
Die ältere Tochter Lots
Beschreibung
Hans Baldung, genannt Grien, war einer der eigenwilligsten Künstler des 16. Jahrhunderts.
Das Gemälde (Inv. 2989a–c) zeigt eine Szene der dramatischen Geschichte des frommen Lot, den Gott errettet hat und der dennoch zum Sünder wird (Genesis 19): Engel führen Lot und seine Familie aus der brennenden Stadt Sodom, die von Gott wegen der schändlichen Lebensweise ihrer Bewohner mit Vernichtung bestraft wird. Nachdem seine Frau, die sich verbotenerweise nach Sodom umgesehen hat, zur Salzsäule erstarrt ist, finden Lot und seine beiden Töchter Unterschlupf in einer Höhle. In zwei aufeinander folgenden Nächten wird Lot dort von seinen Töchtern trunken gemacht und verführt. Beide werden durch ihr inzestuöses Verhältnis mit dem Vater schwanger und gebären einen Sohn.
Baldungs Werk ist nur bruchstückhaft erhalten. Im Frühjahr 2019 erwarb die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe drei Fragmente. Ein viertes, das die jüngste Tochter Lots zeigt, ist durch ein Foto bekannt.
Während Lot dabei ist aus einem goldenen Becher Wein zu trinken, schiebt seine jüngste Tochter den Vorhang, der die Szene einrahmt, zur Seite und beobachtet das Geschehen. Im Bildhintergrund rechts sind noch die aus den brennenden Häusern von Sodom schlagenden Flammen zu sehen.
Die bildbestimmende Figur in Baldungs Komposition ist Lots ältere Tochter. Der Maler hat sie als liegenden Akt konzipiert. Ihr lasziver Blick gilt dabei ganz dem (männlichen) Betrachter. Dieser muss den Zwiespalt zwischen erotischer Fantasie und schlechtem Gewissen, Vergnügen an einer verwerflichen Situation zu finden, aushalten.
Kunsthalle x Lisa Masé
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Der männliche Betrachter im Bild
Lasziv und direkt blickt uns eine blasse Dame mit edlem Schmuck entgegen. Den Kopf spielerisch zur Seite gedreht, liegt in ihrem Ausdruck etwas Freches und Aufforderndes. Ihr nackter Körper, den sie mit einem weißen Tuch umspielt, erstreckt sich über Dreiviertel der Gesamtkomposition des Gemäldes und hebt sich ebenfalls durch seine extreme Blässe von dem dunklen Hintergrund ab.
Der männliche Blick
Der Blick des älteren Herren am Bettrand ist im Gegensatz gesenkt. Seine Nase steckt er in einen goldenen Weinkrug, die Stirn ist sorgenvoll in Falten gelegt. Weicht er dem auffordernden Blick der Frau aus? Wendet er seinen Blick schuldbewusst ab? Oder ist es doch auch ein heimlich spähender Blick auf den lustvollen nackten Körper vor ihm? Die brennende Stadt im Hintergrund verstärkt den Eindruck, dass es sich bei dieser Szene um eine höchst Dramatische handeln muss. Und tatsächlich: Das Gemälde vor uns verhandelt die fragwürdige biblische Erzählung um Loth und seine Töchter.
Von Zerstörung und Bestrafung
Die Vorgeschichte beginnt auf dem rechten Teil der Bildtafel, auf welcher dargestellt wird wie Sodom und Gomorra als Strafe Gottes eingeäschert werden. Loth wird von Gott verschont und darf mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern fliehen. Die Frau jedoch sündigt indem sie gegen das Verbot verstößt und zurückblickt – als Strafe erstarrt sie zur Salzsäule.
Loths Trunkenheit
Im Bildvordergrund werden wir Zeug*innen der Geschehnisse, die daraufhin folgen. Laut Erzählung stehen Loths Töchter nun keine Männer mehr zur Verfügung, weshalb sie sich genötigt sehen den eigenen Vater betrunken zu machen und in zwei unterschiedlichen Nächten zu verführen. Beide werden von ihm schwanger und gebären Söhne.
Die Frau als Verfüherin und Unheilsbringerin
Konnten wir dem verführerischen Blick von Loths Tochter zuvor ohne schlechtem Gewissen standhalten, so löst das Wissen um den sich anbahnenden Inzest ein starkes Unbehagen bei uns aus. Wie auch andere Kunstwerke mit biblischem Inhalt, ist die Frau hier als moralisch verwerfliche Verführerin und Unheilsbringerin dargestellt. Gleichzeitig boten solche Werke die Möglichkeit unter dem Schutzmantel der moralischen Aufklärung nackte Frauen auf lustvolle Art und Weise zu malen. Auch dieses Bild ist für den männlichen Betrachter entstanden. Dabei hat sich Ambivalenz zwischen Verführung und Moral, Erregung und Ekel, die uns beim Betrachten überkommt, bis heute erhalten. Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass sich unsere Wertevorstellung in Bezug auf Inzest wenig verändert hat, im Gegensatz zur gesellschaftlichen Bewertung von weiblicher Lust an sich.
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Kunsthalle x Lisa Masé
Daten und Fakten
Titel | Die ältere Tochter Lots |
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Künstler*in | Hans Baldung |
Entstehungszeit | um 1535/1540 |
Inventarnummer | 2989 a |
Maße Bildträger | H 75,0 cm B 125,0 cm |
Maße Rahmen | H 95,4 cm B 162,1 cm T 6,0 cm |
Material | Holz |
Technik | Mischtechnik |
Gattung | Gemälde |
Abteilung | Alte Malerei (vor 1800) |
Ein Grund für die Fragmentierung des Werks könnte entweder die so erzielte Wertsteigerung (drei Baldung-Gemälde erzielen einen höheren Preis als eines) oder die Anstößigkeit des Themas gewesen sein.Übrigens wurde das eigentliche Bildthema erst Anfang der 2000er Jahre herausgefunden. Bis zu einer ersten restauratorischen Untersuchung war der rechte Teil, der Lots zur Salzsäule erstarrende Frau zeigt, überstrichen und um 90 Grad gedreht an das Fragment der liegenden Tochter Lots angefügt.Erst durch eine Infrarotreflektographie, die Kenntnis des Berliner Lot-Fragments sowie die zueinander passenden Fugen der Fragmente, konnten die einzelnen Teile weitestgehend zusammengeführt werden. Der vierte Teil, der die zweite Tochter Lots zeigt, befindet sich in unbekanntem Besitz und ist nur durch eine schwarz-weiß Reproduktion bekannt.
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