Jeder Zeit ihre Pflanze

Über Trends in der Beziehung zwischen Mensch und Pflanze

Von Pflanzenjäger*innen zu Orangerien

Schon die Antike kannte Topfpflanzen, im Mittelalter hingegen waren Pflanzen und Blumen vor allem wegen ihrer Heilkraft in den Klostergärten beliebt. Die Blütezeit menschlicher Pflanzenliebe ist hingegen eindeutig ab dem 17. Jahrhundert auszumachen.

Abbildung des Gemäldes Feuerrote Papageientulpe des Künstlers Charles William Hamilton zu sehen in der Ausstellung Inventing Nature

Ob Orchideenfieber oder Tulpenwahn – nachdem die Entdeckungsreisenden aus fernen Ländern exotische Pflanzen und Blumen mitgebracht hatten, avancierten diese zum Statussymbol für die herrschende Klasse. Es wurden damals viele Abenteurer auf Forschungsreisen in ferne Länder geschickt, um neue Pflanzen zu entdecken. Oftmals verschleierte man deren Herkunft sogar, damit man exklusiven Zugang zu Neu-Entdeckungen hatte.

Über die Türkei aus Asien nach Zentraleuropa importiert, avancierte die Tulpe zu einem frühen Superstar der Pflanzenwelt. Der Adel erfreute sich an der Pflanze, die für viele der Inbegriff des Kostbaren und Exotischen war. Es wurden sogar spezielle Tulpenvasen angefertigt, in denen sie fächerartig präsentiert werden konnten.

Abbildung einer Tulpenvase mit Jagdszene
Abbildung des Werks Papageientulpe von August Wilhelm Sievert aus dem Jahr 1730. Es zeigt eine Zeichnung einer roten Tulpe.

Ein besonderes Highlight im Zusammenhang mit dieser Tulpen-Begeisterung sind die Tulpenbücher des Markgrafen Karl III. Wilhelm von Baden-Durlach. Als begeisterter Botaniker und Gärtner war er oft selbst in den Blumenbeeten tätig, wo er bis zum Jahr 1733 mehr als 5.000 Tulpenarten angepflanzt haben soll. Die Schönheit einzelner Exemplare ließ er in den sensationellen Aquarellen festhalten.

Wer es sich damals leisten konnte, schickte eigene Forschungsreisende um die Welt. Auch Karl Wilhelms Hofgärtner Christian Thran war einer von ihnen. Er brachte aus Afrika unter anderem Palmen und die wohlriechenden Kampferbäume nach Karlsruhe.

Foto mit Aussenansicht der Orangerie Karlsruhe. Das Gebäude besitzt Bogenfenster. Vor dem Gebäude sind Bäume.

Mit der Erfindung der sogenannten Orangerien ergaben sich weitere Möglichkeiten, die zum Teil sehr empfindlichen Pflanzen aus den fernen Ländern zu zeigen. Für sein neues Schloss in Karlsruhe hatte der Markgraf Glashäuser bauen lassen, die 1727 insgesamt 1.924 Zitrusgewächse beherbergten.

Eine Zimmerreise

Schon Ende des 18. Jahrhunderts kamen sie in Mode, die imaginären Reisen, bei denen man sich anhand von Reiseberichten und unter anderem auch exotischen Pflanzen in die Ferne träumen konnte. Interessanterweise wird gerade in einer Zeit die heimische Flora und Fauna interessant, als die Forschungsreisen auf ihrem Höhepunkt schienen.

Das führte zu Phänomenen wie der Pteridomanie – der besonderen Begeisterung für die Farne. Die Fotografien eines Karl Blossfeldt sind ein später Reflex davon. Seine Aufnahmen von den zu Voluten gerollten Farnsprösslingen sind einfach zum Niederknien.

Die industrielle Revolution brachte eine immer größere Sehnsucht nach der Natur mit sich, je mehr man sich im alltäglichen Leben von ihr entfremdete. Der Rückzug in das traute Heim und eine tiefe Naturverbundenheit kennzeichnen die Zeit.

Abbildung des Ölgemäldes "Nähendes Mädchen" von Hans Thoma aus dem Jahr 1868. Das Mädchen sitzt nähend an einem Tisch.

„Möge man diese bunten Erinnerungen etwa als einen Feldblumenstrauß betrachten, der ohne System und Absicht lose zusammengebunden ist, gepflückt an der Oberfläche, die sich über dem tieferen Abgrund des Daseins ausbreitet, die geblümt gemacht ist, damit man nicht jeden Augenblick zum Schaudern kommt vor der Unergründlichkeit.“

Hans Thoma erzählt uns selbst von der Symbolik, die er mit den Blumen verbindet. Seine Näherin scheint tief versunken in ihrer Hausarbeit sich der Tragweite der Blumensymbolik neben ihr wohl kaum bewusst.

Abbildung der Zeichnung "Palmen- und Baumstudie von Ferdinand Keller aus dem Jahr 1858

Im 19. Jahrhundert zeigte sich das erstarkte Bürgertum gerne mit exotischen Pflanzen und die Tendenz zu größeren Fensterflächen sowie der Einsatz von modernen Heizsystemen führte oft zu Interieurs, in denen sich Palmen und Orchideen wohlfühlten. Letztere waren eine Art Statussymbol der Gründerzeit und wurde von Marcel Proust mit sinnlich-erotischen Konnotationen literarisch verewigt.

Mein kleiner grüner Kaktus …

Abbildung des Gemäldes "Stillleben mit Gummibaum" von Alexander Kanoldt aus dem Jahr 1921. Ein Gummibaum steht auf einem Tisch. Um ihn liegen Bücher, eine Tasse und eine Flasche.

Der 1. Weltkrieg brachte in vielen Dingen eine Zäsur. Nun galt es als überflüssiger Luxus, sich mit Pflanzen und Blumen zu umgeben. Auch die Neue Sachlichkeit und vor allem der Purismus des Bauhauses führten weit weg von ausschweifenden Blumen-Arrangements. Und so scheint es auch nicht von ungefähr, dass plötzlich ein Kaktus besungen wird! Der damals sehr beliebte Bogenhanf passte übrigens perfekt in die Bauten des Herrn Gropius. Und auch der Gummibaum fügte sich hervorragend ins reduzierte Ambiente!

Alexander Kanoldt ist der unangefochtene Meister des Stilllebens mit Gummibaum. Keine Blüten, nichts Üppiges, das ablenkt von der kühlen Oberflächenstruktur. Ernst Bloch brachte diese Haltung 1930 in seinem Buch Spuren auf den Punkt: „Dann gehörte auch gerade Anti-Blume, nämlich Unverwesliches ins Stillleben, gestillte Leben zwischen Mensch und Dingen“ schrieb er über diese Zeit.

Foto mit Vasenportraits des Künstlers Tobias Rehberger.

Reduce to the max – oder: das Wesentliche herausstellen. Unter diesem Motto könnte man auch die Arbeiten von Tobias Rehberger sehen, in denen er mit ganz speziellen Vasenporträts Freunde und Bekannte „Persönliches durch die Blume“ sagen lässt.

Betrachten wir die Mensch-Pflanzen-Beziehung durch die Zeiten hinweg, so sehen wir, dass es vergleichbare Entwicklungen gibt wie bei Möbeln und Kunsthandwerk. Alles ist dem jeweiligen Zeitgeist unterworfen – bis hin zur Herstellung von entsprechenden Pflanzmöbeln, von denen in den 50er Jahren besonders gerne Gebrauch gemacht wurde.

Die Pflanzenliebe als Ausdruck der Gesinnung

Abbildung des Werks Rose für Direkte Demokratie von Joseph Beuys aus dem Jahr 1973. Es zeigt eine Rose in einem Reagenzglas.

Wohl kaum eine andere Zeit hatte es mit Blumen so wie die 1960er und 70er-Jahre, die nicht umsonst als Flower-Power-Epoche in die Geschichte eingegangen sind. Und natürlich hat auch Beuys‘ Rose für Direkte Demokratie mit dieser Geisteshaltung zu tun. Wie wir alle wissen, begründete der Künstler ja auch die Grünen mit, deren Symbol die Sonnenblume ist.

Auftritt „Birkenfeige“, der perfekten WG-Mitbewohnerin.  Neben der Grünlilie war sie später auch in Büroräumen gerne gesehen – wobei man davon ausgehen kann, dass weniger ästhetische Qualitäten eine Rolle bei der Auswahl der Büropflanzen spielten, als der Glaube an besondere Fähigkeiten des Luftfilterns.

Abbildung einer Monstera Pflanze

Und im Jahr 2021 befinden wir uns nun in einer Phase der Wiederentdeckung von Zimmerpflanzen-Trends aus vergangenen Zeiten. Nicht zuletzt durch Friday-For-Future- und Wie-Wollen-Wir-Leben-Aktivitäten erlebt das heimische Grün ein neues Hoch zwischen #jungalow und #urbanjungle. Die beliebteste Pflanze auf Instagram ist die Monstera.

Das Wesen des Trends ist es, dass ursprünglich als Ausdruck des Individuellen gezeigte Dinge schnell zum Massenphänomen werden. Und so tummeln sich auf Instagram zahlreiche #plantfluencer, die mit ihrem Wissen und vor allem ihren erstaunlichen Zuchterfolgen eine unglaubliche Reichweite in der Community erreichen.

Achtsamkeit und Nachhaltigkeit – auch im Umgang mit der Natur – das lässt sich ebenfalls als Trend beobachten. Dazu gehört auch der Siegeszug der Trockenblumen, der gegen das Konsumverhalten von Schnittblumen entstanden ist, die ja meist nach einer Woche weggeworfen werden. Die skulpturalen Gebilde  Christiane Löhrs, die sie vorzugsweise mit Fundstücken aus Brachen wie Kletten, verschiedene Halme oder Zittergras herstellt, machen aufmerksam auf die Schönheit von Pflanzen abseits üblicher Pfade.

Text: Anke von Heyl
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