Dr. Dorit Schäfer

Digitale Möglichkeiten in der Zeichnungsforschung – eine Teamarbeit

Fast neun Jahre sind vergangen, seitdem sich im Kupferstichkabinett der Kunsthalle Karlsruhe ein spektakulärer Fund ereignete. Die Ergebnisse der interdisziplinären Forschung wurden nun in einer Datenbank mit explorativem Ansatz veröffentlicht.

Seit der Neuzuschreibung von rund 300 Zeichnungen an die römische Werkstatt von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) im Jahr 2014 hat sich viel getan. Stetig wachsen die Onlinesammlungen der Museen, durch die ihre Bestände auf eine völlig neue Art sichtbar und – zumindest virtuell – erfahrbar werden können. Auch Werke, die zuvor nur einem kleinen Kreis von Spezialist*innen bekannt waren, sind heute weltweit, jederzeit und von jeder Person mit Internetzugang zu betrachten und zu studieren. Die Corona-Pandemie steigerte zudem die Bereitschaft, digital miteinander zu kommunizieren und – alleine vor dem heimischen Bildschirm – mit einer großen Gruppe Bilder zu teilen, sie gemeinsam zu untersuchen und über sie zu diskutieren, ganz egal, ob man sich in New York, Paris oder Karlsruhe befindet. Bei ausreichend hoher Auflösung der Abbildungen kann man sogar zusammen in ein Werk zoomen und kollektiv Dinge entdecken, die sich analog vor dem Original und unter dem Mikroskop lediglich einer einzigen Person erschließen würden. Das sind nur einige der vielen Beweggründe, weshalb wir uns bei der Aufbereitung der Ergebnisse des DFG-geförderten Forschungsprojektes für die Publikation als Datenbank mit explorativem Ansatz entschieden haben.

Teamarbeit damals wie heute

In der traditionellen Zeichnungsforschung haben sich kennerschaftliche Autoritäten, mit speziellem Fachwissen zu einzelnen Künstlern, meist individuell ausgebildet: zwischen Original und Forscher*in. Natürlich tauschte man sich in Fachkreisen aus, sowohl persönlich als auch schriftlich – in allen großen Sammlungen haben sich auf den Passepartouts oder Kartonträgern die zarten Bleistiftkommentare von Expert*innen mit ihren Zuschreibungen und Verweisen zu den jeweiligen Originalen erhalten. Diese handschriftlichen Vermerke von berühmten Kunsthistoriker*innen aus verschiedenen Zeiten sind ein großer Schatz und durchaus berührend, wenn man die Werke analog studiert. Methodisch scheinen die sich durch digitale Publikationsformen ausbreitenden Sammlungskenntnisse jedoch eher kollaborative Arbeitsformen zu unterstützen. Das ist eine ausgesprochen demokratisierende Methodenentwicklung, die neue Ideen, Interessen, Perspektiven und Fragestellungen generiert. Innovation erfolgt dabei nicht mehr nur durch eine Einzelperson als vielmehr im Team, das im Idealfall in einem gleichberechtigten Austausch seine Vorstellungen, Gedanken und Anregungen entwickelt.

Ein Titan der Kunstgeschichte: Giovanni Battista Piranesi

In der Entstehung unserer Datenbank zu den Zeichnungen aus Piranesis Werkstatt war und ist dieser Teamgedanke in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: Die Blätter selbst stammen aus der Werkstatt eines der großen Titanen der Kunstgeschichte: Giovanni Battista Piranesi war eine wegweisende und bis heute vielfach rezipierte Autorität in der Gattung der Romansichten und der Antikendarstellungen, aber auch der Architekturfantasien und der Kunst der Radierung. Mehr als tausend gedruckte Darstellungen stammen von diesem außergewöhnlichen Künstler, der neben seiner Tätigkeit als Druckgrafiker und Verleger auch Archäologe, Antikenhändler, Architekt und Architekturtheoretiker war. Seine künstlerische Genialität und sein Ideenreichtum waren überragend. Laut seines ersten Biografen Jacques-Guillaume Legrand (1753-1807) äußerte sich der Künstler einst selbst über seine überbordende Kreativität: „Ich muss neue Ideen hervorbringen, und ich glaube, wollte man mir den Plan eines neuen Universums auftragen, ich wäre Narr genug, ihn zu entwerfen.“

 

Abbildung einer Architekturphantasie mit Brücken und Triumphbögen von Giovanni Battista Piranesi.

Teamarbeit – im 18. wie im 21. Jahrhundert

Doch bei aller individuellen Schöpferkraft: Natürlich konnte er diese gewaltige Produktion nicht alleine stemmen! Natürlich brauchte er dafür ein Team, das ihm Motive und Vorlagen lieferte, die seine Imagination anregten und die er weiter verwertete. Und hier kommen die Karlsruher Blätter ins Spiel: Die meisten zeigen antike Architekturreliefs, ornamentale Details oder Studien nach römischen Plastiken, von mehreren Mitarbeitern Piranesis manchmal direkt nach den antiken Monumenten abgezeichnet. Viele Blätter weisen Spuren von unterschiedlichen Kopier- und Pausverfahren auf, die uns heute erahnen lassen, wie zahlreich und geschäftig die Gruppe an Zeichnern und Zeichnerinnen (Piranesis Tochter Laura, geboren wohl um 1755 und gestorben im Jahr 1785, war auch dabei) in Piranesis Werkstatt gewesen sein muss. In einem Zeitalter vor der Erfindung der Fotografie waren die Künstler*innen erfinderisch in ihren Methoden zur Vervielfältigung und Übertragung von Motiven. Auf den Blättern tragen sowohl die unterschiedlichen Strichbilder, Linienführungen und Beschriftungen als auch die verschiedenen Papiere, Ölflecken, Stecknadellöchlein oder Griffelspuren zahlreiche Informationen, die nicht nur von einem großen Arbeitskollektiv aus dem 18. Jahrhundert erzählen, sondern heute in einer engen Zusammenarbeit von Forscher*innen der Kunstgeschichte und der Restaurierung ausgewertet worden sind. Denn Inhalt und Material sind in diesen Objekten untrennbar miteinander verwoben, erst ihre gemeinsame Betrachtung enthüllt die Entstehungs- und Nutzungsgeschichte der Blätter. Teamarbeit – im 18. wie im 21. Jahrhundert!

Für die Forscher*innen sind diese gemeinsamen Untersuchungen spannend, ja regelrecht beglückend und tragen erheblich zum gegenseitigen Erkenntnisgewinn bei. Doch befinden wir uns in einem Museum, das sowohl zu einer Veröffentlichung seiner wissenschaftlichen Forschungen verpflichtet ist als auch zu einer Publikationsform, die nicht nur für Expert*innen interessant ist. Und es ist ein inspirierender Prozess, zu überlegen, wie die eigene Faszination an einem sehr speziellen Thema, das auch in der Fachwelt abseits des Mainstreams liegt, auf andere übertragen werden kann – wie der Funke überspringen könnte…

Herausforderungen in der vielschichtigen Vermittlung

Die Objekte waren eine Herausforderung: Großformatige, etwas abgegriffene und fleckige Bände, ausgeschnittene und wieder eingeklebte Zeichnungen, ornamentale, sich ähnelnde Motive, die für sich genommen erst einmal keine Geschichte erzählen. Nur im Kontext vermag sich die Vielfalt ihrer Bedeutungsebenen erschließen. Daher galt es auch hier, in einer Teamarbeit Lösungen zu finden! Externe und interne Kolleg*innen aus dem Forschungsprojekt und mehrere Abteilungen der Kunsthalle (Sammlung und Wissenschaft sowie Kommunikation mit u.a. Digital Management) feilten gemeinsam an einer Präsentationsform der Datenbank, die sowohl den wissenschaftlichen Standards als auch dem Vermittlungsauftrag des Museums gerecht werden musste – und dabei natürlich den finanziellen Rahmen nicht sprengen durfte.

So beginnt der Einstieg mit einem kurzen Clip, der das Blättern durch eines der beiden großen Alben zeigt und so den (nicht immer einfachen) Umgang mit den analogen Objekten vermittelt. Beim Hinunterscrollen ist das Eintauchen in unsere Bände über drei Zugänge möglich: die Einzelwerke, Highlights oder Essays. Mit einem Klick gelangt man zu einem Überblick über alle enthaltenen Zeichnungen, die zahlreiche Wissensebenen enthalten: Technische Angaben und umfassende Analysen aus der Kunstgeschichte und der Materialtechnologie ermöglichen in klarer inhaltlicher Ordnung eine vertiefte Lektüre zu jedem einzelnen Blatt, wobei die jeweilige Position einer Zeichnung innerhalb des Klebebandes rasch ermittelt werden kann. Über ein Buchsymbol gelangt man zu den aufgeschlagenen Albumseiten, durch die digital geblättert werden kann, um sich einen generellen Eindruck über den Inhalt beider Bände zu verschaffen. Für jede Doppelseite und jede einzelne Zeichnung wurde darüber hinaus ein kurzer Teasertext verfasst. Dieser hält zu Erscheinung und/oder Inhalt des Gesehenen einige Informationen bereit, die auch ohne Fachwissen verständlich sind. Wo kam ein Relief her, wer hat auf das Blatt geschrieben, was sind das für Flecken, was ist eine Soffitte? Zu vielen Fachbegriffen wurde zudem ein Glossar erarbeitet. In die hoch aufgelösten Abbildungen kann hineingezoomt werden, so dass viele mit dem bloßen Auge kaum zu erkennende Spuren deutlich zu sehen sind – und schließlich werden zu jedem Blatt mindestens sieben unterschiedliche Aufnahmen angeboten: Neben dem normalen Auflicht und dem Durchlicht (in dem z. B. Wasserzeichen im Papier erkennbar sind) wurden unter verschiedenen Wellenlängenbereichen des elektromagnetischen Spektrums sogenannte multispektrale Bilddaten erzeugt, die Unterschiede zwischen den Materialien und historische Gebrauchsspuren sichtbar machen können. Der schnelle Wechsel zwischen diesen Aufnahmen verdeutlicht nicht nur, was bei einer gewöhnlichen Beleuchtung einer Zeichnung oft unsichtbar bleibt, sondern macht auch einfach Spaß. Wissenschaftliche Forschung und spielerischer Zugang verbinden sich zu unerwarteten Erkenntnisgewinnen. Weitere explorative Zugänge bieten auf jedem Einzelblatt die Mikroskop-Buttons: Sie führen zu Hotspots, die zusätzliche Informationen zu vergrößerten Ausschnitten bieten – eine Griffelspur, eine korrigierte Linie, ein besonderes Motiv… Last but not least: Ihre individuellen Kommentare – ehemals in Bleistift auf den Passepartouts – können die Expert*innen wie auch alle Kunstinteressierte für jedes Blatt digital abgeben, und kommentiert von der Redaktion erscheinen auch diese für alle sichtbar im Netz.

Foto des Klebebands 1, der zugeschlagen auf einer erhöhten Unterlage liegt.

Unsere Datenbank begann als Idee und entstand mit dem Wissen, der Erfahrung und der Arbeitskraft vieler externer und interner Kolleg*innen aus verschiedenen Fachbereichen. Ihre zahlreichen Funktionen und die in ihr enthaltenen, umfangreichen Forschungsergebnisse hätten in einer oder mehreren gedruckten Publikationen nicht abgebildet werden können. Erst die digitale Publikationsform macht diese in vielerlei Hinsicht besonderen Zeichnungen aus der Werkstatt Piranesis und das über sie entstandene Wissen allen Interessierten auf unterschiedliche Weise zugänglich. Zudem kann und soll die Datenbank auch zukünftige Erkenntnisse aufnehmen und ein Austauschforum bleiben: für alle – allein oder im Team.

Jetzt die Datenbank In Piranesis Werkstatt – Die Karlsruher Alben entdecken!

Tabea Schwarze, 9. August 2022

Feedbackkultur leben, lieben, nutzen

Ob Onlineshopping, Servicehotline oder Ärzt*innenbesuch – die Bitte um Feedback ist allgegenwärtig. Auch für die (Weiter-)Entwicklung digitaler Angebote von Museen sollte dies Grundlage sein.

Um konstruktives Feedback tatsächlich erhalten, korrekt einordnen und zielführend einsetzen zu können, gilt es einige Punkte zu beachten – wir teilen unsere wichtigsten Learnings.

1. Ziele setzen und Zielgruppen definieren

Gerade in Museen steht oft das vermeintliche Ziel, alle erreichen zu wollen, im Fokus. Dass sich Angebote, die sich an eine zu große Zielgruppe – im schlimmsten Fall an „alle“ – richten, nicht zielführend konzipieren, geschweige denn umsetzen lassen, liegt auf der Hand. Dennoch müssen Kultureinrichtungen ihrem Bildungsauftrag nachkommen und Zugänge für die gesamte Breite der Gesellschaft entwickeln. Das bedeutet aber weniger, dass mit einem Angebot alle erreicht werden können, als vielmehr, dass es unterschiedlicher, zielgruppenspezifischer Wege bedarf.

2. Die Zielgruppe aktiv kennen und verstehen lernen

Damit zielgruppenspezifische Angebote das Zielpublikum auch erreichen können, ist es zunächst unabdingbar, sich dort aufzuhalten, wo die Mitglieder der Zielgruppe präsent sind. Eine perfekt auf die Bedürfnisse der Zielgruppe hin entwickelte Anwendung wird diese nicht erreichen, wenn sie lediglich auf der Museumswebsite kommuniziert wird.

Aber auch schon in der Konzeptionsphase sollte mit dem Zielpublikum in den Austausch getreten und intensiv zugehört werden, welches die Themen und Bedürfnisse sind, aber auch welche Angebote und Medien regelmäßig genutzt werden. Je mehr man versteht, wie die Zielgruppe diese verwendet und welche Aspekte hieran als reizvoll wahrgenommen werden, desto mehr kann dieses Verständnis in die Entwicklung der Museums-Anwendungen eingesetzt werden.

3. Vorbilder finden und adaptieren

Von der Zielgruppe gerne und vielgenutzte Medien können als quasi indirektes Feedback betrachtet und als Inspiration für eigene Angebote genutzt werden. Voraussetzung ist es auch hier, dass der Zielgruppe zugehört wird und verstanden wurde, warum sie eine bestimmte Anwendung so schätzt: Sind beispielsweise die Inhalte ausschlaggebend für die Nutzung, können das Design und die Usability folglich nicht automatisch auch als Vorbild dienen. Statt einer Eins-zu-eins-Übertragung sollten vielmehr die medienspezifischen Eigenheiten genutzt werden, um Inhalte zielgruppengerecht zu vermitteln. So geht es beispielsweise in den sozialen Medien weniger darum, dass Museen vermeintlich humorvolle Videos ihrer Mitarbeiter*innen veröffentlichen sollten, sondern die Sprache und Trends nutzen sollten, um mit den eigenen Inhalten einen Mehrwert für die User*innen zu schaffen. Die kunsthistorische Bedeutung eines Werkes kann und soll dabei in den allermeisten Fällen nicht vollumfänglich vermittelt werden – Ziel ist es, eine Brücke zu der Lebensrealität der User*innen zu schaffen und ein erste Antwortmöglichkeit auf die Frage „Was hat denn Kunst eigentlich mit mir zu tun?“ zu geben.

4. In den Austausch kommen

Austausch auf Augenhöhe sollte stets das A und O sein. Konstruktives und wertvolles Feedback kommt vor allem dann zustande, wenn die Mitglieder einer Zielgruppe wahr-, ernstgenommen und wertgeschätzt werden. Auch hierfür gilt es, einen langen Atem zu bewahren, nicht nur zu fordern, sondern auch zu geben. Immer wieder wird die Einbeziehung der Communities als kurzfristige Maßnahme einer Marketing-Strategie genutzt. So forderten auch Museen schon von User*innen einen relativ hohen Aufwand zu betreiben, um dann eine Freikarte für ein Museum zu erhalten, das sie ggf. aufgrund räumlicher Entfernung nicht besuchen können oder wollen. Warum sollten User*innen Feedback geben, wenn sich die Institution selbst nicht in Diskurse einbringt oder mit den Mitgliedern der Community interagiert?

Dazu zählt auch, dass die sozialen Medien nicht nur als Werbekanal für die eigenen Angebote genutzt, sondern auch hier bereits Mehrwerte generiert werden. Im Sinne des Community-Gedankens sollte es auch Museen in erster Linie darum gehen, wertvolle Inhalte zu vermitteln. Kommunikation auf Augenhöhe heißt hier auch, sich auf Plattformen einzulassen und Wissen für diejenigen bereitzustellen, die das gewählte Medium eben nicht verlassen wollen.

Drei junge Besucherinnen stehen vor einem Blumenstillleben und scheinen sich darüber auszutauschen. Im Vordergrund ist ein weiterer Besucher unscharf zu erkennen.

5. Wertschätzen

Feedback ist besonders dann wertvoll, wenn es nicht nur darum geht, verwertbare Zitate und Zahlen zu generieren, die Stakeholdern wie Förderern vorgelegt werden können, oder das Einholen von Feedback als Teil einer Marketing-Kampagne zu inszenieren,  sondern wenn die Institution wirklich daran interessiert ist, die Rückmeldungen zu verstehen, einzuordnen und zu nutzen.

6. Einordnen

Jedes Feedback sollte wertgeschätzt und gewürdigt, nicht jedes aber direkt umgesetzt werden. Zur Einordnung steht zuallererst die Frage, ob das Feedback zu einem Angebot auch aus der dafür anvisierten Zielgruppe kam: Dass beispielsweise ein Ü65-Publikum wenig mit der Meme-Kultur anzufangen weiß oder eine nicht kunstinteressierte Person nur schwer Zugang zu einem wissenschaftlichen Forschungsangebot findet, ist nachvollziehbar, macht ein Angebot für die dafür vorgesehene Zielgruppe nicht weniger gut. Ähnlich verhält es sich mit anekdotischem Wissen: Ob Bekannte das Design attraktiv finden, man niemanden kennt, der Do it Yourself-Anleitungen umsetzt, oder man selbst sich eine andere Art von Informationsaufbereitung wünschen würde, sollte die Umsetzung eines Angebots nicht beeinflussen. Wir alle wissen, wie stark unsere Meinung zum common knowledge von den Personen, mit denen wir den Großteil unserer Zeit verbringen, geprägt wird. Gerade deshalb gilt es, die Personas der Zielgruppe sehr genau im Blick zu haben.

7. Feedback verwenden – Deutungshoheit abgeben

Das Einlassen auf Feedback aus den jeweiligen Communities ist in den allermeisten Museen glücklicherweise schon Normalität geworden. Damit wird immer auch ein Stück der ehemals im Museum verankerten Deutungshoheit abgegeben, was den Prozess für manche Häuser etwas schmerzvoller werden lässt: Der Fokus verlagert sich von dem, was ein Museum vermitteln möchte, hin zu dem, was die Zielgruppen interessiert.

8. Qualität versus Quantität

Quantität hilft, Einzelmeinungen von allgemeinen Empfindungen zu unterscheiden. Sie hilft auch, Indizien für Erfolg zu identifizieren, allerdings werden die Daten der digitalen Besucher*innen erst dann aussagekräftig, wenn sie richtig interpretiert werden: Ist die Verweildauer eines Angebots hoch, weil die gewünschte Information nicht auf Anhieb auffindbar war oder weil eine Seite besonders interessante Inhalte enthielt? Ist die Absprungrate hoch, weil die gewünschte Information sofort gefunden wurde, weil die Seite zu wenig Anreize bot, sich mit anderen Themen zu beschäftigen, oder gar weil das Konsumieren von Inhalten hier nur unter Anstrengungen möglich ist? Und der Klassiker: Werden bestimmte Angebote nicht mobil genutzt, weil die Zielgruppe hierfür nicht besteht, oder weil die Seite nicht optimal auf eine mobile first / only Nutzung eingestellt ist? Da qualitative Methoden wie die Arbeit mit Fokusgruppen wiederum die quantitativen Aspekte zu stark vernachlässigt, sind wir hier auf der Suche nach zielführenden und datensparsamen neuen Wegen.

9. Erwartungsmanagement und transparente Kommunikation

Was geschieht mit nachvollziehbarem Feedback, das aber nicht umgesetzt werden kann? Seit mehreren Monaten arbeiten wir intensiv an einem Tool, das sich im Prozess der Programmierung sehr viel komplexer darstellte, als zuvor vermutet. Zeitgleich zeigten User*innen-Testings, dass die Erwartungen hoch sind. Erwartungen, die begründet und nachvollziehbar sind, aber derzeit technisch nicht umgesetzt werden können. Unser erster Impuls: Die Besucher*innen darüber informieren und offen kommunizieren, warum bestimmte Aspekte sind, wie sie sind. Aber müssen sich Besucher*innen mit den Herausforderungen von Museen auseinandersetzen oder sollten sie nicht einfach ihren digitalen Besuch genießen können?

10. Austausch jenseits des musealen Kontextes

Der Blick nach außen bleibt wichtig. Auch wenn die Ressourcen der Museen nicht mit denen der freien Wirtschaft mithalten können, erscheinen museale Angebote auf den verschiedenen Plattformen, Suchmaschinen und Kanälen neben kommerziellen Angeboten und müssen sich entsprechend an diesen messen lassen. Spätestens mit der Pandemie sind die Ansprüche der User*innen nochmals signifikant gestiegen: Von Suchen in Online-Sammlungen wird die gleiche Trefferqualität wie von Google erwartet und die übrigen Seiten sollten unbedingt so user*innenfreundlich wie die großer Konzerne sein. Und auch, wenn Museen das in den allermeisten Fällen nicht leisten können, ist es wichtig, diesen Anspruch zu verinnerlichen. Schließlich sind das die Angebote, mit denen Museen konkurrieren: Will Persona X lieber eine Serie streamen, sich mit einer App die Sprachkenntnisse vertiefen oder mit der Kunsthalle in die Tiefen der Geschichten ihrer Sammlung eintauchen?

11. Mit Feedback zur Nachhaltigkeit

Unerlässlich für die Planungen schon in der Konzeptionsphase: Das neue Angebot wird auch langfristig Ressourcen binden. Ohne das kontinuierliche Einholen, Auswerten und Arbeiten mit dem User*innenfeedback sind die Angebote schnell überholt und werden nicht mehr genutzt. Auch deshalb sollten sie von vornherein auf einen continuous relaunch ausgelegt sein.

In diesem Sinne: Wir werden nicht müde, zu fragen, was wir in unserer digitalen Kommunikation, in unseren digitalen Angeboten und auch insgesamt besser machen können. Hinter den Kulissen arbeiten wir an neuen Wegen, wie wir Feedback, Meinungen, Empfindungen, Wünsche und Bedürfnisse effektiver und zielführender einholen können. Für heute bleibt der Wunsch in den Kommentaren zu lesen, was Sie und Ihr denkt! Und wer es anonymer mag: Gerne auch per Mail an digital@kunsthalle-karlsruhe.de

Tabea Schwarze, 9. August 2022

Feedbackkultur leben, lieben, nutzen

Ob Onlineshopping, Servicehotline oder Ärzt*innenbesuch – die Bitte um Feedback ist allgegenwärtig. Auch für die (Weiter-)Entwicklung digitaler Angebote von Museen sollte dies Grundlage sein.

1. Ziele setzen und Zielgruppen definieren

Gerade in Museen steht oft das vermeintliche Ziel, alle erreichen zu wollen, im Fokus. Dass sich Angebote, die sich an eine zu große Zielgruppe – im schlimmsten Fall an „alle“ – richten, nicht zielführend konzipieren, geschweige denn umsetzen lassen, liegt auf der Hand. Dennoch müssen Kultureinrichtungen ihrem Bildungsauftrag nachkommen und Zugänge für die gesamte Breite der Gesellschaft entwickeln. Das bedeutet aber weniger, dass mit einem Angebot alle erreicht werden können, als vielmehr, dass es unterschiedlicher, zielgruppenspezifischer Wege bedarf.

2. Die Zielgruppe aktiv kennen und verstehen lernen

Damit zielgruppenspezifische Angebote das Zielpublikum auch erreichen können, ist es zunächst unabdingbar, sich dort aufzuhalten, wo die Mitglieder der Zielgruppe präsent sind. Eine perfekt auf die Bedürfnisse der Zielgruppe hin entwickelte Anwendung wird diese nicht erreichen, wenn sie lediglich auf der Museumswebsite kommuniziert wird.

Aber auch schon in der Konzeptionsphase sollte mit dem Zielpublikum in den Austausch getreten und intensiv zugehört werden, welches die Themen und Bedürfnisse sind, aber auch welche Angebote und Medien regelmäßig genutzt werden. Je mehr man versteht, wie die Zielgruppe diese verwendet und welche Aspekte hieran als reizvoll wahrgenommen werden, desto mehr kann dieses Verständnis in die Entwicklung der Museums-Anwendungen eingesetzt werden.

3. Vorbilder finden und adaptieren

Von der Zielgruppe gerne und vielgenutzte Medien können als quasi indirektes Feedback betrachtet und als Inspiration für eigene Angebote genutzt werden. Voraussetzung ist es auch hier, dass der Zielgruppe zugehört wird und verstanden wurde, warum sie eine bestimmte Anwendung so schätzt: Sind beispielsweise die Inhalte ausschlaggebend für die Nutzung, können das Design und die Usability folglich nicht automatisch auch als Vorbild dienen. Statt einer Eins-zu-eins-Übertragung sollten vielmehr die medienspezifischen Eigenheiten genutzt werden, um Inhalte zielgruppengerecht zu vermitteln. So geht es beispielsweise in den sozialen Medien weniger darum, dass Museen vermeintlich humorvolle Videos ihrer Mitarbeiter*innen veröffentlichen sollten, sondern die Sprache und Trends nutzen sollten, um mit den eigenen Inhalten einen Mehrwert für die User*innen zu schaffen. Die kunsthistorische Bedeutung eines Werkes kann und soll dabei in den allermeisten Fällen nicht vollumfänglich vermittelt werden – Ziel ist es, eine Brücke zu der Lebensrealität der User*innen zu schaffen und ein erste Antwortmöglichkeit auf die Frage „Was hat denn Kunst eigentlich mit mir zu tun?“ zu geben.

4. In den Austausch kommen

Austausch auf Augenhöhe sollte stets das A und O sein. Konstruktives und wertvolles Feedback kommt vor allem dann zustande, wenn die Mitglieder einer Zielgruppe wahr-, ernstgenommen und wertgeschätzt werden. Auch hierfür gilt es, einen langen Atem zu bewahren, nicht nur zu fordern, sondern auch zu geben. Immer wieder wird die Einbeziehung der Communities als kurzfristige Maßnahme einer Marketing-Strategie genutzt. So forderten auch Museen schon von User*innen einen relativ hohen Aufwand zu betreiben, um dann eine Freikarte für ein Museum zu erhalten, das sie ggf. aufgrund räumlicher Entfernung nicht besuchen können oder wollen. Warum sollten User*innen Feedback geben, wenn sich die Institution selbst nicht in Diskurse einbringt oder mit den Mitgliedern der Community interagiert?

Dazu zählt auch, dass die sozialen Medien nicht nur als Werbekanal für die eigenen Angebote genutzt, sondern auch hier bereits Mehrwerte generiert werden. Im Sinne des Community-Gedankens sollte es auch Museen in erster Linie darum gehen, wertvolle Inhalte zu vermitteln. Kommunikation auf Augenhöhe heißt hier auch, sich auf Plattformen einzulassen und Wissen für diejenigen bereitzustellen, die das gewählte Medium eben nicht verlassen wollen.

5. Wertschätzen

Feedback ist besonders dann wertvoll, wenn es nicht nur darum geht, verwertbare Zitate und Zahlen zu generieren, die Stakeholdern wie Förderern vorgelegt werden können, oder das Einholen von Feedback als Teil einer Marketing-Kampagne zu inszenieren,  sondern wenn die Institution wirklich daran interessiert ist, die Rückmeldungen zu verstehen, einzuordnen und zu nutzen.

6. Einordnen

Jedes Feedback sollte wertgeschätzt und gewürdigt, nicht jedes aber direkt umgesetzt werden. Zur Einordnung steht zuallererst die Frage, ob das Feedback zu einem Angebot auch aus der dafür anvisierten Zielgruppe kam: Dass beispielsweise ein Ü65-Publikum wenig mit der Meme-Kultur anzufangen weiß oder eine nicht kunstinteressierte Person nur schwer Zugang zu einem wissenschaftlichen Forschungsangebot findet, ist nachvollziehbar, macht ein Angebot für die dafür vorgesehene Zielgruppe nicht weniger gut. Ähnlich verhält es sich mit anekdotischem Wissen: Ob Bekannte das Design attraktiv finden, man niemanden kennt, der Do it Yourself-Anleitungen umsetzt, oder man selbst sich eine andere Art von Informationsaufbereitung wünschen würde, sollte die Umsetzung eines Angebots nicht beeinflussen. Wir alle wissen, wie stark unsere Meinung zum common knowledge von den Personen, mit denen wir den Großteil unserer Zeit verbringen, geprägt wird. Gerade deshalb gilt es, die Personas der Zielgruppe sehr genau im Blick zu haben.

Drei junge Personen in der Kunsthalle Karlsruhe. Der grüne Saal hängt voller alter Gemälde.

Mehr Offenheit, failures, & worst practice

Was nicht nur bei der MAI-Tagung immer wieder auffällig ist und was wir uns als Museumsmitarbeiterinnen viel mehr wünschen würden: Noch mehr Offenheit, mehr failures, mehr worst practice-Beispiele. Auch wir haben selbst in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt, dass die großartigsten Ideen nichts nützen, wenn das Verständnis und die Expertise für die Sinnhaftigkeit und Bedarfe von digitalen Vermittlungsangeboten nicht vorhanden sind, oder man nicht die richtigen Partner*innen an der Seite weiß. Neben den vielen best practice-Beispielen würde uns interessieren: Wie stemmt Ihr solche Mammutprojekte personell? Wie findet man für die Entwicklung digitaler Anwendungen eine geeignete Agentur und wie kann ein gutes und zielführendes Zusammenarbeiten gelingen? Wie schafft Ihr es, nachhaltiges Verständnis und Engagement innerhalb der Kollegenschaft für die Notwendigkeit von digitalen Vermittlungsansätzen zu erzeugen? Wie werden bei Euch Prioritäten gesetzt – und wann wird auch mal was gestrichen? Woran seid Ihr schon einmal richtig gescheitert? Was kann getan werden, damit Museen beweglicher werden? Wie kommen wir aus den sich jahrzehntelangwiederholenden Gesprächen heraus und schaffen Strategien zur Transformation, die tatsächlich umgesetzt werden? Wie können wir Angebote entwickeln, die nicht nur „für ein Museum gut“, sondern auch im übergreifenden Maßstab der anvisierten Zielgruppe bestehen können?

Wir Ihr seht: Die MAI-Tagung 2022 war für uns gut und wichtig, um neuen Input zu erhalten, denn wir haben mit vielen wichtigen Fragen und Anregungen im Gepäck das schöne Bonn verlassen. Wie sind Eure Gedanken dazu? Gerne würden wir mit Euch in den Diskurs gehen und freuen uns auf einen offenen Austausch in den Kommentaren, auf Twitter oder bei der nächsten Tagung.

Tabea Schwarze, 9. August 2022

Feedbackkultur leben, lieben, nutzen

Ob Onlineshopping, Servicehotline oder Ärzt*innenbesuch – die Bitte um Feedback ist allgegenwärtig. Auch für die (Weiter-)Entwicklung digitaler Angebote von Museen sollte dies Grundlage sein.

1. Ziele setzen und Zielgruppen definieren

Gerade in Museen steht oft das vermeintliche Ziel, alle erreichen zu wollen, im Fokus. Dass sich Angebote, die sich an eine zu große Zielgruppe – im schlimmsten Fall an „alle“ – richten, nicht zielführend konzipieren, geschweige denn umsetzen lassen, liegt auf der Hand. Dennoch müssen Kultureinrichtungen ihrem Bildungsauftrag nachkommen und Zugänge für die gesamte Breite der Gesellschaft entwickeln. Das bedeutet aber weniger, dass mit einem Angebot alle erreicht werden können, als vielmehr, dass es unterschiedlicher, zielgruppenspezifischer Wege bedarf.

Die Rückseite eines Werkes, die Rückschlüsse zu dessen Provenienz zulässt

2. Die Zielgruppe aktiv kennen und verstehen lernen

Damit zielgruppenspezifische Angebote das Zielpublikum auch erreichen können, ist es zunächst unabdingbar, sich dort aufzuhalten, wo die Mitglieder der Zielgruppe präsent sind. Eine perfekt auf die Bedürfnisse der Zielgruppe hin entwickelte Anwendung wird diese nicht erreichen, wenn sie lediglich auf der Museumswebsite kommuniziert wird.

Aber auch schon in der Konzeptionsphase sollte mit dem Zielpublikum in den Austausch getreten und intensiv zugehört werden, welches die Themen und Bedürfnisse sind, aber auch welche Angebote und Medien regelmäßig genutzt werden. Je mehr man versteht, wie die Zielgruppe diese verwendet und welche Aspekte hieran als reizvoll wahrgenommen werden, desto mehr kann dieses Verständnis in die Entwicklung der Museums-Anwendungen eingesetzt werden.

Blick in die Säle der Sammlung der Kunsthalle Karlsruhe. Die Wände sind hellgrün und an den Wänden hängen Gemälde

3. Vorbilder finden und adaptieren

Von der Zielgruppe gerne und vielgenutzte Medien können als quasi indirektes Feedback betrachtet und als Inspiration für eigene Angebote genutzt werden. Voraussetzung ist es auch hier, dass der Zielgruppe zugehört wird und verstanden wurde, warum sie eine bestimmte Anwendung so schätzt: Sind beispielsweise die Inhalte ausschlaggebend für die Nutzung, können das Design und die Usability folglich nicht automatisch auch als Vorbild dienen. Statt einer Eins-zu-eins-Übertragung sollten vielmehr die medienspezifischen Eigenheiten genutzt werden, um Inhalte zielgruppengerecht zu vermitteln. So geht es beispielsweise in den sozialen Medien weniger darum, dass Museen vermeintlich humorvolle Videos ihrer Mitarbeiter*innen veröffentlichen sollten, sondern die Sprache und Trends nutzen sollten, um mit den eigenen Inhalten einen Mehrwert für die User*innen zu schaffen. Die kunsthistorische Bedeutung eines Werkes kann und soll dabei in den allermeisten Fällen nicht vollumfänglich vermittelt werden – Ziel ist es, eine Brücke zu der Lebensrealität der User*innen zu schaffen und ein erste Antwortmöglichkeit auf die Frage „Was hat denn Kunst eigentlich mit mir zu tun?“ zu geben.

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Auch während der sanierungsbedingten Schließung informieren wir Sie hier über die Geschehnisse hinter den Kulissen der Kunsthalle.