
Markgraf Christoph I. von Baden mit seiner Familie in Anbetung vor der Heiligen Anna Selbdritt
Beschreibung
Hans Baldung, genannt Grien, ist einer der außergewöhnlichsten Künstler des 16. Jahrhunderts. Den Beinamen „Grien“ für „Grün“ hat er wahrscheinlich in der Nürnberger Werkstatt Albrecht Dürers erhalten, in der Baldung zwischen 1503 und 1506 tätig war.
In der Karlsruher „Markgrafentafel“ haben sich die religiösen und dynastisch-politischen Anschauungen des Auftraggebers niedergeschlagen. Im Glauben auf Sündenerlass und Sicherung des eigenen Seelenheils wurde die fürstliche Familie in Anbetung der Heiligen Familie dargestellt. Die Gruppe der Anna selbdritt – Maria mit dem Jesuskind und ihrer Mutter Anna – setzte Baldung unter einem rosa Baldachin auf eine Thronbank groß ins Zentrum der Komposition. Ihr vertraut sich maßstäblich kleiner Markgraf Christoph I. von Baden mit seiner siebzehnköpfigen Familie zum Schutz an, wobei einige Mitglieder zum Zeitpunkt des Gemäldeauftrags bereits nicht mehr am Leben waren. Er selbst kniet links – symbolisch auf der bedeutenderen Seite, da von der Mittelgruppe aus gesehen rechts – vor seinen zehn Söhnen, die sich anhand ihrer Attribute identifizieren lassen. Ihnen gegenüber sind die fünf Töchter mit Markgräfin Ottilia, geborene Gräfin von Katzenellenbogen, dargestellt. In einer friesartigen Komposition reihen sich die Familienmitglieder ihrem Rang nach hintereinander auf. Goldfarbene Rüstungen, kostbare Kleider und Schmuck sowie sakrale Gewänder kennzeichnen sie in ihrem weltlichen oder geistlichen Stand. Opulente Wappen heben das markgräfliche Elternpaar hervor. Der Markgraf trägt über seinem Brustharnisch eine Kette mit dem Orden vom Goldenen Vlies – eine der höchsten Auszeichnungen der Habsburger, die auch am baden-sponheimischen Wappen erkennbar ist.
Die politische Dimension des Gemäldes kommt in der neuen Rangordnung der männlichen Nachkommen zum Ausdruck: Der Markgraf hatte entgegen der Rangfolge nach Geburt den jüngeren Sohn Philipp (in Rüstung am linken Rand in erster Reihe) und nicht Bernhard (bärtig, mit goldener Netzhaube, rechts hinter Philipp) zum einzigen Erben der ungeteilten Markgrafschaft bestimmt, wogegen die Brüder Ernst (am linken Bildrand) und Bernhard heftig opponierten. Vor dem Hintergrund dieser Krise demonstriert das Bild mit der Hervorhebung Philipps die unerschütterte Autorität Christophs I. Auffällig ist nicht nur die strikte Trennung in weibliche und männliche Familienmitglieder, sondern auch der Unterschied in den Porträtähnlichkeiten: Während auf der Seite der Männer durchaus individuelle Gesichtszüge erkennbar sind – Christoph I. sollte Baldung anschließend noch mehrmals im Bildnis festhalten – beschränkte sich der Künstler bei den Frauen wiederholt auf denselben Typus.
Mit Hans Baldung Grien beauftragte der badische Markgraf einen jungen, hoch talentierten Künstler, der am Beginn einer vielversprechenden Karriere war. Ungewöhnlich ist das längliche Querformat der Tafel, das sich aus der Struktur der Personenanordnung des wahrscheinlich als Votivbild gedachten Werkes ergibt. In der Karlsruher Kunsthalle ist es das früheste Zeugnis zähringischen Kunstsinnes.
500 Jahre Gegenwart
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Maßgeschneidert oder von der Stange
Zwei fast zeitgleich entstandene Werke der Kunsthalle stehen für unterschiedliche Konstellationen in der Frühzeit der Sammlung: die sogenannte Markgrafentafel von Hans Baldung Grien und ein kleiner Klappaltar vom sogenannten Meister von Frankfurt. Beide zeigen die Dreiergruppe der Anna Selbdritt, also Maria mit ihrer Mutter Anna und ihrem Sohn. Käufer war in beiden Fällen vermutlich Markgraf Christoph I. von Baden. Doch ist ihr Weg in die badisch-markgräfliche Sammlung denkbar verschieden.
Auftraggeber: fromm und selbstbewusst
Schon die heutige Bezeichnung als Markgrafentafel verrät es: Wenn auch bescheiden und demütig in Anbetung gezeigt, ist die badische Herrscherfamilie doch zumindest ein gleichwertiges, wenn nicht das eigentliche Bildthema. Christoph, der als Familienoberhaupt auf der linken Seite kniet, engagierte dafür mit Hans Baldung Grien einen jungen, gerade aufstrebenden Maler. Er trat damit nicht im heutigen Sinn als Sammler, auch nicht als eigentlicher Förderer zeitgenössischer Kunst auf. Denn seine Motivation war nicht primär Besitzerstolz, sondern Frömmigkeit und fürstlicher Wille zur Selbstdarstellung und zum politischen Statement.
Auftrag versus Kunstmarkt
Die Markgrafentafel ist beispielhaft für die Erwerbungspraxis am Beginn der Neuzeit. Denn was sich in den europäischen Fürstenhäusern an bildender Kunst von Zeitgenossen ansammelte, waren zu einem großen Teil Auftragsarbeiten. Ein Entkoppeln von persönlichen Bestellungen wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts überhaupt erst möglich, als sich ganz allmählich ein unabhängiger Kunstmarkt entwickelte. Das Altärchen steht beispielhaft für die frühesten Anfänge dieser Entwicklung. Der wohl in Antwerpen tätige Künstler führte offensichtlich eine gutgehende Werkstatt, die für den Export produzierte. So kamen Bilder nicht nur nach Frankfurt – was dem Meister seinen Notnamen verlieh –, sondern dieses Werk vermutlich auch noch zu Lebzeiten Christophs I. in die Räumlichkeiten der Markgrafen.
Am Puls der Nachfrage
Mit Anna Selbdritt in der Mitte sowie Katharina und Barbara auf den Seiten zeigt der Altar eine Auswahl der damals populärsten Heiligen. Er konnte, da ohne Bezug zu einem bestimmten Herrscherhaus, in jedem beliebigen fürstlichen oder gar großbürgerlichen Haushalt der privaten Andacht dienen. Höchst effizient in der Wiederverwendung von Themen und Bildelementen, schuf der Meister von Frankfurt Bestseller, die unabhängig von einem direkten Auftrag in die Hände von Kunstfreund*innen wechseln und so Sammlungen bereichern konnten.
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Highlights

500 Jahre Gegenwart
Daten und Fakten
Titel | Markgraf Christoph I. von Baden mit seiner Familie in Anbetung vor der Heiligen Anna Selbdritt |
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Künstler*in | Hans Baldung |
Entstehungszeit | um 1510 |
Inventarnummer | 88 |
Epoche | Renaissance |
Maße Bildträger | H 67.4cm B 219.2cm T 2.3cm |
Maße Rahmen | H 79.2cm B 231.5cm T 9.3cm |
Material | Tannenholz |
Technik | Mischtechnik |
Genre | Porträt |
Gattung | Gemälde |
Abteilung | Alte Malerei (vor 1800) |
Der Markgraf Christoph I. von Baden hatte 15 Kinder - für das 16. Jahrhundert nicht ungewöhnlich.
Hans Baldung wurde der Spitzname „Grien“ für „Grün“ beigegeben, weil er wahrscheinlich die Farbe Grün in seinen Gemälden gerne nutzte.
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Hans Baldung Grien heilig / unheilig. Große Landesausstellung Baden-Württemberg
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 30.11.2019 - 08.03.2020
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1966: Katalog Alte Meister bis 1800
Bearb.: Lauts, Jan; Hrsg.: Vereinigung d. Freunde d. Staatl. Kunsthalle
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1966: Katalog Alte Meister bis 1800
Bearb.: Lauts, Jan; Hrsg.: Vereinigung d. Freunde d. Staatl. Kunsthalle
Bildband -
1968: Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Lauts, Jan (Bearb.); Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hg.)
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1988: Ausgewählte Werke der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
Lüdke, Dietmar; Reising, Gert; Simons-Kockel, Katrin
150 Gemälde -
1992: Christus und Maria
Dresel, Ines; Lüdke, Dietmar; Vey, Horst
Auslegungen christlicher Gemälde der Spätgotik und Frührenaissance aus der Karlsruher Kunsthalle -
2001: Spätmittelalter am Oberrhein
Hrsg.: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Maler und Werkstätten 1450-1525 -
2010: Miroslaw Balka - Wir sehen dich
Heynen, Julian; Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 16.4. - 22.8.2010 -
2013: Das Erbe der Markgrafen
Moraht-Fromm, Anna
Die Sammlung deutscher Malerei (1350 - 1550) in Karlsruhe -
2014: Anna Moraht-Fromm, Das Erbe der Markgrafen. Die Sammlung deutscher Malerei (1350-1550) in Karlsruhe.
Krimm, Konrad
Rezension -
2015: Deutsche Geschichte in 100 Objekten
Schäfer, Hermann
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2016: Der multimediale Herrscher. Die Pluralisierung der Medien als Herausforderung für das Fürstenporträt
Müller, Matthias
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2019: Hans Baldung Grien
Holger Jacob-Friesen (Hg.)
heilig / unheilig -
2019: Hans Baldung Grien
Muller, Frank
Entre christianisme et paganisme -
2019: Hans Baldung Grien
Jacob-Friesen, Holger; Jehle, Oliver (Hg.)
Neue Perspektiven auf sein Werk -
2021: Inventing Nature
Voigt, Kirsten Claudia (Hg.); Beiersdorf, Leonie (Hg.)
Pflanzen in der Kunst -
2021: Eintritt und Austritt. Fürsten-, Grafen- und Freiherrensöhne in Stiften, Ritterorden und Klöstern
Spieß, Karl-Heinz