Rötel
Rötel wird auch »roter Ocker« genannt und gehört zu den Mineralfarben. In Stäbchen geschnitten, kann der Rohstoff sofort verwendet werden.
Die Konsistenz der Rötel-Kreide ist allerdings nicht sehr stabil – um ein Bröckeln der Kreide und das Verschmieren der Linien zu vermeiden, wird sie meist in einem Kreidehalter fixiert oder in Stiftform gepresst.
Das Anfeuchten der Kreide intensiviert den jeweiligen Farbton des Rötels. Mit Wasser verdünnt, können die Pigmente aber auch als zarte Lavierung aufgetragen werden. Die natürlichen Ockervorkommen in Frankreich, aber auch anderen europäischen Ländern, bieten eine Vielzahl unterschiedlicher Farbtöne, die von hellem Orangerot bis zu dunklem Rotbraun reichen.
Künstler*innen des 18. Jahrhunderts zeigten eine besondere Vorliebe für die Verwendung der Rötelkreide. Der lebhafte und warme Rotton der eisenhaltigen Tonerden, dessen Verwandtschaft zur Farbe des Blutes in der französischen Bezeichnung »sanguine« anklingt, wird sowohl bei Aktzeichnungen und Porträts, wie auch für Landschaften, erzählerische Bilder oder ornamentale Kompositionen verwendet.
Erst in der Zeit des Klassizismus verlor der Rötel an Bedeutung und machte anderen Techniken Platz. Geübten Zeichnern bietet die Rötelkreide ein breites Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten, wie einige der Karlsruher Zeichnungen exemplarisch zeigen.
Jean-Jacques de Boissieus Kopf eines alten Mannes weist einen fein differenzierten Einsatz der Kreide auf, der aus der Kombination zarter, mit wenig Druck aufgetragener Linien und der flächig verriebenen Kreide bestand. Einfühlsam zeichnet Boissieu die Spuren des Lebens nach, die sich in das Gesicht des alten Mannes eingegraben haben.
Seine Blätter wurden von den Zeitgenossen und insbesondere von deutschen Sammlern hoch geschätzt: Baron von Witzleben, einer der begeisterten Liebhaber der »schönen Zeichnungen« des Künstlers schrieb 1807 an diesen: »Wenn diese letzteren [die Zeichnungen] auch ein wenig teuer sind, so muss ich mich damit trösten, nur noch Ihre Werke zu sammeln. Ich werde die Stiche, die ich von anderen Meistern besitze, veräußern und werde keinen Wein mehr trinken, bis alle ihre Zeichnungen bezahlt sind, und bis ich Ihr Werk komplett besitze, wie ich es mir wünsche.«
Jean-Baptiste Greuze hingegen setzte in dem Bildnis seiner schlafenden Ehefrau auf den Kontrast zwischen den sanft gezeichneten Gesichtszügen und der kraftvolleren Gestaltung von Haaren, Haube und Kleidung. Von Müdigkeit überwältigt, ist ihr Kopf zur Seite gesunken, die Gesichtszüge mit den geschlossenen Augen und dem leicht geöffneten Mund wirken entspannt. Greuze modelliert die vertrauten Züge der Schlafenden mit großem Einfühlungsvermögen und nutzt dabei die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten der Rötelkreide: Er variiert den Farbton der Kreide, indem er diese wiederholt anfeuchtet und kontrastiert die weiche, oftmals zarte Strichführung mit kräftig dunklen, frei geführten Linien.