerne mit neuen Sichtweisen auf vermeintlich gut erforschte KünstlerInnen. Cézanne ist ein Maler, den viele zu kennen glauben. Seine Werke sind oft reproduziert und besprochen worden. Die Ausstellung Cézanne. Metamorphosen möchte nun aber einen neuen Blick auf den Künstler werfen. Wir stellen seine Stillleben, Landschaften und Porträts nicht getrennt aus, sondern zeigen die motivischen Verbindungen zwischen den Werken auf. Davon gibt es mehr, als man glaubt. Für die BesucherInnen wird es daher spannend sein, die Wandlungen und Übergänge in Cézannes Kunst zu erleben. Es ist eine Entdeckungsreise, die wir bei den Vorbereitungen zur Ausstellung selber gemacht haben. Diese Erfahrung möchten wir nun gerne teilen.“
Eva-Maria Höllerer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ausstellung
„Ich habe in Heidelberg und Paris Kunstgeschichte und Museologie studiert und war anschließend an verschiedenen Museen in Frankreich und Belgien tätig. Die Auseinandersetzung mit der französischen Kunst hat sich damit nahezu automatisch ergeben. Teil des Cézanne-Projekts bin ich erst seit Kurzem. Für mich ist das die Gelegenheit Cézannes Kunst neu zu entdecken. Ich habe bisher an ganz unterschiedlichen Ausstellungen mitgearbeitet, die ein Spektrum von den Alten Meistern bis zur Gegenwart umspannen. Das ist eine gute Voraussetzung für diese Ausstellung, denn Cézanne hat sich selbst viel mit der Tradition der Malerei, aber auch mit Werken seiner Zeitgenossen auseinandergesetzt und die gewonnenen Erkenntnisse dann in seine eigene Formensprache übertragen. Besonders seine Zeichnungen und Aquarelle offenbaren wie er seine Motive entwickelte und verwandelte. Das ist sehr spannend und ich freue mich schon auf die Reaktionen der BesucherInnen …“
Dr. Juliane Betz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ausstellung
„Ich habe Kunstgeschichte in Freiburg im Breisgau studiert. Meine Dissertation über französische Reproduktionsgraphik im 19. Jahrhunderts habe ich 2013 an der Universität Heidelberg abgeschlossen. Nach der wissenschaftlichen Mitarbeit an einem DFG-Projekt zur Blickbewegungsforschung und Wahrnehmung von Kunst kam ich 2010 an die Kunsthalle. Dort war ich v.a. an den Ausstellungen Lumière Noire, Déjà-vu? und Fragonard. Poesie und Leidenschaft beteiligt. Da ich mich speziell für die französische Kunst des 19. Jahrhunderts interessiere, begeistert mich die Vorbereitung der Ausstellung Cézanne. Metamorphosen. Es gibt dort zahlreiche spannende Querverbindungen zwischen den Exponaten zu entdecken, die zum Interpretieren oder Weiterdenken anregen und den BesucherInnen sicherlich viel Freude bereiten werden.“
Es ist gerade ‚das‘ Thema in der Kunsthalle: Schon seit Monaten arbeiten nicht nur mein Team und ich, sondern auch viele andere Kolleg*nnen mit Hochdruck auf dieses Projekt hin ‒ unser Ausstellungshighlight im Winter 2017/18 Cézanne. Metamorphosen.
Natürlich ist es nicht das erste Projekt, das Cézanne gewidmet ist: Vielerorts, in Paris, London, Philadelphia, Basel, Tübingen, Budapest konnte man schon Ausstellungen mit seinen Werken sehen. Warum also schon wieder Cézanne?
Das kann man zu Recht fragen und daher nun noch einmal ganz auf Anfang: Copy & Paste war das Thema in der Ausstellung Déjà-vu, die wir 2012 in der Kunsthalle zeigten. Dabei ging es nicht nur um das neuzeitliche Phänomen des Kopierens, sondern auch um dessen lange Tradition im künstlerischen Kontext: Ohne Kopie und Wiederholung gäbe es die Bildenden Künste nicht, so eine These der Ausstellung. Diese Fragen nach Rolle und Funktion der Kopie im künstlerischen Schaffensprozess nahmen wir damals zum Anlass, uns auch eingehend mit dem Kopierverhalten in der französischen Kunst zu beschäftigen und das kreative sowie schöpferische Potenzial der Kopie zu erforschen. Viele dröge, sklavisch wiederholende Kopien begegneten uns dabei.
Die Arbeiten von Delacroix, Géricault, Courbet und Degas offenbarten jedoch, dass in der Technik des Kopierens mehr steckte. Die von ihnen angefertigten Kopien sind eigenständige Interpretationen und zeigen, dass in der Aneignung des Fremden auch immer etwas Eigenes verborgen ist. Degas war in der Ausstellung Déjà-vu zwar nur mit einer Arbeit vertreten, mein Interesse für sein Kopierverhalten aber war entfacht. Und so fand ich zahllose Kopien nach Alten und Neuen Meistern aktualisiert und modernisiert in seinen Tänzerinnen wieder. Auch übertrug er die dramatischen und ausladenden Gesten von Figuren aus der Historienmalerei auf die Darstellung von Sängerinnen auf Pariser Bühnen. Kopien von Reitern und Pferden aus dem Parthenon-Fries warf er Jockey-Kostüme über und arbeitete sie zu Rennbahn-Darstellungen um.
Ganz fasziniert von diesen Erkenntnissen und Parallelen war dies nicht nur Ausgangspunkt für die Ausstellung Degas. Klassik und Experiment 2014, sondern auch für eine erneute intensive Auseinandersetzung mit Cézanne. Denn auch Cézanne besaß eine ausgeprägte Leidenschaft für das Kopieren, auch er sah sie nicht nur als Lehrstück oder Fingerübung, sondern ebenso wie bei Degas tauchen auch bei ihm Kopien bis ins Spätwerk hinein auf.
Anders als bei Degas ist die Bandbreite seiner Vorbilder jedoch weitaus geringer, Cézanne legte einen Schwerpunkt auf Gemälde und Skulpturen des Barock. Aber warum? Woher kam seine Affinität zur Kopie? Wozu gebrauchte der als „Vater der Moderne“ gefeierte Künstler die Kopien? Welche Rolle spielen sie in Bezug auf sein Werk und wie wirkten sie sich darauf aus? All diese Fragen führten mir das Potenzial, beinahe eine Notwendigkeit, für eine weitere Cézanne-Ausstellung vor Augen.
Diese sollte allerdings einen neuen Blick auf einen ganz anderen Cézanne werfen: Cézannes Kopien und ihr Gebrauch sind außergewöhnlich. Statt ganze Posen oder Figurenkompositionen aus den Vorlagen zu übernehmen kopiert er meist fragmentarisch. Sein Interesse gilt häufig kleinsten Strukturen und auf den ersten Blick nebensächlichen Details: einem Faltenwurf, einer Drehung oder einem Übergang von Figur zu Figur. Es sind Strukturen und Zwischenräume, die ihn besonders faszinierten.
Die Lehren, die er aus diesen Kopien gezogen hat, finden sich in seinen eigenen Kompositionen – ganz gleich welcher Gattung – wieder. Und so begaben wir uns auf die detektivische Suche nach solchen Strukturen und entdeckten die Gleichen in Stillleben, die wir zuvor bereits in Landschaften und Figurenkompositionen ausmachen konnten! Sind die verschiedenen Motive bei Cézanne vielleicht durch eine innere Einheit, eine kompositorische Grundstruktur miteinander verbunden? Ist die klassische Einteilung seines Werkes in die Kategorien Landschaft, Stillleben, Badende und Porträt im Grunde gegen die Ideen des Künstlers gerichtet, der weniger in Motiven als in Strukturen dachte? Fasziniert durch diese Idee forschten wir nach dem roten Faden, der sich durch sein umfassendes Werk zieht, und nach Möglichkeiten, diese Hypothese in Form einer Ausstellung zu zeigen.
Die gängige Praxis der nach Gattungen sortierten und chronologischen Präsentation wird in Karlsruhe daher immer wieder aufgebrochen. Die Besucher*innen werden das Werk Cézannes so als „Metamorphose“ erleben können, in der ein Motiv in ein anderes übergeht und das darauf folgende schon im Keim enthält. Darstellungen, die auf den ersten Blick ganz unterschiedlich anmuten, können miteinander in Beziehung gesetzt werden und dazu verhelfen, einen anderen Cézanne kennenzulernen.
Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde werden in einer gemischten Hängung nebeneinander gezeigt. Alle diese Techniken stehen in Cézannes Werk in fruchtbarer Wechselwirkung zueinander. Er brachte ihnen die gleiche Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegen, ohne die Vorstellung von einer Hierarchie zu teilen, wie sie an den Kunstakademien gelehrt wurde: von der Skizze zur Zeichnung zum Aquarell zum Gemälde. Gerade hierin liegt ein großer Teil seiner Modernität, die ihn für kommende Generationen so attraktiv machte. Cézanne kann man als einen sperrigen Eigenbrötler sehen – um ihn besser zu verstehen, hilft es aus meiner Sicht, sich ihm über das Prozesshafte zu nähern.
Cézanne. Metamorphosen setzt sich dies als Aufgabe. So viel zur Geburt der Idee, auf die weit über tausend Stunden Recherche, viele Gespräche, Konzepte und Reisen sowie unzählige andere Dinge folgten und folgen werden, bis dann Ende Oktober die Ausstellung eröffnet wird. Das Cézanne-Team freut sich schon darauf, seine Entdeckungen und Erkenntnisse den Besucher*nnen zu vermitteln.
von Dr. Alexander Eiling
Schon viele Monate bevor Cézanne tatsächlich in der Kunsthalle Karlsruhe zu sehen sein wird, begannen die Reisen zu internationalen Museen, die allesamt Werke in ihrer Sammlung haben, die unsere Metamorphosen-Idee verbildlichen. Vor Ort verschafften wir uns den unersetzlichen Eindruck der Werke im Original und tauschten uns mit den Kolleg*nnen aus.
Der erste Beitrag zu den Reisen der Cézanne-Werke nach Karlsruhe führt uns in das Fine Arts Museum of San Francisco. Das Museum besteht aus zwei auch räumlich voneinander getrennten Teilen, das de Young Museum konzentriert sich auf die Kunst Amerikas, während im Legion of Honor europäische Kunst präsentiert wird. Da das Legion of Honor in einem auch als Golfplatz genutzten Park liegt, ist es empfehlenswert, sich schon auf dem Weg zum Museum aufmerksam und mit hellwachen Blick zu bewegen: Nur so kann man der Gefahr entgehen von einem Golfball getroffen zu werden. Die Wetterlage am Tag meines Besuchs, ein eiskalter dichter Nebel, erschwerte den Weg ins Museum zusätzlich. Zum Glück wurde aber kein Golf gespielt.
Doch für all das wurde ich im Inneren reichlich entschädigt: Das Objekt der Begierde war „Waldinneres“ aus Cézannes Spätwerk. Spannend an dieser charakteristischen Waldlandschaft ist, dass die Frage nach dem Ort der Entstehung nicht sicher geklärt werden kann: Neben Aix-en-Provence (hier könnten die Landschaften unterhalb des Château Noir oder rundum den Steinbruch Bibémus mögliche Orte sein) kommt auch der Wald von Fontainebleau in Frage, ein Ort, an dem Cézanne während seiner Parisaufenthalte häufig malte.
Bei Malern wie Corot, Rousseau oder Millet, die alle drei zu der Schule von Barbizon zählen, war dieser Wald ein beliebtes Motiv. Dabei standen zufällig gewählte und unspektakuläre Naturausschnitte im Zentrum, womit die Schule von Barbizon als ein Wegbereiter des Impressionismus galt. Seit 1861 ist der Wald übrigens dank seiner zunehmenden Beliebtheit als Erholungsort und Rückzugsort im 19. Jahrhundert Naturschutzgebiet – eines der ersten weltweit.
Doch zurück zu Cézannes Werk. Dieses sprach mich auch deshalb besonders an, da es gerade in der Gegenüberstellung zu seinen Aquarellen von Bäumen und Lichtungen deutlich macht, wie die Aquarelle die Gemälde in äußerst reduzierter Form aufgreifen und als eigenständige Werke parallel zu seiner Ölmalerei entstehen. Statt der konkreten Situation geht es auch hier wieder um eine Grundstruktur, die er motivübergreifend einsetzte.
Die nächsten Reisen auf dem Weg zu Cézanne-Metamorphosen in Karlsruhe führten uns dann nach Moskau, New York und Philadelphia, doch dazu bald mehr.
von Dr. Alexander Eiling
Nach San Francisco und Moskau führte die Reise auf dem Weg zu Cézanne. Metamorphosen auch nach Paris. Hier zeigten die Kolleg*innen aus dem Musée d’Orsay mit Portraits de Cézanne eine Cézanne-Ausstellung, die sich auf das Porträtschaffen des Künstlers konzentrierte. Es waren nicht zuletzt die wunderbaren Werke aus den großen Museen der Welt, von denen einige auch zu uns kommen werden, die mich nach Paris in die Ausstellung zogen.
Sehr gut konnte man hier sehen, dass es Cézanne nicht darum ging, eine möglichst große Ähnlichkeit von Werk und Modell zu erreichen, sondern dass das Modell vielmehr ein Vorwand für seine malerischen Untersuchungen zu Farbe und Form war. Die Porträtsitzungen waren für seine Modelle unerträglich lang, über Stunden hinweg mussten sie stocksteif verharren. Kein Wunder also, dass der Künstler nur in seinem unmittelbaren Familienumfeld oder bei seinen Bediensteten „Freiwillige“ fand. So erklären sich auch die zahlreichen Darstellungen seiner Frau Hortense – alleine über dreißig Ölgemälde zeigen sie – oder die seines Gärtners. Wie kräftezehrend diese Sitzungen für die Modelle waren, verdeutlicht die Erzählung, nach der ein Freund seines Sohnes Paul während der Sitzung für das Doppelbildnis Mardi Gras in Ohnmacht fiel.
In unserer Ausstellung Cézanne. Metamorphosen möchten wir unter anderem zeigen, dass die Porträts in Cézannes Werk Stillleben gleichen: Verkürzt formuliert könnte man sagen, dass für den Künstler ab einem gewissen Zeitpunkt kein Unterschied mehr darin bestand, ob er sich einem Kopf oder einem Apfel widmete – die Grenzen in seiner Malerei waren fließend. Selten hatte man die Gelegenheit, die Porträts von Cézanne in dieser Fülle sehen zu können. Wer die Ausstellung verpasst hat, kann sie in leicht abgewandelter Form als nächstes in der National Portrait Gallery in London (ab dem 26.10.) und danach in der National Gallery in Washington besuchen – einem „Cézanne-Herbst“ steht also nichts im Wege.
von Dr. Alexander Eiling
Nachdem uns die letzte Reise auf dem Weg zu Cézanne. Metamorphosen nach San Francisco führte, geht es heute in den Osten: Mit einem Flugticket nach Moskau war mein Ziel das dortige Puschkin Museum. Nachdem wir Max Beckmanns „Abtransport der Sphinxe“ und Jean Dubuffets „Landschaft des Formlosen“ als Leihgaben der Kunsthalle restauratorisch überprüften und für die dortige Ausstellung Facing the Future: Art in Europe 1945–1968 hängten, konnte ich mich Cézanne widmen.
Das Puschkin Museum ging ursprünglich aus dem Kabinett für Schöne Künste und Altertümer der Moskauer Universität hervor und umfasste anfangs vor allem antike Vasen und Abgüsse antiker Skulpturen. Diese Ausrichtung wandelte sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts: Die wichtigsten Epochen der Kunstgeschichte sollten fortan hier abgebildet werden. Mit diesem Vorhaben war das heutige Puschkin Museum das erste seiner Art in Russland und erfreute sich schon kurz nach seiner Eröffnung 1912 großer Beliebtheit bei Publikum und Mäzenen. 1948 wurde das Museum der neuen westeuropäischen Kunst aufgelöst und seine umfassende Sammlung an Gemälden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurde zwischen Leningrad und Moskau aufgeteilt.
Dank dieser Entwicklungen ist das Puschkin Museum heute eine wahre Schatzkammer für französische Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Mit 14 Cézanne-Gemälden besitzt es eine der größten Sammlungen des Künstlers. Die Werke gehen zurück auf die berühmten Sammlungen von Ivan Morosov und Sergej Shchukin, zwei frühen Großsammlern der französischen Moderne in Russland. „Mardi Gras“ und „Brücke über den Teich“ haben es mir im Zusammenhang der Idee der Ausstellung Metamorphosen besonders angetan.
Letzteres zeigt deutlich Cézannes charakteristische Malweise, bei welcher er das Motiv nicht mehr realistisch abbildet, sondern es durch ein System gebündelter Strichlagen neu entwickelt. Diese Striche, in unterschiedlichen Ausrichtungen rhythmisch über die Leinwand verteilt, lassen eine aus Farbe gewebte Oberfläche entstehen. So werden also keine Details mehr geschildert, sondern vielmehr haben diese Strichbündel das Potenzial die unterschiedlichsten Dinge entstehen zu lassen: Von Landschaften über Stillleben bis hin zu Porträts. Diese Methode ist damit sozusagen eine der Grundvoraussetzungen für die von uns dargestellte Metamorphose in Cézannes Werk.
Mit Marina Loshak, der Direktorin des Puschkin Museums und dem Kurator Alexey Pethkhov konnte ich bei meinem Besuch in Moskau nicht nur über Cézanne sprechen, sondern auch die Ausleihe der beiden Werke zu uns nach Karlsruhe verhandeln. Nach einem Besuch des Roten Platzes, des Kaufhaus Gum und der Tretjakov Galerie kehrte ich wieder zurück nach Karlsruhe in die Kunsthalle, um mich vor Ort weiter in die Vorbereitungen zu Cézanne. Metamorphosen zu stürzen.
von Dr. Alexander Eiling
Bei den Reisen, die ich rund um die Ausstellung Cézanne. Metamorphosen machte, durfte dieser Ort selbstverständlich nicht fehlen: Aix-en-Provence. Hier wurde der Paul Cézanne nicht nur geboren, er liebte diesen Ort auch sein Leben lang wie keinen zweiten.
Aix war der Ausgangspunkt für eine Pressereise auf den Spuren von Cézannes Kunst. Zuerst besuchten die Journalist*innen und ich das Atelier des Malers, in dem wir eine Einführung durch den Direktor der Tourismus Zentrale von Aix, Michel Fraiset, erhielten. Das Atelierhaus ist oberhalb von Aix gelegen. Cézanne ließ es nach eigenen Entwürfen bauen und bezog es 1902. Nach seinem Tod blieb ein Großteil des Inventars erhalten. Später wurde das Atelier zu einem Museum, in dem man noch heute viele der Requisiten besichtigen kann, die in Cézannes Werken erscheinen: die Totenköpfe, den Gipsputto, Keramikgefäße, Schalen und Tische. In unserer Ausstellung Cézanne. Metamorphosen werden mehrere Arbeiten zu sehen sein, die direkt auf Requisiten aus dem Atelier Bezug nehmen.
Im Anschluss an den Atelierbesuch ging es zum Steinbruch Bibémus, wo wir Motive aus Cézannes Gemälden suchten. Bereits zu Zeiten des Künstlers war der Steinbruch stillgelegt und zeigte die Spuren des Abbaus, die zum Teil geometrische Formen hinterlassen hatten. Cézanne schätzte die Einsamkeit des Ortes und machte ihn ab den späten 1890er-Jahren zum Motiv zahlreicher Gemälde und Aquarelle.
Schließlich besuchten wir den Jas de Bouffan, das Landgut der Familie von Cézanne, in dem er sich ein weiteres Atelier eingerichtet hatte. Als junger Künstler hatte er damit begonnen, den Salon des Hauses mit Wandmalereien auszustatten. Heute befinden sich dort noch Reproduktionen. Das Haus ist mittlerweile geschlossen und soll zu einem Ausstellungszentrum umgebaut werden.
Wer auch einmal auf den Spuren Cézannes wandeln möchte, dem sei eine Reise in seine geliebte Heimat Aix-en-Provence ans Herzen gelegt.
von Dr. Alexander Eiling
Es ist schon einige Zeit her, seitdem ich das letzte Mal ein Klassenzimmer betreten habe. Am 10. Mai 2017 war es dann mal wieder soweit. Auch unsere FSJlerin Bianca Werner war aufgeregt: Dort, am Max-Planck-Gymnasium in Karlsruhe, hatte sie im vergangenen Jahr ihr Abitur gemacht. Und nun stand sie als Teil des Referats Kunstvermittlung der Kunsthalle mit uns „auf der anderen Seite“.
Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der 9. Jahrgangsstufe sowie der Lehrerin der Kunst-Profil-Klasse Anna Veigel entwickelten wir einen Multimediaguide für die große Sonderausstellung Cézanne. Metamorphosen: Der Inhalt sollte sich nicht nur an junge Menschen richten, sondern auch von diesen erdacht werden. Von der Zielgruppe für die Zielgruppe, sozusagen. Anna Veigel hatte mit ihrer Klasse eine beeindruckende Vorarbeit geleistet, die uns die Schüler*innen bei unserem ersten Treffen in Form von ganzen zehn Programmpunkten präsentierten. Damit wurden unsere Erwartungen weit übertroffen: Mit so viel Engagement und großer Neugier gegenüber Cézanne und seinem Schaffen, aber auch gegenüber unserer Arbeit im Museum, hatten wir nicht gerechnet. Die Schüler*innen widmeten sich den Techniken, Motiven und natürlich dem Leben Cézannes und stießen dabei immer wieder auf spannende Geschichten, die sie auf unterschiedlichste Weise in den Multimediaguide einfließen ließen.
Im Juni verbrachten die Schüler*innen dann eine ganze Woche bei uns in der Kunsthalle und arbeiteten mit uns intensiv an den Inhalten für den Multimediaguide, so dass dieser zunehmend Gestalt annahm. Jede Gruppe widmete sich einem selbstgewählten Thema, das sie mit Hilfe eines jeweils geeigneten Mediums in einem Beitrag behandelten: Die einen feilten an ihrer Aquarell-Technik, die anderen suchten Requisiten für Filmaufnahmen aus und zwei Schüler*innen zogen gleich die Tanzoutfits an! Für die Performance Cézanne und die Kunst wurde die Rotunde der Orangerie kurzerhand zum Ballettsaal umfunktioniert und von klassischer Musik erfüllt. Wie zwei Pole, die sich immer wieder nähern, entfernen, sich um sich selbst drehen und gegenseitig berühren, veranschaulichen die beiden die von ihnen wahrgenommene besondere Beziehung Cézannes zur Malerei (und tatsächlich auch umgekehrt). Einige durchgescheuerte Socken später war es soweit: Das erste Video für den Multimediaguide war fertig – und es kann sich sehen lassen!
In der Zwischenzeit waren die übrigen Gruppen natürlich auch nicht untätig: Es wurde geschrieben, verkleidet, gemalt, diskutiert, geschauspielert, gefilmt, komponiert und am Ende vor allem das Sprechen geübt. Immerhin sollten die Schüler*innen ihre Beiträge nicht nur selbst entwickeln, sondern auch selbst im Tonstudio einsprechen. Mit der professionellen Unterstützung von Rebecca Lenaerts, deren Workshop für eine Menge Spaß, aber auch für eine ganze Menge Selbstbewusstsein und Sprachgefühl sorgte, wurden Sprechtechniken erlernt. Im Tonstudio wurden anschließend sogar Pläne zu einer eigenen Radioshow geschmiedet. Dieses spannende Projekt hat uns nicht nur große Freude bereitet, sondern die Kreativität der Schüler*innen hat uns imponiert und inspiriert – wir bedanken uns herzlich bei den Schüler*innen und Anna Veigel für die gelungene Kooperation!
von Sandra Trevisan, Kunstvermittlung