Ugly Renaissance Babies
Vor einigen Jahren ging der tumblr-Feed „Ugly Renaissance Babies“ viral – Hans Baldung Grien war gleich mit mehreren Werken vertreten.
Ein prominentes Beispiel von Baldung findet sich auch in der Sammlung der Kunsthalle Karlsruhe: In der Geburt Christi aus dem Jahr 1539 ist das Jesus-Kind mit mürrischem Gesichtsausdruck und leichenblass dargestellt. Das Jesus-Baby leidet hier nicht etwa an schlechter Laune, vielmehr verbindet Baldung in nur einer Darstellung zwei Momente im Leben Jesu: Die Geburt, die zugleich auf den Tod vorausweist.
Die Leichenblässe des Babys, das an Stelle einer Windel ein weißes Tuch um die Hüften trägt, und der leidvolle Gesichtsausdruck mit den heruntergezogenen Mundwinkeln lassen das Schicksal vom Opfertod erahnen, das bereits bei der Geburt Christi feststeht. Wie die zwei Engel hier Jesus halten, ist der sogenannten Engelspietà entlehnt. Dieser Darstellungstypus beschreibt die Beweinung des Leichnams Christi.
Baldungs „Ugly Renaissance Baby“ ist, wenn auch zum Meme geworden, also nicht etwa mangelndem Können geschuldet, sondern eine raffinierte und erzählerisch dichte Darstellung wichtiger biblischer Ereignisse.
Die Verbindung der Geburt und Passion Christi hat Baldung mehrfach aufgegriffen. In dieser früheren Weihnachtsszene wird neben dem Verweis auf das Schicksal der Kreuzigung – ebenfalls mit Lendentuch bzw. Leichentuch und Leichenblässe – die Bedeutung Jesu als „Licht der Welt“ deutlich: Das leuchtend weiße Kind erhellt den dunklen Stall, der Engel wird sogar geblendet, nur die Muttergottes kann es direkt ansehen.
Vom Man Child zum Baby Face
Bei den „Ugly Babies“ unter dem Thread handelt es sich überwiegend um Christus-Darstellungen aus dem Mittelalter. Zu dieser Zeit ist die Kirche der größte Auftraggeber von Kunstwerken. Dadurch ergibt sich eine Konzentration auf religiöse Themen: In den Gemälden werden biblische Inhalte vermittelt, und ihr Hauptakteur ist Jesus.
Die tumblr-User*innen empfinden Darstellungen des Jesus-Kindes heute nicht nur aufgrund der seltsam wirkenden Posen und Gesichtsausdrücke als „hässlich“, sondern weil sie unserer heutigen Vorstellung eines Babys widersprechen. Häufig erscheint das Jesus-Baby in den Darstellungen wie ein älterer Mann – lediglich auf Kindergröße geschrumpft.
Göttlich, Kindlich, Kindisch?
Im christlichen Glauben ist Jesus der „menschgewordenen Sohn Gottes“ – sollte er wie ein „echtes“ Baby oder bereits als Kind göttlich allwissend und vollkommen und daher eher im Körper eines Erwachsenen dargestellt werden?
Im Mittelalter bildete sich die zweite Variante als Darstellungs-Konvention heraus, in der Renaissance ändert sich diese typische Darstellung jedoch. Neben der Kirche können sich vermehrt auch Privatleute Kunstwerke leisten. In Familienbildnissen der Zeit werden Kinder oftmals realistischer dargestellt. Auch weil das Interesse der Künstler und Künstlerinnen an der Proportionslehre des Körpers wächst, werden naturalistische oder idealisierte Baby-Gesichter schließlich zur neuen Norm – auch für das Jesuskind.
Die Frage nach der Göttlichkeit des Christus-Kindes berührt auch das Motiv der „Maria lactans“: Hier stillt Maria das Jesus-Baby und betont in dem intimen Moment zwischen Mutter und Sohn das Menschliche. In die Auswahl der „Ugly Baby Memes“ dürfte es dieses Bild wohl aufgrund des offensiven Blickkontakts mit den Betrachtenden geschafft haben.
Baldungs Engelkinder, die sogenannten Putti oder Putten, sind Beispiel für den Wandel der Darstellungskonvention: Mit Pausbacken und Babyspeck sehen sie aus wie Kleinkinder. In manchen Werken spielen sie jedoch Musikinstrumente wie Laute und Harfe – ein Hobby, das eher von Erwachsenen gepflegt wird. Ihr wildes Treiben, beispielsweise das Werfen mit Äpfeln in diesem Tafelbild, bewahrt aber ihre Kindlichkeit. Ganz bewusst setzte Baldung Putti immer wieder als eine Art „comic relief“ ernster Szenen ein.