
"Schlafe, mein Kind"
Kunsthalle x Lisa Masé
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Inszenierte Mutterschaft
Ein Baby schlummert friedlich in der eigenen Wiege. Nichts braucht es mehr als die sanften Gitarrenklänge der Mutter, die hier musikalische Früherziehung betreibt und ganz nebenbei die Care-Arbeit mit dem eigenen musischen Hobby verbindet. Was für ein Idyll! Die Szenerie in Schlafe, mein Kind wirkt in ihrer Idealisierung von Mutterschaft so überspitzt, dass es aus heutiger Sicht fast etwas Humorvolles bekommt.
Die Schöpferin dieses Werkes, Marguerite Gérard war eines von 16 Kindern eines in Grasse ansässigen Parfümeurs. Mit 14 Jahren zog sie nach Paris zu ihrer Schwester zurück, die mit dem berühmten Maler Jean-Honoré Fragonard verheiratet war. Dieser erkannte ihr Talent und verpflichtete sich ihrer Förderung. So wurde Gerard nicht nur Zugang zu Künstlerkreisen ermöglicht, auch erlaubte die „Obhut“ ihres Schwagers ihr, sich auf die eigene Karriere als eine der wenigen erfolgreichen weiblichen Malerinnen zu konzentrieren. Ebenso hatte sie das seltene Privileg sich selbstbestimmt gegen eine Heirat und Mutterschaft zu entscheiden. Nichtsdestotrotz zeigen viele ihrer Werke Mütter und Kinder. Auch in dem Gemälde Schlafe, mein Kind inszeniert Gérard eine häusliche Szene zwischen Mutter und Baby. Dabei greift sie einen wichtigen Impuls der Aufklärung auf. Jean-Jacques Rousseau vertrat die Ansicht, dass Mütter ihre Kinder am besten selbst erziehen sollten und nicht, wie bis dato üblich, von Kindermädchen oder Hauslehrer*innen.
Idealisierte Mutterschaft
Gérard würdigt diese mütterliche Idealvorstellung der Aufklärung, indem sie im Hintergrund des Bildes eine Schmuckschatulle positioniert. Sie schafft so auch eine Analogie zu einem Kind als wertvollem Schatz.
Aus heutiger feministischer Perspektive ließen sich vor dem Hintergrund dieses Ideals viele Verknüpfungen zum Phänomen des mum shamings ziehen. Dabei werden Mütter unter Druck gesetzt und abgewertet, die sich etwa bewusst für eine Fremdbetreuung entscheiden oder das eigene Kind nicht auf eine solch gesittete und bilderbuchartige Weise zum Einschlafen bringen.
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Kunsthalle x Lisa Masé
Daten und Fakten
Titel | "Schlafe, mein Kind" |
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Künstler*in | Marguerite Gérard |
Entstehungszeit | um 1788 |
Inventarnummer | 2691 |
Maße Bildträger | H 55,0 cm B 45,0 cm |
Maße Rahmen | H 68,4 cm B 58,2 cm T 6,5 cm |
Material | Leinwand |
Technik | Ölfarbe |
Genre | Genre |
Gattung | Gemälde |
Abteilung | Alte Malerei (vor 1800) |
Horst Vey, Eckhard von Knorre, Slg. Kat. Karlsruhe 1984, S. 31-32: „Das Bildnis an der Rückwand stellt Albert de Ligne, Fürsten von Barbançon und Arenberg (1600-74), dar. Als Vorlage diente der Stich Schelte von Bolswerts aus Van Dycks „Ikonengraphie“. Vgl. M. Mauquoy-Hendricks, L’Iconographie d’Antoine van Dyck, Brüssel 1956, S. 183, Nr. 19, Abb.
Ein Schabkunstblatt von Henri Gérard gibt Nr. 2691 im Gegensinn wieder (Unterschrift: Dors mon enfant; M.te Gerard pinxit). Dieser Stich wurde am 12.10.1789 im Journal de Paris angezeigt, im Dezember 1789 im Mercure de France. (Zu H. Gérard jüngst: Bibliothèque Nationale. Inventaire du Fonds Français. Graveurs du XVIIIe siècle 10, 1968, S. 102-03 und S. Wells-Robertson 1978,S. 745, Kat. Nr. 12a) Der naheliegenden Annahme, Nr. 2691 sei bald von dem Stich, also wahrscheinlich 1788 entstanden, widersprach jedoch Wells-Robertson (1978) aus stilistischen Gründen und datierte 1783-85.
Im Versteigerungskatalog von 1795 wurde Nr. 2691 als Werk von „Fragonard et la citoyenne Gérard“ aufgeführt. Entsprechend zählen auch Wildenstein (1960) und Wildenstein/Mandel (1972) Nr. 2691 unter die Werke Fragonards. Für diesen kämen aber wohl nur das Kind, sein Kissen und die weiße Decke und vielleicht noch das Hündchen in Frage, da deren Malweise anders und in der Tat aus Werken Fragonards vertraut ist. Wells-Robertson (1978 und brieflich 1980) glaubte indes nicht an eine Mitarbeit Fragonards (freilich ohne Nr. 2691 im Original zu kennen) und wies darauf hin, daß verschiedenartige Malweisen in vielen Gemälden Gérards zu finden seien, auch in solchen, die nach Fragonards Tod entstanden.
Doin (1912) gab das von H. Gérard 1790 reproduzierte Bild „L’Espoir du Retour“ als Gegenstück zu Nr. 2691 aus. Wells-Robertson (1978, S. 742-43, Kat. Nr. 11, 11b und brieflich 1980) schlug „Les Premières Caresse du Jour“ als Gegenstück vor.“
Die Frage nach einer möglichen Beteiligung Fragonards, Lehrmeister und Schwager Gérards, an dem Karlsruher Gemälde konnte bis heute nicht abschließend geklärt werden. In der Diskussion wurden der Signatur des Gemäldes (laut Sally Wells-Robertson wohl nicht eigenhändig, brieflich 23.03.1980), der Adresse des Reproduktionsstiches (einzig Gérard wird als Erfinderin genannt) sowie der Zuschreibung im Verkaufskatalog der Sammlung Villers (an Fragonard und Gérard) unterschiedliches Gewicht gegeben. Die Mehrzahl der mit dem Oeuvre der beiden Künstler beschäftigten Forscher gehen jedoch aus stilistischen Gründen von einer Mitarbeit Fragonards aus, wenngleich die Meinungen über die jeweiligen Anteile divergieren: Jean-Pierre Cuzin (1988 und 2006) schreibt den Entwurf sowie einen großen Teil der Ausführung, insbesondere aber Kopf und Haar der Mutter, das Kind sowie den Hund Fragonard zu, während Möbel und Stoffe von Gérard stammten. Pierre Rosenberg zufolge (Ausst. Kat. Paris-München-Bonn 2005) beschränkt sich der Anteil Fragonards einzig auf das Gesicht der Gitarrenspielerin, das Kind sowie den Spaniel. Und auch Carole Blumenfeld führt das Gemälde im Werkverzeichnis 2019 als eine Gemeinschaftsarbeit an (ohne jedoch die verschiedenen Einzelanteile herauszuarbeiten).
Uneinigkeit besteht im Hinblick auf eine exakte Datierung innerhalb der 1780er Jahre: die Angaben reichen von 1783-1784 (C. Blumenfeld 2019) bzw. 1783-1785 (S. Wells-Robertson 1978/1981) über 1786 (P. Rosenberg, Ausst. Kat. Paris-München-Bonn 2005) bis ins Jahr 1788 (J.-P. Cuzin 1988), also kurz vor Entstehung und Veröffentlichung des Schabblattes von Henri Gérard.
In der Diskussion um ein mögliches Pendant fügte Pierre Rosenberg das ebenfalls Fragonard und Gérard zugeschriebene Gemälde „La Liseuse“ (Cambridge, The Fitzwilliam Museum, Inv. M. 8) der Liste der in Frage kommenden Bilder hinzu (Ausst. Kat. Paris-München-Bonn 2005).
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Poussin, Watteau, Chardin, David. Peintures françaises dans les collections allemandes (...)
Galeries Nationales du Grand Palais, Paris 18.04.-31.07.2005
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Poussin, Lorrain, Watteau, Fragonard... Französische Meisterwerke des 17. und 18. Jahrhunderts (...)
Kunst- und Ausstellungshalle der BRD, Bonn 17.02.-14.05.2006
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Jean-Honoré Fragonard (1732 - 1806). Orígenes e influencias. De Rembrandt al siglo XXI
CaixaForum Centro Social y Cultural, Barcelona 10.11.2006-11.02.2007
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Kunsthalle@ZKM. Ein neuer Blick auf die Sammlung
Highlight-Präsentation ZKM ab 29.04.2023
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1863: Histoire de l'art pendant la révolution
Renouvier, Jules
Considéré principalement dans les estampes -
1886: L'École Française de peinture
Marmottan, Paul
1789-1830 -
1899: L'image de la femme
Dayot, Armand
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1912: Marguerite Gérard (1761-1837)
Doin, Jeanne
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1951: Fragonard eut-il un Atelier?
Wilhelm, J.
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1960: The paintings of Fragonard
Wildenstein, Georges
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1972: L'opera completa di Fragonard
Wildenstein, Daniel; Mandel, Gabriele
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1979: Art: Recording the Charms of Music
[o. A.]
Instruments and Players Captured on Canvas -
1980: Neuerwerbungen 1979
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
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1981: Marguerite Gérard
Wells-Robertson, Sally
1761-1837 -
[nach 1981]: Wesen und Bedeutung der Genremalerei von Marguerite Gérard (1761-1837)
Euchner, Angelika
Unpubl. Magisterarbeit, Universität Freiburg i. Br. -
1984: Neuerwerbungen für die Gemäldegalerie 1972-1984
Hrsg.: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
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1987: Fragonard
Pierre Rosenberg
Galeries Nationales d'Exposition du Grand Palais, Paris, 24.09.1987-04.01.1988; The Metropolitan Museum of Art, New York, 02.02.-08.05.1988 -
1988: Fragonard
Jean-Pierre Cuzin
Leben und Werk -
1988: Ausgewählte Werke der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Lüdke, Dietmar; Reising, Gert; Simons-Kockel, Katrin
150 Gemälde -
1989: Tout l’oeuvre peint de Fragonard
Rosenberg, Pierre
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1999: Jean Siméon Chardin 1699 - 1779
Hrsg.: Staatl. Kunsthalle Karlsruhe; Konzeption: Lüdke, Dietmar
Werk - Herkunft - Wirkung -
2005: Poussin, Lorrain, Watteau, Fragonard ...
Rosenberg, Pierre (Hg.)
Französische Meisterwerke des 17. und 18. Jahrhunderts aus deutschen Sammlungen -
2005: Gesamtverzeichnis Französische Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts in Deutschen Sammlungen
Rosenberg, Pierre; Mandrella, David
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2006: Gérard, Marguerite
Blumenfeld, Carole
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2006: Jean-Honoré Fragonard (1732 - 1806)
Cuzin, Jean Pierre
Orígenes e influencias. De Rembrandt al siglo XXI -
2007: La touche et la note
Blumenfeld, Carole
Quelques idées sur la représentation musicale dans la peinture de genre sous Louis XVI -
2009: "La mère heureuse"
Reuter, Astrid
Marguerite Gérards Gemälde "Schlafe, mein Kind" -
2012: 50 Werke von Meisterinnen
König, Barbara
Ein Museumsführer für Baden-Württemberg -
2019: Marguerite Gérard 1761-1837
Blumenfeld, Carole