Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen

Die heimliche Gründerin der Karlsruher Kunsthalle

Zum 300. Geburtstag der Meister-Sammlerin Karoline Luise von Baden am 11. Juli 2023

„Man kann nicht liebenswürdiger sein als die Markgräfin. Sie übertrifft wirklich alles, was Sie mir von ihr erzählt haben. Keine Französin gibt es, die so viel Geist, Kenntnisse und Höflichkeit besäße wie sie. Ihre Konversation hat mich entzückt, hätte ich sie nur schon früher kennengelernt!“

Es war Voltaire, der Aufklärer, der berühmteste Intellektuelle seiner Zeit, der Karoline Luise 1758 auf diese Weise pries. Vorangegangen war ein viertägiger Besuch in Karlsruhe – ein Aufenthalt, den der Dichter-Philosoph mehreren Zeugnissen zufolge sehr genoss: Er lobte das Schloss, wo Geschmack wichtiger sei als Pracht, den botanischen Garten mit seinen 3.000 exotischen Pflanzen, die Gespräche mit Karoline Luise und die erstaunlichen Pastelle von ihrer Hand. Später sandte ihm die Markgräfin ein solches Werk nach Genf, wofür sich Voltaire mit einer gereimten Lobeshymne bedankte:

„Tout me plaît en vous, tout me touche;
Parlez, belle princesse, écrivez ou peignez:
Les Grâces, par qui vous régnez,
Ou conduisent vos mains, ou sont sur votre bouche.“

(„Alles an Ihnen gefällt mir, alles berührt mich;
Ob Sie reden, schöne Prinzessin, ob Sie schreiben oder malen:
Die Grazien, durch welche Sie regieren,
Führen Ihre Hand und sprechen durch Ihren Mund.“).

Und Voltaire fügte hinzu: Die Stadt trage ihren Namen zu Recht. Sie sei in den schrecklichen Zeiten des Krieges (wir nennen ihn heute den Siebenjährigen Krieg) tatsächlich ein Asyl der Ruhe.

Abbildung eines Kupferstichs, der den schreibenden Voltaire am Tisch zeigt.

Karoline Luise, die Meister-Sammlerin

Karoline Luise war eine Meister-Sammlerin – so der Titel der Großen Landesausstellung, die ihr die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 2015 gewidmet hat. Sie kaufte nicht nur Meisterwerke, sondern tat dies auf eine meisterliche Art und Weise. Doch was genau war so außerordentlich? War es das besondere Profil ihres Malereikabinetts? – Keineswegs! Die Markgräfin kaufte das, was im mittleren 18. Jahrhundert allgemein und speziell in Frankreich sehr geschätzt wurde: die großen Flamen der Barockzeit, die Holländer des 17. Jahrhunderts und französische Meister des 18. Jahrhunderts mit Neigung zur niederländischen Malerei. Für die Italiener konnte sie sich nie recht erwärmen, und sie bevorzugte Genrebilder, Landschaften und Stillleben entschieden gegenüber Historie und Porträt. Auch das lag durchaus im Trend. Nein: Nicht Karoline Luises Geschmack und Vorlieben waren einzigartig. Als ziemlich singulär aber dürfen die Konsequenz und das Niveau ihres Sammelns sowie ihr hoher persönlicher Einsatz bezeichnet werden. Karoline Luise sammelte mit Eifer und Verstand, schulte unablässig ihren Blick für die Qualitäten großer Kunst und beobachtete genauestens den Markt. Sie las die gedruckte Kunstliteratur ihrer Zeit, studierte Sammlungs- und Auktionskataloge, betrachtete Reproduktionsstiche, holte den Rat von Kennern, Künstlern, Agenten und Händlern ein. Sie ließ sich von vielen Seiten informieren, doch am Ende entschied sie selbst.

Karoline Luise, die Künstlerin

Und niemand konnte ihr etwas vormachen! Seit früher Jugend zeichnete und malte sie selbst. Der große Genfer Porträtist Jean-Etienne Liotard hat sie 1745 als 22jährige Prinzessin von Hessen-Darmstadt, das heißt vor ihrer Hochzeit mit Markgraf Karl Friedrich von Baden 1751, dargestellt: Karoline Luise sitzt vor der Staffelei und ist im Begriff, ein Pastell zu beginnen. Liotard hat ihr systematischen Unterricht erteilt, davon zeugen Karoline Luises eigenhändige Notizen noch heute. Die wohl erstaunlichsten Werke von der Hand Karoline Luises sind ihre Pastellkopien nach Alten Meistern. Sie sind Zeugnisse für ein Verstehen durch Nachahmung. Malend ging sie der Frage nach: Was macht ein Bild zum Meisterwerk? Die Markgräfin war eine wissbegierige, forschende, Einsichten suchende Sammlerin. Ihr Malereikabinett war für sie eine Art Bibliothek, in der sie studieren konnte. So hat sie es in einem Brief selbst formuliert. Für ihre Pastelle war nicht nur Liotard, sondern auch Rosalba Carriera, die Pionierin dieser Technik, ein Vorbild. 1764 konnte Karoline Luise mit der Allegorie der Poesie ein Meisterwerk der großen „Rosalba“, wie sie genannt wurde, erwerben.

Karoline Luise, die Perfektionistin

Karoline Luise, die Meister-Sammlerin, kümmerte sich um alles selbst: Sie beaufsichtigte sogar das Ein- und Auspacken der Transportkisten, wenn Bilder zur Ansicht nach Karlsruhe kamen oder wenn diese wieder zurückgeschickt wurden. Sie war unerbittlich, wenn es um die Qualität ging: „Ich dulde nichts in meinem Kabinett, das nicht perfekt ist“, schrieb sie an Gottlieb Heinrich Treuer, ihren Agenten in Den Haag. Sie fürchte das Mittelmaß – „Je crains le mediocre“ – heißt es an anderer Stelle. Außergewöhnliche Schönheit – „une beautée surprenante“ war ihre Grundbedingung. Diese Schönheit maß sich zumeist am Grad der Ausführung. Karoline Luise liebte besonders die holländischen, ganz präzise („très fini“) arbeitenden Feinmaler. Nichtsdestotrotz konnte sie sich für die freiere Malerei Rembrandts oder Chardins erwärmen.

Auch das zeichnet sie aus: Ihr Geschmack war klar umrissen, gelegentlich aber durchaus offen für abseits Liegendes. Da die Markgräfin mit ihren begrenzten finanziellen Mitteln auf das Optimum zielte, schreckte sie vor hartnäckigem Handeln und Feilschen nicht zurück. Als sie beispielsweise aus Paris das besonders begehrte, aber auch besonders teure Blumenstillleben von Jan van Huysum erhielt, da bemerkte sie in der Holztafel Wurmlöcher. Daraufhin schickte sie das Bild nicht etwa zurück, besaß es doch zweifellos die von Karoline Luise geforderte „außergewöhnliche Schönheit“. Nein, sie versuchte den vereinbarten Preis neu zu verhandeln. In diesem Falle übrigens ohne Erfolg: Sie bekam keinen Rabatt, sondern lediglich einen Ratschlag, wie man Holzwürmer mit Terpentin bekämpft.

Abbildung eines Gemäldes von Jan van Huysum, das einen Blumenstrauß vor dunklem Hintergrund zeigt. Die Blumen haben prächtige Blüten.

Nie ging es Karoline Luise um ein bloßes Akkumulieren von Kunstwerken. Die Meister-Sammlerin war dauernd bestrebt, das Niveau ihres Kabinetts zu heben und deswegen auch bereit, schwächere Bilder abzustoßen. Gerade bei den Verkäufen zeigt sich, wie sich ihre Kennerschaft entwickelte. Eine Fehlentscheidung wird man ihr allerdings vorhalten müssen: Aus den veräußerten Gemälden ragt nämlich ein Meisterwerk heraus, das von Karoline Luise offenbar nicht hinreichend als solches erkannt worden ist: Anthonis van Dycks grandioses, hoch elegantes, sensibles und farblich delikates Bildnis Susanna Fourment und ihre Tochter – 1762 gekauft und 1766 wieder abgestoßen. Heute gehört es zu den Höhepunkten der National Gallery Washington. Ein anderes herausragendes Gemälde, Maria van Oosterwijks Blumenstrauß in einer Vase, heute im Denver Art Museum, wurde lange nach Karoline Luises Tod, nämlich 1932, verkauft – ein großer Fehler, wie wir heute feststellen müssen. Wenigstens blieben die Werke der bedeutenden Stilllebenmalerinnen Rachel und Anna Elisabeth Ruysch in der Karlsruher Sammlung erhalten.

Karoline Luise, die heimliche Gründerin der Kunsthalle

Charakteristisch für Karoline Luise war ihr wacher, tätiger Geist, und dieser war auch die Grundlage ihres Sammelns. Das Malereikabinett ist Resultat eines aufgeklärten, kritisch-reflektierenden, qualitäts- und preisbewussten Sammelns, das auf umfassender Bildung, intensivem Austausch und echter Begeisterung für die Kunst beruhte. Glücklicherweise blieb es weitgehend erhalten. Denn nachdem die Markgräfin auf einer Reise 1783 in Paris überraschend gestorben war, wurde ihre Sammlung von den drei Söhnen – ausdrücklich im Sinne der Verstorbenen – zu einem unveräußerlichen und unteilbaren Sondervermögen des Hauses Baden erklärt. Die Bestände des Malereikabinetts – 205 Werke – wurden genau inventarisiert und ab 1789 im neu errichteten Gebäude der „Zeichenakademie“ öffentlich ausgestellt. Sie bildeten später den historischen Kern der 1846 eröffneten Großherzoglich Badischen Kunsthalle. Insofern kann man Karoline Luise als ihre heimliche Gründerin bezeichnen. Die von ihr gesammelten Gemälde begründeten den internationalen Ruf der Karlsruher Altmeistersammlung und gehören noch immer zum Kostbarsten, was die (inzwischen Staatliche) Kunsthalle zu bieten hat.

Ausstellungsansicht mit barocker Hängung in der Kunsthalle Karlsruhe. An der Wand hängen verschiedene Gemälde in goldenen Rahmen.
Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen

Die heimliche Gründerin der Karlsruher Kunsthalle

Zum 300. Geburtstag der Meister-Sammlerin Karoline Luise von Baden am 11. Juli 2023

„Man kann nicht liebenswürdiger sein als die Markgräfin. Sie übertrifft wirklich alles, was Sie mir von ihr erzählt haben. Keine Französin gibt es, die so viel Geist, Kenntnisse und Höflichkeit besäße wie sie. Ihre Konversation hat mich entzückt, hätte ich sie nur schon früher kennengelernt!“

Es war Voltaire, der Aufklärer, der berühmteste Intellektuelle seiner Zeit, der Karoline Luise 1758 auf diese Weise pries. Vorangegangen war ein viertägiger Besuch in Karlsruhe – ein Aufenthalt, den der Dichter-Philosoph mehreren Zeugnissen zufolge sehr genoss: Er lobte das Schloss, wo Geschmack wichtiger sei als Pracht, den botanischen Garten mit seinen 3.000 exotischen Pflanzen, die Gespräche mit Karoline Luise und die erstaunlichen Pastelle von ihrer Hand. Später sandte ihm die Markgräfin ein solches Werk nach Genf, wofür sich Voltaire mit einer gereimten Lobeshymne bedankte:

„Tout me plaît en vous, tout me touche;
Parlez, belle princesse, écrivez ou peignez:
Les Grâces, par qui vous régnez,
Ou conduisent vos mains, ou sont sur votre bouche.“

(„Alles an Ihnen gefällt mir, alles berührt mich;
Ob Sie reden, schöne Prinzessin, ob Sie schreiben oder malen:
Die Grazien, durch welche Sie regieren,
Führen Ihre Hand und sprechen durch Ihren Mund.“).

Und Voltaire fügte hinzu: Die Stadt trage ihren Namen zu Recht. Sie sei in den schrecklichen Zeiten des Krieges (wir nennen ihn heute den Siebenjährigen Krieg) tatsächlich ein Asyl der Ruhe.

Abbildung des Stilllebens mit Blumen und Goldpokalen von Clara Peeters. Zwei prunkvolle Goldpokale stehen auf einem Tisch. Daneben eine Vase mit bunten Blumen. Auf dem Tisch liegen Muscheln, Münzen und eine Schale.

Karoline Luise, die Meister-Sammlerin

Karoline Luise war eine Meister-Sammlerin – so der Titel der Großen Landesausstellung, die ihr die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 2015 gewidmet hat. Sie kaufte nicht nur Meisterwerke, sondern tat dies auf eine meisterliche Art und Weise. Doch was genau war so außerordentlich? War es das besondere Profil ihres Malereikabinetts? – Keineswegs! Die Markgräfin kaufte das, was im mittleren 18. Jahrhundert allgemein und speziell in Frankreich sehr geschätzt wurde: die großen Flamen der Barockzeit, die Holländer des 17. Jahrhunderts und französische Meister des 18. Jahrhunderts mit Neigung zur niederländischen Malerei. Für die Italiener konnte sie sich nie recht erwärmen, und sie bevorzugte Genrebilder, Landschaften und Stillleben entschieden gegenüber Historie und Porträt. Auch das lag durchaus im Trend. Nein: Nicht Karoline Luises Geschmack und Vorlieben waren einzigartig. Als ziemlich singulär aber dürfen die Konsequenz und das Niveau ihres Sammelns sowie ihr hoher persönlicher Einsatz bezeichnet werden. Karoline Luise sammelte mit Eifer und Verstand, schulte unablässig ihren Blick für die Qualitäten großer Kunst und beobachtete genauestens den Markt. Sie las die gedruckte Kunstliteratur ihrer Zeit, studierte Sammlungs- und Auktionskataloge, betrachtete Reproduktionsstiche, holte den Rat von Kennern, Künstlern, Agenten und Händlern ein. Sie ließ sich von vielen Seiten informieren, doch am Ende entschied sie selbst.

Collage aus zwei Detailausschnitten des Stilllebens mit Blumen und Goldpokalen. Der linke Ausschnitt zeigt drei Muscheln. Der rechte Ausschnitt zeigt verschiedene Blumen.

Karoline Luise, die Künstlerin

Und niemand konnte ihr etwas vormachen! Seit früher Jugend zeichnete und malte sie selbst. Der große Genfer Porträtist Jean-Etienne Liotard hat sie 1745 als 22jährige Prinzessin von Hessen-Darmstadt, das heißt vor ihrer Hochzeit mit Markgraf Karl Friedrich von Baden 1751, dargestellt: Karoline Luise sitzt vor der Staffelei und ist im Begriff, ein Pastell zu beginnen. Liotard hat ihr systematischen Unterricht erteilt, davon zeugen Karoline Luises eigenhändige Notizen noch heute. Die wohl erstaunlichsten Werke von der Hand Karoline Luises sind ihre Pastellkopien nach Alten Meistern. Sie sind Zeugnisse für ein Verstehen durch Nachahmung. Malend ging sie der Frage nach: Was macht ein Bild zum Meisterwerk? Die Markgräfin war eine wissbegierige, forschende, Einsichten suchende Sammlerin. Ihr Malereikabinett war für sie eine Art Bibliothek, in der sie studieren konnte. So hat sie es in einem Brief selbst formuliert. Für ihre Pastelle war nicht nur Liotard, sondern auch Rosalba Carriera, die Pionierin dieser Technik, ein Vorbild. 1764 konnte Karoline Luise mit der Allegorie der Poesie ein Meisterwerk der großen „Rosalba“, wie sie genannt wurde, erwerben.

Detailausschnitt des Stilllebens mit Blumen und Goldpokalen. Darauf sieht man einige Münze auf dem Tisch liegen. Manche nebeneinanderliegend, manche gestapelt. Neben den Münzen liegt außerdem eine Tulpe.

Karoline Luise, die Perfektionistin

Karoline Luise, die Meister-Sammlerin, kümmerte sich um alles selbst: Sie beaufsichtigte sogar das Ein- und Auspacken der Transportkisten, wenn Bilder zur Ansicht nach Karlsruhe kamen oder wenn diese wieder zurückgeschickt wurden. Sie war unerbittlich, wenn es um die Qualität ging: „Ich dulde nichts in meinem Kabinett, das nicht perfekt ist“, schrieb sie an Gottlieb Heinrich Treuer, ihren Agenten in Den Haag. Sie fürchte das Mittelmaß – „Je crains le mediocre“ – heißt es an anderer Stelle. Außergewöhnliche Schönheit – „une beautée surprenante“ war ihre Grundbedingung. Diese Schönheit maß sich zumeist am Grad der Ausführung. Karoline Luise liebte besonders die holländischen, ganz präzise („très fini“) arbeitenden Feinmaler. Nichtsdestotrotz konnte sie sich für die freiere Malerei Rembrandts oder Chardins erwärmen.

Auch das zeichnet sie aus: Ihr Geschmack war klar umrissen, gelegentlich aber durchaus offen für abseits Liegendes. Da die Markgräfin mit ihren begrenzten finanziellen Mitteln auf das Optimum zielte, schreckte sie vor hartnäckigem Handeln und Feilschen nicht zurück. Als sie beispielsweise aus Paris das besonders begehrte, aber auch besonders teure Blumenstillleben von Jan van Huysum erhielt, da bemerkte sie in der Holztafel Wurmlöcher. Daraufhin schickte sie das Bild nicht etwa zurück, besaß es doch zweifellos die von Karoline Luise geforderte „außergewöhnliche Schönheit“. Nein, sie versuchte den vereinbarten Preis neu zu verhandeln. In diesem Falle übrigens ohne Erfolg: Sie bekam keinen Rabatt, sondern lediglich einen Ratschlag, wie man Holzwürmer mit Terpentin bekämpft.

Auf diesem Ausschnitt des Stilllebens mit Blumen und Goldpokalen sieht man eine graugrüne Schale aus Seladon-Keramik. Darin liegt eine goldene Kette. Daneben sieht man die Sockel der Goldpokale und drei außergewöhnliche Muscheln.

Die Signatur auf den eigenen Werken

Für uns ist es heute vollkommen normal, dass Künstler*innen ihren Namen auf den Gemälden hinterlassen, doch Anfang des 17. Jahrhunderts stellte dies eine Seltenheit dar. Wichtig war es (vor allem als Künstlerin), den eigenen Namen auszuschreiben, sonst konnte es passieren, dass nachfolgende Generationen das Werk einem männlichen Kollegen zuschrieben: „Wer war nochmal ‚C.P.‘? – Das kann nur Pieter Claesz gewesen sein!“ – Tatsächlich wurden Gemälde von Clara Peeters schon ihrem zeitgleich tätigen Künstlerkollegen zugeschrieben. Heute sind über 40 signierte Werke von Clara Peeters bekannt.

Eine weitere Besonderheit: In manchen Gemälden prägte die Künstlerin ihre Signatur auf den Griff eines gemalten Messers. Vielleicht wollte sie sich damit sogar als Eigentümerin des kunstvollen Objekts verewigen…

Abbildung eines Stilllebens mit Käse, Mandeln und Brezeln, worauf eben diese Gegenstände kunstvoll arragniert sind.

Absolut besonders: Clara Peeters in jeder erdenklichen Reflexion auf den dargestellten Objekten – und ja, wirklich in jeder

Kein*e Künstler*in hat sein/ihr Selbstporträt vor 1612 so häufig als Spiegelung auf Stilllebenobjekten gemalt wie Clara Peeters. Sie spiegelt sich etwa sechs oder sieben Mal auf dem hinteren Pokal. Teilweise sind die Spiegelungen allerdings so klein, dass nicht ganz klar ist, ob es sich um ein Porträt oder nur um einen Lichtreflex handelt.

Damit nimmt Clara Peeters eine Darstellungstradition neu auf, die bereits im 15. Jahrhundert von Jan van Eyck (um 1390–1441) begründet und später von Rachel Ruysch (1664–1750), Jan de Heem (1606–1683/84), Maria van Oosterwyck (1630–1693) und anderen ebenfalls genutzt wurde.

Detailansicht des Stillebens mit Blumen und Goldpokalen von Clara Peeters. Man sieht einen der Pokale, in dessen Spiegelungen man mehrfach die Künstlerin erkennen kann.

Das Spiegelbild zeigt die Künstlerin in einem schwarzen Gewand mit hellem Kragen. Ihre Haare sind streng zurückgesteckt. Aufgrund der jungen Gesichtszüge wird vermutet, dass sie sich in den Reflexionen etwa im Alter von 20 Jahren dargestellt hat. Einzigartig im Werk von Clara Peeters ist hier auch, dass sie sich in diesem Stillleben mit einer Palette und mehreren Pinseln in der linken Hand malte. Dadurch ist sie eindeutig als Malerin identifizierbar.

Dass sie ihr Spiegelbild so vielfach abgebildet hat, ist vor allem Ausdruck ihrer optischen Kenntnisse und ihres Könnens. Ob sie damit gleichzeitig auch ganz selbstbewusst ausdrücken wollte, wer dieses Werk geschaffen hat – darüber können wir nur spekulieren.


Clara Peeters – Pionierin der Stilllebenmalerei

Auch wenn Clara Peeters vielleicht nicht mit der Berühmtheit eines Rubens oder Rembrandts mithalten kann und sie als Frau auch gar nicht dieselben Karrieremöglichkeiten hatte – so ist sie dennoch mit ihrem außergewöhnlichen malerischen Talent als eine Pionierin der Stilllebenmalerei in den Kunstkanon eingegangen.

Zwar betrieb Clara Peeters vermutlich keine aktiven Marketingmaßnahmen nach unserem heutigen Verständnis – aber indem sie sich auf sehr subtile Art in ihren Bildern verewigt hat, diese signierte oder sogar Objekte mit ihrem Namen kennzeichnete, machte sie innerhalb der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten durchaus auf sich aufmerksam.

Dass sich ihre Werke bis heute erhalten haben, verdanken wir vor allem den Sammler*innen, die die Kunstfertigkeit von Clara Peeters schon früh erkannt und geschätzt haben.

Was denken Sie? Sind die Kunstgriffe in den Werken von Clara Peeters allein eine Demonstration ihres Könnens oder steckt ein strategisches Self-Marketing dahinter?

Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen

Die heimliche Gründerin der Karlsruher Kunsthalle

Zum 300. Geburtstag der Meister-Sammlerin Karoline Luise von Baden am 11. Juli 2023

Seit der Neuzuschreibung von rund 300 Zeichnungen an die römische Werkstatt von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) im Jahr 2014 hat sich viel getan. Stetig wachsen die Onlinesammlungen der Museen, durch die ihre Bestände auf eine völlig neue Art sichtbar und – zumindest virtuell – erfahrbar werden können. Auch Werke, die zuvor nur einem kleinen Kreis von Spezialist*innen bekannt waren, sind heute weltweit, jederzeit und von jeder Person mit Internetzugang zu betrachten und zu studieren. Die Corona-Pandemie steigerte zudem die Bereitschaft, digital miteinander zu kommunizieren und – alleine vor dem heimischen Bildschirm – mit einer großen Gruppe Bilder zu teilen, sie gemeinsam zu untersuchen und über sie zu diskutieren, ganz egal, ob man sich in New York, Paris oder Karlsruhe befindet. Bei ausreichend hoher Auflösung der Abbildungen kann man sogar zusammen in ein Werk zoomen und kollektiv Dinge entdecken, die sich analog vor dem Original und unter dem Mikroskop lediglich einer einzigen Person erschließen würden. Das sind nur einige der vielen Beweggründe, weshalb wir uns bei der Aufbereitung der Ergebnisse des DFG-geförderten Forschungsprojektes für die Publikation als Datenbank mit explorativem Ansatz entschieden haben.

Teamarbeit damals wie heute

In der traditionellen Zeichnungsforschung haben sich kennerschaftliche Autoritäten, mit speziellem Fachwissen zu einzelnen Künstlern, meist individuell ausgebildet: zwischen Original und Forscher*in. Natürlich tauschte man sich in Fachkreisen aus, sowohl persönlich als auch schriftlich – in allen großen Sammlungen haben sich auf den Passepartouts oder Kartonträgern die zarten Bleistiftkommentare von Expert*innen mit ihren Zuschreibungen und Verweisen zu den jeweiligen Originalen erhalten. Diese handschriftlichen Vermerke von berühmten Kunsthistoriker*innen aus verschiedenen Zeiten sind ein großer Schatz und durchaus berührend, wenn man die Werke analog studiert. Methodisch scheinen die sich durch digitale Publikationsformen ausbreitenden Sammlungskenntnisse jedoch eher kollaborative Arbeitsformen zu unterstützen. Das ist eine ausgesprochen demokratisierende Methodenentwicklung, die neue Ideen, Interessen, Perspektiven und Fragestellungen generiert. Innovation erfolgt dabei nicht mehr nur durch eine Einzelperson als vielmehr im Team, das im Idealfall in einem gleichberechtigten Austausch seine Vorstellungen, Gedanken und Anregungen entwickelt.

Ein Titan der Kunstgeschichte: Giovanni Battista Piranesi

In der Entstehung unserer Datenbank zu den Zeichnungen aus Piranesis Werkstatt war und ist dieser Teamgedanke in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: Die Blätter selbst stammen aus der Werkstatt eines der großen Titanen der Kunstgeschichte: Giovanni Battista Piranesi war eine wegweisende und bis heute vielfach rezipierte Autorität in der Gattung der Romansichten und der Antikendarstellungen, aber auch der Architekturfantasien und der Kunst der Radierung. Mehr als tausend gedruckte Darstellungen stammen von diesem außergewöhnlichen Künstler, der neben seiner Tätigkeit als Druckgrafiker und Verleger auch Archäologe, Antikenhändler, Architekt und Architekturtheoretiker war. Seine künstlerische Genialität und sein Ideenreichtum waren überragend. Laut seines ersten Biografen Jacques-Guillaume Legrand (1753-1807) äußerte sich der Künstler einst selbst über seine überbordende Kreativität: „Ich muss neue Ideen hervorbringen, und ich glaube, wollte man mir den Plan eines neuen Universums auftragen, ich wäre Narr genug, ihn zu entwerfen.“

 

Abbildung einer Architekturphantasie mit Brücken und Triumphbögen von Giovanni Battista Piranesi.

Teamarbeit – im 18. wie im 21. Jahrhundert

Doch bei aller individuellen Schöpferkraft: Natürlich konnte er diese gewaltige Produktion nicht alleine stemmen! Natürlich brauchte er dafür ein Team, das ihm Motive und Vorlagen lieferte, die seine Imagination anregten und die er weiter verwertete. Und hier kommen die Karlsruher Blätter ins Spiel: Die meisten zeigen antike Architekturreliefs, ornamentale Details oder Studien nach römischen Plastiken, von mehreren Mitarbeitern Piranesis manchmal direkt nach den antiken Monumenten abgezeichnet. Viele Blätter weisen Spuren von unterschiedlichen Kopier- und Pausverfahren auf, die uns heute erahnen lassen, wie zahlreich und geschäftig die Gruppe an Zeichnern und Zeichnerinnen (Piranesis Tochter Laura, geboren wohl um 1755 und gestorben im Jahr 1785, war auch dabei) in Piranesis Werkstatt gewesen sein muss. In einem Zeitalter vor der Erfindung der Fotografie waren die Künstler*innen erfinderisch in ihren Methoden zur Vervielfältigung und Übertragung von Motiven. Auf den Blättern tragen sowohl die unterschiedlichen Strichbilder, Linienführungen und Beschriftungen als auch die verschiedenen Papiere, Ölflecken, Stecknadellöchlein oder Griffelspuren zahlreiche Informationen, die nicht nur von einem großen Arbeitskollektiv aus dem 18. Jahrhundert erzählen, sondern heute in einer engen Zusammenarbeit von Forscher*innen der Kunstgeschichte und der Restaurierung ausgewertet worden sind. Denn Inhalt und Material sind in diesen Objekten untrennbar miteinander verwoben, erst ihre gemeinsame Betrachtung enthüllt die Entstehungs- und Nutzungsgeschichte der Blätter. Teamarbeit – im 18. wie im 21. Jahrhundert!

Für die Forscher*innen sind diese gemeinsamen Untersuchungen spannend, ja regelrecht beglückend und tragen erheblich zum gegenseitigen Erkenntnisgewinn bei. Doch befinden wir uns in einem Museum, das sowohl zu einer Veröffentlichung seiner wissenschaftlichen Forschungen verpflichtet ist als auch zu einer Publikationsform, die nicht nur für Expert*innen interessant ist. Und es ist ein inspirierender Prozess, zu überlegen, wie die eigene Faszination an einem sehr speziellen Thema, das auch in der Fachwelt abseits des Mainstreams liegt, auf andere übertragen werden kann – wie der Funke überspringen könnte…

Herausforderungen in der vielschichtigen Vermittlung

Die Objekte waren eine Herausforderung: Großformatige, etwas abgegriffene und fleckige Bände, ausgeschnittene und wieder eingeklebte Zeichnungen, ornamentale, sich ähnelnde Motive, die für sich genommen erst einmal keine Geschichte erzählen. Nur im Kontext vermag sich die Vielfalt ihrer Bedeutungsebenen erschließen. Daher galt es auch hier, in einer Teamarbeit Lösungen zu finden! Externe und interne Kolleg*innen aus dem Forschungsprojekt und mehrere Abteilungen der Kunsthalle (Sammlung und Wissenschaft sowie Kommunikation mit u.a. Digital Management) feilten gemeinsam an einer Präsentationsform der Datenbank, die sowohl den wissenschaftlichen Standards als auch dem Vermittlungsauftrag des Museums gerecht werden musste – und dabei natürlich den finanziellen Rahmen nicht sprengen durfte.

So beginnt der Einstieg mit einem kurzen Clip, der das Blättern durch eines der beiden großen Alben zeigt und so den (nicht immer einfachen) Umgang mit den analogen Objekten vermittelt. Beim Hinunterscrollen ist das Eintauchen in unsere Bände über drei Zugänge möglich: die Einzelwerke, Highlights oder Essays. Mit einem Klick gelangt man zu einem Überblick über alle enthaltenen Zeichnungen, die zahlreiche Wissensebenen enthalten: Technische Angaben und umfassende Analysen aus der Kunstgeschichte und der Materialtechnologie ermöglichen in klarer inhaltlicher Ordnung eine vertiefte Lektüre zu jedem einzelnen Blatt, wobei die jeweilige Position einer Zeichnung innerhalb des Klebebandes rasch ermittelt werden kann. Über ein Buchsymbol gelangt man zu den aufgeschlagenen Albumseiten, durch die digital geblättert werden kann, um sich einen generellen Eindruck über den Inhalt beider Bände zu verschaffen. Für jede Doppelseite und jede einzelne Zeichnung wurde darüber hinaus ein kurzer Teasertext verfasst. Dieser hält zu Erscheinung und/oder Inhalt des Gesehenen einige Informationen bereit, die auch ohne Fachwissen verständlich sind. Wo kam ein Relief her, wer hat auf das Blatt geschrieben, was sind das für Flecken, was ist eine Soffitte? Zu vielen Fachbegriffen wurde zudem ein Glossar erarbeitet. In die hoch aufgelösten Abbildungen kann hineingezoomt werden, so dass viele mit dem bloßen Auge kaum zu erkennende Spuren deutlich zu sehen sind – und schließlich werden zu jedem Blatt mindestens sieben unterschiedliche Aufnahmen angeboten: Neben dem normalen Auflicht und dem Durchlicht (in dem z. B. Wasserzeichen im Papier erkennbar sind) wurden unter verschiedenen Wellenlängenbereichen des elektromagnetischen Spektrums sogenannte multispektrale Bilddaten erzeugt, die Unterschiede zwischen den Materialien und historische Gebrauchsspuren sichtbar machen können. Der schnelle Wechsel zwischen diesen Aufnahmen verdeutlicht nicht nur, was bei einer gewöhnlichen Beleuchtung einer Zeichnung oft unsichtbar bleibt, sondern macht auch einfach Spaß. Wissenschaftliche Forschung und spielerischer Zugang verbinden sich zu unerwarteten Erkenntnisgewinnen. Weitere explorative Zugänge bieten auf jedem Einzelblatt die Mikroskop-Buttons: Sie führen zu Hotspots, die zusätzliche Informationen zu vergrößerten Ausschnitten bieten – eine Griffelspur, eine korrigierte Linie, ein besonderes Motiv… Last but not least: Ihre individuellen Kommentare – ehemals in Bleistift auf den Passepartouts – können die Expert*innen wie auch alle Kunstinteressierte für jedes Blatt digital abgeben, und kommentiert von der Redaktion erscheinen auch diese für alle sichtbar im Netz.

Foto des Klebebands 1, der zugeschlagen auf einer erhöhten Unterlage liegt.

Unsere Datenbank begann als Idee und entstand mit dem Wissen, der Erfahrung und der Arbeitskraft vieler externer und interner Kolleg*innen aus verschiedenen Fachbereichen. Ihre zahlreichen Funktionen und die in ihr enthaltenen, umfangreichen Forschungsergebnisse hätten in einer oder mehreren gedruckten Publikationen nicht abgebildet werden können. Erst die digitale Publikationsform macht diese in vielerlei Hinsicht besonderen Zeichnungen aus der Werkstatt Piranesis und das über sie entstandene Wissen allen Interessierten auf unterschiedliche Weise zugänglich. Zudem kann und soll die Datenbank auch zukünftige Erkenntnisse aufnehmen und ein Austauschforum bleiben: für alle – allein oder im Team.

Jetzt die Datenbank In Piranesis Werkstatt – Die Karlsruher Alben entdecken!

Prof. Dr. Pia-Müller-Tamm im Gespräch mit Jakob Schwerdtfeger, 21. April 2023

Direktorin Pia Müller-Tamm im Gespräch mit Comedian Jakob Schwerdtfeger

14 Jahre lang leitete sie die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe – mit der Eröffnung der Ausstellung KunsthalleKarlsruhe@ZKM verabschiedete sie sich in den Ruhestand.

Im Gespräch mit Comedian und Host des Kunsthallen-Podcasts Kunstsnack Jakob Schwerdtfeger gibt Pia Müller-Tamm Einblicke in die Eigenheiten der Museumsarbeit, ihren beruflichen Plan B und ihre Perspektive auf Kunst.

Warum ist Museumsdirektorin der coolste Job der Welt?

Weil im Dreieck zwischen Kunst, Museum und Öffentlichkeit Dynamik herrscht, dort ist es oft eher hot als cool.

Was hat Sie während all der Jahre in Karlsruhe angetrieben?

Der Haupttreiber war und ist das Museum als Institution – ein ganz eigentümlicher Kosmos, einerseits staunenswert anpassungsfähig und robust, andererseits sehr verletzbar.

Was war ihr schönstes Erlebnis mit dem Museumspublikum in Karlsruhe?

Die allmähliche Annäherung der Menschen an den 100 Meter langen Gittergang bei den Alten Meistern, den der polnische Künstler Miroslaw Bałka 2010 dort installiert hat. Aus dem Anfangsschock wurde ein Befremden, wurde ein Verständnis, wurde Akzeptanz.

Der Trick besteht darin, die Illusion zu erzeugen, dass alles ganz einfach war.

Sie kennen den Job der Museumsdirektorin gut: Worum beneiden Sie Ihren Nachfolger nicht?

Mein Nachfolger kann sich auf den Job freuen, und ich bin mir sicher, dass er zu dem Job gut passt. Aber gibt es einen Job, bei dem alles Freude macht? Es gibt zähe Projekte, die die Kräfte unnötig verschleißen, aber – nötig oder unnötig – das ist immer eine Frage der Perspektive.

Ein Museum zu leiten, ist kräftezehrend. Sind Sie mal in einem Meeting eingeschlafen?

Ehrliche Antwort: ja.

Welche Tätigkeit als Direktorin hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?

Das Aufbauen einer Ausstellung, also ganz konkret das Komponieren von Wänden in den Galerien.

Viele Menschen unterschätzen die Komplexität eines Museums: Was macht man als Direktorin alles, wovon niemand etwas mitkriegt?

Die Liste würde zu lange und eigentlich interessiert das ja niemanden. Der Trick besteht darin, die Illusion zu erzeugen, dass alles ganz einfach war. Also keine Klagen aus dem Museum!

Wie viele Abende die Woche waren sie auf irgendwelchen Kunst-Events? War das ständige Networking manchmal anstrengend?

Das ist Teil der Jobbeschreibung und zwar der lustvolle. Ich genieße es, über die Kunst mit Menschen in Kontakt zu treten.

Kunst hat Ecken und Kanten, die nicht weichgespült werden sollten.

In Museen werden nur etwa 10% der Werke gezeigt, der Rest ist im Depot. Welches Werk war Ihre größte Entdeckung?

Die größte Entdeckung war nicht meine, sondern die eines famosen Praktikanten, der Georg Kabierske heißt und 2014 zwei Alben mit fast 300 Zeichnungen im Kupferstichkabinett der Kunsthalle neu bestimmt hat: aus Friedrich Weinbrenner wurde Giovanni Battista Piranesi und seine Werkstatt – beinahe ein Jahrhundertfund.

Neben vielen Bildern steht „Privatbesitz“. Wie kommen Sie an diese Werke heran? Gibt es ein geheimes Netzwerk oder wie macht man das?

In der Kunsthalle findet sich dieser Zusatz nur äußerst selten. Wenn man begrenzte Galerieflächen hat und große eigene Bestände, dann muss es sehr gute Gründe für die Annahme von Werken aus Privatbesitz geben, zum Beispiel eine besondere Bereicherung der Sammlung mit der Perspektive auf einen späteren Verbleib im Museum. Denn jedes Kunstwerk, das die Galeriewand besetzt, verdrängt ein anderes ins Depot; das ist die Arbeitshypothese des Museums.

Was war Ihrer Meinung nach die krasseste Leihgabe, die Sie an Land ziehen konnten?

Es gab eine ganze Reihe von Hochkarätern in den vergangenen Ausstellungen. Besonders dankbar waren wir für das monumentale Bildnis der Madame de Pompadour von François Boucher aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München.

Der Fokus in der deutschen Museumslandschaft liegt fast immer auf der westlichen Kunstgeschichte. Wie stehen Sie dazu?

Ein großes Thema, das mich sehr interessiert, eine Herausforderung, die das Selbstverständnis der Institutionen zentral betrifft. Und doch wäre jede museale Institution überfordert, wenn alle blinde Flecke besetzt werden wollten. Wir können eher intellektuell aufschließen, indem wir unsere eigene historische Rolle verorten und relativieren. Beispiel Kunsthalle: ein genuin europäisches Museum, aber der europäische Osten kommt in der Sammlung nicht vor, also schon im geographischen Nahbereich gibt es blinde Flecken.

Die Kunstwelt wird von außen leider immer noch häufig als elitär und abgehoben wahrgenommen. Was tun Sie dagegen? Wie bringt man Kunst in den Mainstream?

Zu Frage 1: Wir unternehmen auf der Ebene der Vermittlung vieles, um die Kunst Menschen mit unterschiedlichem kulturellen und Bildungshintergrund nahe zu bringen –  es ist das Megathema der Gegenwart. Zu Frage 2: Mainstream kann nicht das Ziel sein, weil die Kunst Ecken und Kanten hat, die nicht weichgespült werden sollten.

Jede*r im Team macht das zum ersten Mal: den Umzug eines Museums

Die Staatliche Kunsthalle wird bis 2028 renoviert: Wie ist es ein geschlossenes Museum zu leiten? Liegen alle Mitarbeitenden während dieser Zeit entspannt in Hängematten?

Ja, und auf Futons, in Schaukelstühlen und auf Kuscheldecken. Hier passt die Antwort von oben: Das Museum ist maximal gefordert, weil alle Routinen unterbrochen sind, jeder Vorgang neu ist, es herrscht kontrollierter Aufruhr in allen Bereichen des Hauses. Eine gigantische logistische Leistung, für die es keine Blaupause gibt. Jede*r im Team macht das zum ersten Mal: den Umzug eines Museums, das in seiner fast 180jährigen Geschichte nur ein einziges Mal (im Zweiten Weltkrieg) ausgezogen ist.

Wie kam es zu dem Deal, dass Sie nun einen Teil Ihrer Sammlung im ZKM zeigen? Dass dort die Kunsthalle mit ausstellen darf, ist irgendwie eine knuffige Museums-WG.

Die Geschichte beginnt 2018. Ich hatte Peter Weibel in die Jury unseres Wettbewerbs für die Sanierung der Kunsthalle eingeladen. Er kam und überreichte mir eine für mich angefertigte große Tasche mit der Aufschrift: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe in Großbuchstaben und darunter klein das ZKM-Logo. Dann hat er die Einladung ausgesprochen, während der bevorstehenden Schließzeit Teile der Sammlung im ZKM zu zeigen. Es ist sehr bedauerlich, dass er die Museums-WG nicht mehr erleben darf.

Der Museumsbau der Kunsthalle ist doch schon vorhanden und sieht beeindruckend aus. Was muss da denn noch verbessert werden?

Das historische Gebäude ist ein sehr charismatischer Bau, er wurde aber in den vergangenen Jahrzehnten intensiv genutzt und durch zu viele Funktionen überfordert. Bei der Sanierung geht es darum, das Denkmal zu konservieren und zu stärken, dann aber auch um so profane, gleichfalls wichtige Dinge wie Klimatisierung, Barrierefreiheit, Erneuerung der technischen Infrastruktur, Brandschutz, Sicherheit u.v.a.

Wenn Sie in 10 Jahren wieder in die Kunsthalle kommen. Was glauben Sie, was Sie vorfinden werden?

Ein saniertes und wiedereröffnetes Hauptgebäude, eine Erweiterung in der Planungsphase, wenn alles gut geht in der Bauphase.

Die richtige Balance aus Geschichtsbewusstsein und Gegenwartstauglichkeit.

Wissen Sie noch, wie Sie sich an Ihrem ersten Arbeitstag in der Kunsthalle gefühlt haben?

Daran erinnere ich mich sehr genau. 2. Mai 2009, der damalige Ministerpräsident Oettinger lud an dem Tag zu einem Kunst-Gipfel ins ZKM – eine erste gute Gelegenheit, die Akteure im Feld der Kunst in Baden- Württemberg persönlich kennenzulernen.

Wenn Sie jetzt noch mal an der Kunsthalle anfangen würden, was würden Sie anders machen?

Nichts in der großen Linie, aber in den Details.

Was war die größte Herausforderung, mit der Sie an der Kunsthalle konfrontiert wurden?

Dass immer wieder Pragmatismus und Ästhetik im Konflikt miteinander waren – und manchmal der Pragmatismus gesiegt hat.

Was war Ihnen in Ihrer Arbeit in Karlsruhe besonders wichtig?

Die richtige Balance aus Geschichtsbewusstsein und Gegenwartstauglichkeit.

Wie ist es über so einen langen Zeitraum eine repräsentative Rolle innezuhaben? Wären Sie auch gerne mal einfach in Jogginghose zur Arbeit erschienen?

Nein, wie sagte Karl Lagerfeld treffend: Wer in Jogginghosen herumläuft, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

Mal angenommen, es wären alle Möglichkeiten und unbegrenztes Budget vorhanden: Welche Ausstellung hätten Sie gerne in Karlsruhe realisiert?

Ich habe Ausstellungsideen immer im Kontext der jeweiligen Institution entwickelt, aus ihrer Sammlung heraus und aus den räumlichen Voraussetzungen, die ein gutes Zusammenspiel von Räumen und Werken gewährleisten. Also kein teurer Künstlername an dieser Stelle.

Ich liebe das Unerwartbare, die Andersheit, den Ausstand, eine Kunst jenseits von Regelwerken und Regelbrüchen.

Was ging bei einer Ausstellung mal so richtig schief?

Es kam ein fremder Virus, der legte die Ausstellung und die Kunstwelt und das Leben der Menschen lahm, und so kam es, dass die Boucher-Ausstellung bei zweimaliger Verlängerung über sechs Monate installiert, aber nur 28 Tage geöffnet war.

Was lieben Sie an der Kunst? Und was nervt Sie so richtig daran?

Meine Befassung mit dem Surrealismus hat in Teilaspekten auch meinen Kunstbegriff geprägt, daher: Ich liebe das Unerwartbare, die Andersheit, den Ausstand, eine Kunst jenseits von Regelwerken und Regelbrüchen. Und es nerven mich Künstler*innen, die in ihren Werken Lebenslügen des Kunstbetriebs aufsitzen.

Was ist Ihr Lieblingswerk in der Sammlung der Kunsthalle? Und welches Werk mögen Sie gar nicht?

Jetzt also die konventionelle Frage. Und hier die konventionelle Antwort: Eine Mutter liebt alle ihre Kinder, auch wenn manche etwas leichter zu lieben sind und andere etwas schwieriger. Reicht das?

Was müssen Museen machen, um heutzutage relevant zu bleiben?

Dazu würde ich gern die Meinung des ChatGPT einholen. 

Digitalisierung hat zahlreiche positive Effekte, aber ohne den analogen Ort ist das digitale Museum auf Dauer schwach.

Warum brauchte es gefühlt erst Corona, damit Museen verstanden haben, dass die Digitalisierung wichtig ist?

Umgekehrte Frage: Warum brauchte es Corona, um zu verstehen, dass Begeisterung für das Museum vor allem im Museum entsteht. Digitalisierung hat zahlreiche positive Effekte, aber ohne den analogen Ort ist das digitale Museum auf Dauer schwach.

Was für Möglichkeiten sehen Sie im digitalen Raum für die Kunsthalle Karlsruhe?

Die Kunsthalle hat mit ihrem gut informierten und hoch motivierten Digitalteam in den letzten Jahren dieses Feld intensiv bearbeitet und damit weithin sichtbare Zeichen gesetzt. Die Mischung ist stark – ein klassisches Kunstmuseum öffnet sich und gewinnt ein neues Profil im digitalen Raum, was auf das ganze Museum zurückstrahlt. Das erzeugt auch Reibungsflächen, die auszuhalten sind.

Ich denke nicht in der Kategorie von Ära; nach mir werden andere Menschen gute Ideen haben.

Wird man als Museumsdirektorin auf der Straße angesprochen? Falls ja, was sagen sie Leute dann?

Ja, immer wieder. Viel Lob für die Museumsarbeit des Hauses, manchmal auch Kritik, der ich mich stelle und für die ich mir Zeit nehme.

Was war ihr größter Glücksmoment in Ihrer Zeit in Karlsruhe?

Das WM-Halbfinale Brasilien – Deutschland 2014, 7:1 für Deutschland, auf einer Großleinwand im Lichthof der HfG vor studentischem Publikum – beste Stimmung!

Als Direktorin brauchen Sie ein Organisationstalent. Waren Sie in der Schule auch schon diejenige, die bei Gruppenreferaten den Großteil der Arbeit übernommen hat?

Im Gegenteil. Ich war keine begeisterte Schülerin.

In den meisten Museen darf sich die Direktorin ein Werk aus der Sammlung ins Büro hängen. Welches haben Sie gewählt und warum?

Ich fing an mit Beckmann, dann kam Fautrier, dann Klapheck, dann der Umzug und die Leere.

Wenn Sie noch mal wählen könnten: Was wären Sie gerne geworden? Gab es einen beruflichen Plan B?

Ja, Architektin; gut, dass das Plan B geblieben ist.

Warum macht Kunst das Leben besser?

Weil es auch im Leben auf die Nuancen ankommt.

Sie konnten an der Kunsthalle viel mitbestimmen und gestalten: Was soll von Ihnen überdauern? Was hinterlassen Sie nach all den Jahren in der Kunsthalle?

In jedem Fall bleiben die Zugewinne für die Sammlung, und da sind – das darf ich unbescheiden sagen – einige sehr gute Werke und Werkkomplexe hinzugekommen. Ich bin sehr froh, dass das Sammelgebiet Fotografie nun eröffnet und die Sanierung auf einem guten Weg ist. Aber sonst: Ich denke nicht in der Kategorie von Ära; nach mir werden andere Menschen gute Ideen haben.

Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen

Die heimliche Gründerin der Karlsruher Kunsthalle

Zum 300. Geburtstag der Meister-Sammlerin Karoline Luise von Baden am 11. Juli 2023

„Man kann nicht liebenswürdiger sein als die Markgräfin. Sie übertrifft wirklich alles, was Sie mir von ihr erzählt haben. Keine Französin gibt es, die so viel Geist, Kenntnisse und Höflichkeit besäße wie sie. Ihre Konversation hat mich entzückt, hätte ich sie nur schon früher kennengelernt!“

Es war Voltaire, der Aufklärer, der berühmteste Intellektuelle seiner Zeit, der Karoline Luise 1758 auf diese Weise pries. Vorangegangen war ein viertägiger Besuch in Karlsruhe – ein Aufenthalt, den der Dichter-Philosoph mehreren Zeugnissen zufolge sehr genoss: Er lobte das Schloss, wo Geschmack wichtiger sei als Pracht, den botanischen Garten mit seinen 3.000 exotischen Pflanzen, die Gespräche mit Karoline Luise und die erstaunlichen Pastelle von ihrer Hand. Später sandte ihm die Markgräfin ein solches Werk nach Genf, wofür sich Voltaire mit einer gereimten Lobeshymne bedankte:

„Tout me plaît en vous, tout me touche;
Parlez, belle princesse, écrivez ou peignez:
Les Grâces, par qui vous régnez,
Ou conduisent vos mains, ou sont sur votre bouche.“

(„Alles an Ihnen gefällt mir, alles berührt mich;
Ob Sie reden, schöne Prinzessin, ob Sie schreiben oder malen:
Die Grazien, durch welche Sie regieren,
Führen Ihre Hand und sprechen durch Ihren Mund.“).

Und Voltaire fügte hinzu: Die Stadt trage ihren Namen zu Recht. Sie sei in den schrecklichen Zeiten des Krieges (wir nennen ihn heute den Siebenjährigen Krieg) tatsächlich ein Asyl der Ruhe.

Leider haben sich Museen ein bisschen von der Gesellschaft entfremdet, durch zu viele schlaue Worte und durch zu viel Brimborium.

Karoline Luise, die Meister-Sammlerin

Karoline Luise war eine Meister-Sammlerin – so der Titel der Großen Landesausstellung, die ihr die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 2015 gewidmet hat. Sie kaufte nicht nur Meisterwerke, sondern tat dies auf eine meisterliche Art und Weise. Doch was genau war so außerordentlich? War es das besondere Profil ihres Malereikabinetts? – Keineswegs! Die Markgräfin kaufte das, was im mittleren 18. Jahrhundert allgemein und speziell in Frankreich sehr geschätzt wurde: die großen Flamen der Barockzeit, die Holländer des 17. Jahrhunderts und französische Meister des 18. Jahrhunderts mit Neigung zur niederländischen Malerei. Für die Italiener konnte sie sich nie recht erwärmen, und sie bevorzugte Genrebilder, Landschaften und Stillleben entschieden gegenüber Historie und Porträt. Auch das lag durchaus im Trend. Nein: Nicht Karoline Luises Geschmack und Vorlieben waren einzigartig. Als ziemlich singulär aber dürfen die Konsequenz und das Niveau ihres Sammelns sowie ihr hoher persönlicher Einsatz bezeichnet werden. Karoline Luise sammelte mit Eifer und Verstand, schulte unablässig ihren Blick für die Qualitäten großer Kunst und beobachtete genauestens den Markt. Sie las die gedruckte Kunstliteratur ihrer Zeit, studierte Sammlungs- und Auktionskataloge, betrachtete Reproduktionsstiche, holte den Rat von Kennern, Künstlern, Agenten und Händlern ein. Sie ließ sich von vielen Seiten informieren, doch am Ende entschied sie selbst.

Die wahre Challenge ist es, simpel zu formulieren und trotzdem schlaue Inhalte rüber zu bringen.

Karoline Luise, die Künstlerin

Und niemand konnte ihr etwas vormachen! Seit früher Jugend zeichnete und malte sie selbst. Der große Genfer Porträtist Jean-Etienne Liotard hat sie 1745 als 22jährige Prinzessin von Hessen-Darmstadt, das heißt vor ihrer Hochzeit mit Markgraf Karl Friedrich von Baden 1751, dargestellt: Karoline Luise sitzt vor der Staffelei und ist im Begriff, ein Pastell zu beginnen. Liotard hat ihr systematischen Unterricht erteilt, davon zeugen Karoline Luises eigenhändige Notizen noch heute. Die wohl erstaunlichsten Werke von der Hand Karoline Luises sind ihre Pastellkopien nach Alten Meistern. Sie sind Zeugnisse für ein Verstehen durch Nachahmung. Malend ging sie der Frage nach: Was macht ein Bild zum Meisterwerk? Die Markgräfin war eine wissbegierige, forschende, Einsichten suchende Sammlerin. Ihr Malereikabinett war für sie eine Art Bibliothek, in der sie studieren konnte. So hat sie es in einem Brief selbst formuliert. Für ihre Pastelle war nicht nur Liotard, sondern auch Rosalba Carriera, die Pionierin dieser Technik, ein Vorbild. 1764 konnte Karoline Luise mit der Allegorie der Poesie ein Meisterwerk der großen „Rosalba“, wie sie genannt wurde, erwerben.

Kunst ist ja sinnlos. Wir könnten ohne sie leben, aber dann wäre das Leben nicht so schön und bunt und interessant.

Karoline Luise, die Perfektionistin

Karoline Luise, die Meister-Sammlerin, kümmerte sich um alles selbst: Sie beaufsichtigte sogar das Ein- und Auspacken der Transportkisten, wenn Bilder zur Ansicht nach Karlsruhe kamen oder wenn diese wieder zurückgeschickt wurden. Sie war unerbittlich, wenn es um die Qualität ging: „Ich dulde nichts in meinem Kabinett, das nicht perfekt ist“, schrieb sie an Gottlieb Heinrich Treuer, ihren Agenten in Den Haag. Sie fürchte das Mittelmaß – „Je crains le mediocre“ – heißt es an anderer Stelle. Außergewöhnliche Schönheit – „une beautée surprenante“ war ihre Grundbedingung. Diese Schönheit maß sich zumeist am Grad der Ausführung. Karoline Luise liebte besonders die holländischen, ganz präzise („très fini“) arbeitenden Feinmaler. Nichtsdestotrotz konnte sie sich für die freiere Malerei Rembrandts oder Chardins erwärmen.

Auch das zeichnet sie aus: Ihr Geschmack war klar umrissen, gelegentlich aber durchaus offen für abseits Liegendes. Da die Markgräfin mit ihren begrenzten finanziellen Mitteln auf das Optimum zielte, schreckte sie vor hartnäckigem Handeln und Feilschen nicht zurück. Als sie beispielsweise aus Paris das besonders begehrte, aber auch besonders teure Blumenstillleben von Jan van Huysum erhielt, da bemerkte sie in der Holztafel Wurmlöcher. Daraufhin schickte sie das Bild nicht etwa zurück, besaß es doch zweifellos die von Karoline Luise geforderte „außergewöhnliche Schönheit“. Nein, sie versuchte den vereinbarten Preis neu zu verhandeln. In diesem Falle übrigens ohne Erfolg: Sie bekam keinen Rabatt, sondern lediglich einen Ratschlag, wie man Holzwürmer mit Terpentin bekämpft.

Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen

Die heimliche Gründerin der Karlsruher Kunsthalle

Zum 300. Geburtstag der Meister-Sammlerin Karoline Luise von Baden am 11. Juli 2023

„Man kann nicht liebenswürdiger sein als die Markgräfin. Sie übertrifft wirklich alles, was Sie mir von ihr erzählt haben. Keine Französin gibt es, die so viel Geist, Kenntnisse und Höflichkeit besäße wie sie. Ihre Konversation hat mich entzückt, hätte ich sie nur schon früher kennengelernt!“

Es war Voltaire, der Aufklärer, der berühmteste Intellektuelle seiner Zeit, der Karoline Luise 1758 auf diese Weise pries. Vorangegangen war ein viertägiger Besuch in Karlsruhe – ein Aufenthalt, den der Dichter-Philosoph mehreren Zeugnissen zufolge sehr genoss: Er lobte das Schloss, wo Geschmack wichtiger sei als Pracht, den botanischen Garten mit seinen 3.000 exotischen Pflanzen, die Gespräche mit Karoline Luise und die erstaunlichen Pastelle von ihrer Hand. Später sandte ihm die Markgräfin ein solches Werk nach Genf, wofür sich Voltaire mit einer gereimten Lobeshymne bedankte:

„Tout me plaît en vous, tout me touche;
Parlez, belle princesse, écrivez ou peignez:
Les Grâces, par qui vous régnez,
Ou conduisent vos mains, ou sont sur votre bouche.“

(„Alles an Ihnen gefällt mir, alles berührt mich;
Ob Sie reden, schöne Prinzessin, ob Sie schreiben oder malen:
Die Grazien, durch welche Sie regieren,
Führen Ihre Hand und sprechen durch Ihren Mund.“).

Und Voltaire fügte hinzu: Die Stadt trage ihren Namen zu Recht. Sie sei in den schrecklichen Zeiten des Krieges (wir nennen ihn heute den Siebenjährigen Krieg) tatsächlich ein Asyl der Ruhe.

Karoline Luise, die Meister-Sammlerin

Karoline Luise war eine Meister-Sammlerin – so der Titel der Großen Landesausstellung, die ihr die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 2015 gewidmet hat. Sie kaufte nicht nur Meisterwerke, sondern tat dies auf eine meisterliche Art und Weise. Doch was genau war so außerordentlich? War es das besondere Profil ihres Malereikabinetts? – Keineswegs! Die Markgräfin kaufte das, was im mittleren 18. Jahrhundert allgemein und speziell in Frankreich sehr geschätzt wurde: die großen Flamen der Barockzeit, die Holländer des 17. Jahrhunderts und französische Meister des 18. Jahrhunderts mit Neigung zur niederländischen Malerei. Für die Italiener konnte sie sich nie recht erwärmen, und sie bevorzugte Genrebilder, Landschaften und Stillleben entschieden gegenüber Historie und Porträt. Auch das lag durchaus im Trend. Nein: Nicht Karoline Luises Geschmack und Vorlieben waren einzigartig. Als ziemlich singulär aber dürfen die Konsequenz und das Niveau ihres Sammelns sowie ihr hoher persönlicher Einsatz bezeichnet werden. Karoline Luise sammelte mit Eifer und Verstand, schulte unablässig ihren Blick für die Qualitäten großer Kunst und beobachtete genauestens den Markt. Sie las die gedruckte Kunstliteratur ihrer Zeit, studierte Sammlungs- und Auktionskataloge, betrachtete Reproduktionsstiche, holte den Rat von Kennern, Künstlern, Agenten und Händlern ein. Sie ließ sich von vielen Seiten informieren, doch am Ende entschied sie selbst.

Die Abbildung zeigt den Komponisten Joseph-Nicolas-Pancrace Royer, wie er an der Oper Zaïde, seiner berühmtesten Komposition, arbeitet und von seiner Arbeit aufschaut.

Karoline Luise, die Künstlerin

Und niemand konnte ihr etwas vormachen! Seit früher Jugend zeichnete und malte sie selbst. Der große Genfer Porträtist Jean-Etienne Liotard hat sie 1745 als 22jährige Prinzessin von Hessen-Darmstadt, das heißt vor ihrer Hochzeit mit Markgraf Karl Friedrich von Baden 1751, dargestellt: Karoline Luise sitzt vor der Staffelei und ist im Begriff, ein Pastell zu beginnen. Liotard hat ihr systematischen Unterricht erteilt, davon zeugen Karoline Luises eigenhändige Notizen noch heute. Die wohl erstaunlichsten Werke von der Hand Karoline Luises sind ihre Pastellkopien nach Alten Meistern. Sie sind Zeugnisse für ein Verstehen durch Nachahmung. Malend ging sie der Frage nach: Was macht ein Bild zum Meisterwerk? Die Markgräfin war eine wissbegierige, forschende, Einsichten suchende Sammlerin. Ihr Malereikabinett war für sie eine Art Bibliothek, in der sie studieren konnte. So hat sie es in einem Brief selbst formuliert. Für ihre Pastelle war nicht nur Liotard, sondern auch Rosalba Carriera, die Pionierin dieser Technik, ein Vorbild. 1764 konnte Karoline Luise mit der Allegorie der Poesie ein Meisterwerk der großen „Rosalba“, wie sie genannt wurde, erwerben.

Die Abbildung zeigt Louise-Geneviève Royer in prachtvoller Kleidung und mit freundlichem Blick. Die schwarze Maske und der Fächer in ihren Händen deuten darauf hin, dass sie wohl gerade zu einem Ball aufbricht.

Karoline Luise, die Perfektionistin

Karoline Luise, die Meister-Sammlerin, kümmerte sich um alles selbst: Sie beaufsichtigte sogar das Ein- und Auspacken der Transportkisten, wenn Bilder zur Ansicht nach Karlsruhe kamen oder wenn diese wieder zurückgeschickt wurden. Sie war unerbittlich, wenn es um die Qualität ging: „Ich dulde nichts in meinem Kabinett, das nicht perfekt ist“, schrieb sie an Gottlieb Heinrich Treuer, ihren Agenten in Den Haag. Sie fürchte das Mittelmaß – „Je crains le mediocre“ – heißt es an anderer Stelle. Außergewöhnliche Schönheit – „une beautée surprenante“ war ihre Grundbedingung. Diese Schönheit maß sich zumeist am Grad der Ausführung. Karoline Luise liebte besonders die holländischen, ganz präzise („très fini“) arbeitenden Feinmaler. Nichtsdestotrotz konnte sie sich für die freiere Malerei Rembrandts oder Chardins erwärmen.

Auch das zeichnet sie aus: Ihr Geschmack war klar umrissen, gelegentlich aber durchaus offen für abseits Liegendes. Da die Markgräfin mit ihren begrenzten finanziellen Mitteln auf das Optimum zielte, schreckte sie vor hartnäckigem Handeln und Feilschen nicht zurück. Als sie beispielsweise aus Paris das besonders begehrte, aber auch besonders teure Blumenstillleben von Jan van Huysum erhielt, da bemerkte sie in der Holztafel Wurmlöcher. Daraufhin schickte sie das Bild nicht etwa zurück, besaß es doch zweifellos die von Karoline Luise geforderte „außergewöhnliche Schönheit“. Nein, sie versuchte den vereinbarten Preis neu zu verhandeln. In diesem Falle übrigens ohne Erfolg: Sie bekam keinen Rabatt, sondern lediglich einen Ratschlag, wie man Holzwürmer mit Terpentin bekämpft.

Sammlungsleiter Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen steht in einem Ausstellungsraum der Kunsthalle Karlsruhe. An der Wand hängen die beiden Pastellbildnisse von Jean-Marc Nattier, die Joseph-Nicolas-Pancrace Royer und Louise Geneviève Royer zeigen. Der Vordergrund ist leicht unscharf und zeigt Kisten.

Karoline Luise, die heimliche Gründerin der Kunsthalle

Charakteristisch für Karoline Luise war ihr wacher, tätiger Geist, und dieser war auch die Grundlage ihres Sammelns. Das Malereikabinett ist Resultat eines aufgeklärten, kritisch-reflektierenden, qualitäts- und preisbewussten Sammelns, das auf umfassender Bildung, intensivem Austausch und echter Begeisterung für die Kunst beruhte. Glücklicherweise blieb es weitgehend erhalten. Denn nachdem die Markgräfin auf einer Reise 1783 in Paris überraschend gestorben war, wurde ihre Sammlung von den drei Söhnen – ausdrücklich im Sinne der Verstorbenen – zu einem unveräußerlichen und unteilbaren Sondervermögen des Hauses Baden erklärt. Die Bestände des Malereikabinetts – 205 Werke – wurden genau inventarisiert und ab 1789 im neu errichteten Gebäude der „Zeichenakademie“ öffentlich ausgestellt. Sie bildeten später den historischen Kern der 1846 eröffneten Großherzoglich Badischen Kunsthalle. Insofern kann man Karoline Luise als ihre heimliche Gründerin bezeichnen. Die von ihr gesammelten Gemälde begründeten den internationalen Ruf der Karlsruher Altmeistersammlung und gehören noch immer zum Kostbarsten, was die (inzwischen Staatliche) Kunsthalle zu bieten hat.

Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen

Die heimliche Gründerin der Karlsruher Kunsthalle

Zum 300. Geburtstag der Meister-Sammlerin Karoline Luise von Baden am 11. Juli 2023

Seit der Neuzuschreibung von rund 300 Zeichnungen an die römische Werkstatt von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) im Jahr 2014 hat sich viel getan. Stetig wachsen die Onlinesammlungen der Museen, durch die ihre Bestände auf eine völlig neue Art sichtbar und – zumindest virtuell – erfahrbar werden können. Auch Werke, die zuvor nur einem kleinen Kreis von Spezialist*innen bekannt waren, sind heute weltweit, jederzeit und von jeder Person mit Internetzugang zu betrachten und zu studieren. Die Corona-Pandemie steigerte zudem die Bereitschaft, digital miteinander zu kommunizieren und – alleine vor dem heimischen Bildschirm – mit einer großen Gruppe Bilder zu teilen, sie gemeinsam zu untersuchen und über sie zu diskutieren, ganz egal, ob man sich in New York, Paris oder Karlsruhe befindet. Bei ausreichend hoher Auflösung der Abbildungen kann man sogar zusammen in ein Werk zoomen und kollektiv Dinge entdecken, die sich analog vor dem Original und unter dem Mikroskop lediglich einer einzigen Person erschließen würden. Das sind nur einige der vielen Beweggründe, weshalb wir uns bei der Aufbereitung der Ergebnisse des DFG-geförderten Forschungsprojektes für die Publikation als Datenbank mit explorativem Ansatz entschieden haben.

Das Werk "Felslandschaft mit Nomadenfamilien" wurde wieder zusammengesetzt und eingerahmt. In der Mitte ist die Spur der Trennung noch immer sichtbar.

Teamarbeit damals wie heute

In der traditionellen Zeichnungsforschung haben sich kennerschaftliche Autoritäten, mit speziellem Fachwissen zu einzelnen Künstlern, meist individuell ausgebildet: zwischen Original und Forscher*in. Natürlich tauschte man sich in Fachkreisen aus, sowohl persönlich als auch schriftlich – in allen großen Sammlungen haben sich auf den Passepartouts oder Kartonträgern die zarten Bleistiftkommentare von Expert*innen mit ihren Zuschreibungen und Verweisen zu den jeweiligen Originalen erhalten. Diese handschriftlichen Vermerke von berühmten Kunsthistoriker*innen aus verschiedenen Zeiten sind ein großer Schatz und durchaus berührend, wenn man die Werke analog studiert. Methodisch scheinen die sich durch digitale Publikationsformen ausbreitenden Sammlungskenntnisse jedoch eher kollaborative Arbeitsformen zu unterstützen. Das ist eine ausgesprochen demokratisierende Methodenentwicklung, die neue Ideen, Interessen, Perspektiven und Fragestellungen generiert. Innovation erfolgt dabei nicht mehr nur durch eine Einzelperson als vielmehr im Team, das im Idealfall in einem gleichberechtigten Austausch seine Vorstellungen, Gedanken und Anregungen entwickelt.

Detailansicht des Spaltes, an dem das Werk auseinandergesägt wurde.

Ein Titan der Kunstgeschichte: Giovanni Battista Piranesi

In der Entstehung unserer Datenbank zu den Zeichnungen aus Piranesis Werkstatt war und ist dieser Teamgedanke in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: Die Blätter selbst stammen aus der Werkstatt eines der großen Titanen der Kunstgeschichte: Giovanni Battista Piranesi war eine wegweisende und bis heute vielfach rezipierte Autorität in der Gattung der Romansichten und der Antikendarstellungen, aber auch der Architekturfantasien und der Kunst der Radierung. Mehr als tausend gedruckte Darstellungen stammen von diesem außergewöhnlichen Künstler, der neben seiner Tätigkeit als Druckgrafiker und Verleger auch Archäologe, Antikenhändler, Architekt und Architekturtheoretiker war. Seine künstlerische Genialität und sein Ideenreichtum waren überragend. Laut seines ersten Biografen Jacques-Guillaume Legrand (1753-1807) äußerte sich der Künstler einst selbst über seine überbordende Kreativität: „Ich muss neue Ideen hervorbringen, und ich glaube, wollte man mir den Plan eines neuen Universums auftragen, ich wäre Narr genug, ihn zu entwerfen.“

 

Zusammengesetzte Fragmente, die das Werk "Lot und seine Töchter" ergeben.

Teamarbeit – im 18. wie im 21. Jahrhundert

Doch bei aller individuellen Schöpferkraft: Natürlich konnte er diese gewaltige Produktion nicht alleine stemmen! Natürlich brauchte er dafür ein Team, das ihm Motive und Vorlagen lieferte, die seine Imagination anregten und die er weiter verwertete. Und hier kommen die Karlsruher Blätter ins Spiel: Die meisten zeigen antike Architekturreliefs, ornamentale Details oder Studien nach römischen Plastiken, von mehreren Mitarbeitern Piranesis manchmal direkt nach den antiken Monumenten abgezeichnet. Viele Blätter weisen Spuren von unterschiedlichen Kopier- und Pausverfahren auf, die uns heute erahnen lassen, wie zahlreich und geschäftig die Gruppe an Zeichnern und Zeichnerinnen (Piranesis Tochter Laura, geboren wohl um 1755 und gestorben im Jahr 1785, war auch dabei) in Piranesis Werkstatt gewesen sein muss. In einem Zeitalter vor der Erfindung der Fotografie waren die Künstler*innen erfinderisch in ihren Methoden zur Vervielfältigung und Übertragung von Motiven. Auf den Blättern tragen sowohl die unterschiedlichen Strichbilder, Linienführungen und Beschriftungen als auch die verschiedenen Papiere, Ölflecken, Stecknadellöchlein oder Griffelspuren zahlreiche Informationen, die nicht nur von einem großen Arbeitskollektiv aus dem 18. Jahrhundert erzählen, sondern heute in einer engen Zusammenarbeit von Forscher*innen der Kunstgeschichte und der Restaurierung ausgewertet worden sind. Denn Inhalt und Material sind in diesen Objekten untrennbar miteinander verwoben, erst ihre gemeinsame Betrachtung enthüllt die Entstehungs- und Nutzungsgeschichte der Blätter. Teamarbeit – im 18. wie im 21. Jahrhundert!

Für die Forscher*innen sind diese gemeinsamen Untersuchungen spannend, ja regelrecht beglückend und tragen erheblich zum gegenseitigen Erkenntnisgewinn bei. Doch befinden wir uns in einem Museum, das sowohl zu einer Veröffentlichung seiner wissenschaftlichen Forschungen verpflichtet ist als auch zu einer Publikationsform, die nicht nur für Expert*innen interessant ist. Und es ist ein inspirierender Prozess, zu überlegen, wie die eigene Faszination an einem sehr speziellen Thema, das auch in der Fachwelt abseits des Mainstreams liegt, auf andere übertragen werden kann – wie der Funke überspringen könnte…

Herausforderungen in der vielschichtigen Vermittlung

Die Objekte waren eine Herausforderung: Großformatige, etwas abgegriffene und fleckige Bände, ausgeschnittene und wieder eingeklebte Zeichnungen, ornamentale, sich ähnelnde Motive, die für sich genommen erst einmal keine Geschichte erzählen. Nur im Kontext vermag sich die Vielfalt ihrer Bedeutungsebenen erschließen. Daher galt es auch hier, in einer Teamarbeit Lösungen zu finden! Externe und interne Kolleg*innen aus dem Forschungsprojekt und mehrere Abteilungen der Kunsthalle (Sammlung und Wissenschaft sowie Kommunikation mit u.a. Digital Management) feilten gemeinsam an einer Präsentationsform der Datenbank, die sowohl den wissenschaftlichen Standards als auch dem Vermittlungsauftrag des Museums gerecht werden musste – und dabei natürlich den finanziellen Rahmen nicht sprengen durfte.

So beginnt der Einstieg mit einem kurzen Clip, der das Blättern durch eines der beiden großen Alben zeigt und so den (nicht immer einfachen) Umgang mit den analogen Objekten vermittelt. Beim Hinunterscrollen ist das Eintauchen in unsere Bände über drei Zugänge möglich: die Einzelwerke, Highlights oder Essays. Mit einem Klick gelangt man zu einem Überblick über alle enthaltenen Zeichnungen, die zahlreiche Wissensebenen enthalten: Technische Angaben und umfassende Analysen aus der Kunstgeschichte und der Materialtechnologie ermöglichen in klarer inhaltlicher Ordnung eine vertiefte Lektüre zu jedem einzelnen Blatt, wobei die jeweilige Position einer Zeichnung innerhalb des Klebebandes rasch ermittelt werden kann. Über ein Buchsymbol gelangt man zu den aufgeschlagenen Albumseiten, durch die digital geblättert werden kann, um sich einen generellen Eindruck über den Inhalt beider Bände zu verschaffen. Für jede Doppelseite und jede einzelne Zeichnung wurde darüber hinaus ein kurzer Teasertext verfasst. Dieser hält zu Erscheinung und/oder Inhalt des Gesehenen einige Informationen bereit, die auch ohne Fachwissen verständlich sind. Wo kam ein Relief her, wer hat auf das Blatt geschrieben, was sind das für Flecken, was ist eine Soffitte? Zu vielen Fachbegriffen wurde zudem ein Glossar erarbeitet. In die hoch aufgelösten Abbildungen kann hineingezoomt werden, so dass viele mit dem bloßen Auge kaum zu erkennende Spuren deutlich zu sehen sind – und schließlich werden zu jedem Blatt mindestens sieben unterschiedliche Aufnahmen angeboten: Neben dem normalen Auflicht und dem Durchlicht (in dem z. B. Wasserzeichen im Papier erkennbar sind) wurden unter verschiedenen Wellenlängenbereichen des elektromagnetischen Spektrums sogenannte multispektrale Bilddaten erzeugt, die Unterschiede zwischen den Materialien und historische Gebrauchsspuren sichtbar machen können. Der schnelle Wechsel zwischen diesen Aufnahmen verdeutlicht nicht nur, was bei einer gewöhnlichen Beleuchtung einer Zeichnung oft unsichtbar bleibt, sondern macht auch einfach Spaß. Wissenschaftliche Forschung und spielerischer Zugang verbinden sich zu unerwarteten Erkenntnisgewinnen. Weitere explorative Zugänge bieten auf jedem Einzelblatt die Mikroskop-Buttons: Sie führen zu Hotspots, die zusätzliche Informationen zu vergrößerten Ausschnitten bieten – eine Griffelspur, eine korrigierte Linie, ein besonderes Motiv… Last but not least: Ihre individuellen Kommentare – ehemals in Bleistift auf den Passepartouts – können die Expert*innen wie auch alle Kunstinteressierte für jedes Blatt digital abgeben, und kommentiert von der Redaktion erscheinen auch diese für alle sichtbar im Netz.

Ein Gemälde, das die Sammlung des Cornelis van der Geest in Antwerpen zeigt. Auf dem Gemälde ist ein Raum zu sehen, in dem zahlreiche Kunstwerke hängen. Am unteren Bildrand sind einige Menschen versammelt, die sich die Werke ansehen.

Ebenso hochkarätig wie die anwesenden Besucher*innen ist die ausgestellte Kunst: die Werke der berühmtesten Künstler*innen sind hier versammelt. An jeder freien Wandfläche des Saales hängen kleine und große Gemälde, weitere Bilder stehen auf dem Boden. Hinzukommen große Marmorskulpturen, kleine Bronzeplastiken, Zeichnungen, Münzen, Porzellan und wissenschaftliche Instrumente – der Raum scheint schier aus allen Nähten zu platzen. Viele der Bilder sind uns auch heute noch bekannt; einige von ihnen haben sich in den großen Gemäldegalerien erhalten, darunter zum Beispiel die berühmte Amazonenschlacht von Peter Paul Rubens (heute in der Alten Pinakothek in München). Und ganz oben unter der Decke, frontal und fast unverstellt, hängt sie, die Karlsruher Felslandschaft – nur die Spitze des Kerzenleuchters ragt ein wenig in den blauen Himmel.

Detailausschnitt eines Gemäldes, der wiederrum ein Gemälde zeigt.

Moment – in den blauen Himmel? Ja, in der Tat: Willem van Haechts gemalte Wiedergabe zeigt, dass die Karlsruher Landschaft ursprünglich bedeutend größer gewesen ist. Die sich in der linken Bildhälfte auftürmenden Felsen waren einst bewachsen, der Leiternsteiger war wohl auf dem Weg zu der schiefen Hütte, deren Dach zu sehen ist. Und auch der hohe Laubbaum rechts und die hier eher exotisch anmutende Palme erschienen zuvor in ihrer vollen Pracht. Minutiös hat der Maler zahlreiche Details des Gemäldes wiedergegeben – jedoch ließ er durchaus großzügig künstlerische Freiheit walten, was die Größenverhältnisse anging. Vergleicht man die Felslandschaft mit einigen anderen, noch erhaltenen Bildern (zum Beispiel mit der Amazonenschlacht von Rubens), so ist festzustellen, dass die Karlsruher Tafel fast doppelt so groß erscheint, wie sie in Realität war. Andere, signifikant größere Werke wiederum wurden sichtlich verkleinert. Dies deutet darauf hin, dass Künstler und Auftraggeber besonderen Wert darauf gelegt haben, möglichst viele Schätze der Sammlung in dem Gemälde unterzubringen und diese zudem klar wiedererkennbar abzubilden.

Verloren… und wiedergefunden

40 Jahre nach der Entstehung des Gemäldes Die Sammlung des Cornelis van der Geest in Antwerpen ist die Felslandschaft noch einmal archivalisch (wohl unversehrt) nachweisbar: im Katalog der Sammlung von Pieter Stevens in Antwerpen, die 1668 versteigert wird. Dann verliert sich ihre Spur. Wann die Eichenholztafel zersägt wurde, ist unbekannt. Erst in den 1930er Jahren werden die lange Zeit an unterschiedlichen Orten aufbewahrten unteren Fragmente als zusammengehörig erkannt.

Doch was passierte mit der oberen Bildhälfte, nachdem das Gemälde zersägt worden war? In die linke Ecke mit der Hütte auf den Felsen malte wohl kurz nach der Zerteilung ein unbekannter Künstler eine Szene mit der Versuchung des heiligen Antonius – mit dieser religiösen „Zugabe“ ließ sich auch dieses Stück noch verkaufen. Bekannt ist, dass sich das Fragment in der Mitte des 20. Jahrhunderts in einer Mailänder Privatsammlung befunden hat. Was seitdem mit ihm geschah oder wo es sich heute befindet, wissen wir nicht. Die rechte obere Ecke wurde sehr wahrscheinlich entsorgt: zu uninteressant war der verbliebene Ausschnitt, der nur den wolkenverhangenen Himmel mit einigen Baumkronen zeigte.

Die Schwarzweiß-Reproduktion zeigt ein Frequemt der "Felslandschaft" mit einer Ergänzung des Motivs der Versuchung des heiligen Antonius.

Eine Mischung aus Glück und Zufall sorgte dafür, dass die beiden unteren Bildhälften der Landschaft schließlich in die Kunsthalle Karlsruhe gelangten: 1964 erwarb man die rechte Hälfte des Bildes aus dem deutschen Kunsthandel. Nur wenige Jahre später, im Herbst 1970, konnte auch das linke Felsenfragment aus einer New Yorker Privatsammlung angekauft werden. Die zuvor jahrhundertelang getrennte Nomadengesellschaft hängt seitdem – glücklich wiedervereint, sorgsam konserviert und neu gerahmt – in der Sammlung der Kunsthalle. Und der Herr mit dem schwarzen Vollbart hat endlich seine rechte Hand zurück.

Zum Vertiefen und Weiterlesen: Entdecken Sie diese Werke in der Sammlung Online.

Sarah Ball, 16. Dezember 2022

Kunsthallen-DIY: Orangen-Stillleben

Zitrusfrüchte sind auf zahlreichen Stillleben der Kunsthallen-Sammlung abgebildet. Um das malerische Können zu demonstrieren, wurden die exotischen Früchte meist halb geschält inszeniert, damit die Strukturen des Fruchtfleischs und der Schale sichtbar werden. Inspiriert von den Zitrusfrüchten der Kunsthallen-Gemälde, zeigt dieses Kunsthallen-DIY, wie aus Orangen ein weihnachtliches Stillleben entsteht, das die beliebten Strukturen besonders hervorhebt.

Die Orangen werden zunächst getrocknet und damit haltbar gemacht. Ähnlich wie Vanitas-Stillleben, die die Vergänglichkeit zwar thematisieren, aber die Früchte durch das Malen dennoch für die Ewigkeit festhalten, verhält es sich mit diesem Kunsthallen-DIY. Das weihnachtliche Stillleben aus den getrockneten Früchten kann zur Dekoration oder als Geschenkanhänger verwendet werden. Ein schönes Accessoire mit einer kunstvollen Geschichte.

Im Mittelpunkt des Fotos ist ein verpacktes Geschenk zu sehen mit dem Orangen-Stillleben als Anhänger.

Was benötigt wird:

Drei bis vier Orangen, Deko-Schnur und Dekomaterial wie bspw. Zimtsterne, Zweige und Holzkugeln, Schneidebrett und Messer, Backpapier und Küchentuch. Ein Ofen.

Auf dem Bild ist ein Küchentuch, ein gerolltes Backpapier, ein Schneidebrett, ein Messer, zwei Schnüre, drei Zimtstangen, zwei Holzperlen, vier Orangen und Tannenzweige zu sehen.

Orangen vorbereiten:

Zunächst die Orangen in gleichmäßige Scheiben von ca. 5-10 mm schneiden. Im nächsten Schritt werden die Orangenscheiben dann auf ein Küchentuch gelegt und trocken getupft, um ihnen bereits vorab schon etwas Feuchtigkeit zu entziehen. Anschließend kommen die Orangenscheiben auf einen Rost mit Backpapier.

Das Foto ist viergeteilt und zeigt die Schritte, die zur Vorbereitung notwendig sind, um Orangen zu trocknen. Das beinhaltet trockentupfen und auf ein Backpapier auf einen Rost legen.

Orangen trocknen:

Die Orangenscheiben werden nun bei 80°C Ober-/Unterhitze im Ofen getrocknet. Das dauert, je nach Größe der Scheiben, ca. zwei Stunden. Währenddessen sollten die Orangen mehrmals gewendet und im Blick behalten werden.

Das Foto ist zweigeteilt. Auf der linken Seite sieht man frische Orangenscheiben auf einem Backpapier im Ofen. Die rechte Seite zeigt die Orangenscheiben getrocknet nach dem Backvorgang.

Zwischenergebnis:

Sobald die Orangen getrocknet sind, können sie nach Belieben weiterverwendet werden. Das Kunsthallen-DIY zeigt die weiteren Schritte, um die getrockneten Scheiben in ein weihnachtliches Stillleben zu verwandeln.

Getrocknete Orangenscheiben zwischen Tannenzweigen.

Auffädeln:

Die Orangenscheiben werden nun aufgefädelt. Dazu gegebenenfalls vorher mit einem spitzen Gegenstand ein Loch in die getrocknete Orangenscheibe machen und einen ca. 60 cm langen Faden durchfädeln.

Das Foto zeigt, wie eine rot-weiße Schnur durch eine getrocknete Orangenscheibe gezogen wird.

Dekorieren und verknoten:

Im einem nächsten Schritt dekorative Elemente wie beispielsweise einen Zweig und eine Zimtstange verknoten. Durch eine Holzperle kann der Knoten leicht verdeckt werden. Fertig ist das Orangen-Stillleben, das sich als Deko-Element oder als Geschenkanhänger eignet.
Dekoration einer getrockneten Orangenscheibe mit Zimtstange, Tannenzweig und Holzperle.

Das Ergebnis:

An den getrockneten Orangenscheiben kommen die verschiedenen Strukturen der Außen- und Innenschale sowie des Fruchtfleisches gut zur Geltung. Genau diese Feinheiten wollten die damaligen Künstler*innen festhalten, um damit ihr malerisches Talent zu beweisen.

Wir sind gespannt auf Eure Kreationen! Teilt Eure Ergebnisse mit dem Hashtag #kunsthalleathome in den sozialen Medien.

Zwei getrocknete und dekorierte Orangenscheiben-Anhänger zwischen Tannenzweigen.
Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen

Die heimliche Gründerin der Karlsruher Kunsthalle

Zum 300. Geburtstag der Meister-Sammlerin Karoline Luise von Baden am 11. Juli 2023

Seit der Neuzuschreibung von rund 300 Zeichnungen an die römische Werkstatt von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) im Jahr 2014 hat sich viel getan. Stetig wachsen die Onlinesammlungen der Museen, durch die ihre Bestände auf eine völlig neue Art sichtbar und – zumindest virtuell – erfahrbar werden können. Auch Werke, die zuvor nur einem kleinen Kreis von Spezialist*innen bekannt waren, sind heute weltweit, jederzeit und von jeder Person mit Internetzugang zu betrachten und zu studieren. Die Corona-Pandemie steigerte zudem die Bereitschaft, digital miteinander zu kommunizieren und – alleine vor dem heimischen Bildschirm – mit einer großen Gruppe Bilder zu teilen, sie gemeinsam zu untersuchen und über sie zu diskutieren, ganz egal, ob man sich in New York, Paris oder Karlsruhe befindet. Bei ausreichend hoher Auflösung der Abbildungen kann man sogar zusammen in ein Werk zoomen und kollektiv Dinge entdecken, die sich analog vor dem Original und unter dem Mikroskop lediglich einer einzigen Person erschließen würden. Das sind nur einige der vielen Beweggründe, weshalb wir uns bei der Aufbereitung der Ergebnisse des DFG-geförderten Forschungsprojektes für die Publikation als Datenbank mit explorativem Ansatz entschieden haben.

Abbildung des Werks Umschüler von Karl Hubbuch

Die Umschüler nennt sich die Zeichnung. Der Karlsruher Maler, Zeichner und Grafiker Karl Hubbuch hat sie direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg angefertigt, in den Jahren 1945/46. Mit Bleistift, Tuschfeder und Pinsel karikierte er die einstigen NS-Akteure, die dem von den Alliierten beschlossenen Entnazifierungs-Programm in den Besatzungszonen alles andere als offen gegenüberstanden. Hubbuch schuf die Zeichnung für das Schaufenster der „Antifaschistischen Gesellschaft“ in Rastatt, wo sie unter dem Titel Vergessen? – Niemals! ausgehängt war – zusammen mit weiteren Blättern von ihm. Auch die satirische Wochenschrift Das Wespennest veröffentlichte das Werk. Die Kunsthalle Karlsruhe hat es nun für ihr Kupferstichkabinett erworben, wo bereits 60 Werke von Karl Hubbuch versammelt sind.

„Man kann nicht liebenswürdiger sein als die Markgräfin. Sie übertrifft wirklich alles, was Sie mir von ihr erzählt haben. Keine Französin gibt es, die so viel Geist, Kenntnisse und Höflichkeit besäße wie sie. Ihre Konversation hat mich entzückt, hätte ich sie nur schon früher kennengelernt!“

Es war Voltaire, der Aufklärer, der berühmteste Intellektuelle seiner Zeit, der Karoline Luise 1758 auf diese Weise pries. Vorangegangen war ein viertägiger Besuch in Karlsruhe – ein Aufenthalt, den der Dichter-Philosoph mehreren Zeugnissen zufolge sehr genoss: Er lobte das Schloss, wo Geschmack wichtiger sei als Pracht, den botanischen Garten mit seinen 3.000 exotischen Pflanzen, die Gespräche mit Karoline Luise und die erstaunlichen Pastelle von ihrer Hand. Später sandte ihm die Markgräfin ein solches Werk nach Genf, wofür sich Voltaire mit einer gereimten Lobeshymne bedankte:

„Tout me plaît en vous, tout me touche;
Parlez, belle princesse, écrivez ou peignez:
Les Grâces, par qui vous régnez,
Ou conduisent vos mains, ou sont sur votre bouche.“

(„Alles an Ihnen gefällt mir, alles berührt mich;
Ob Sie reden, schöne Prinzessin, ob Sie schreiben oder malen:
Die Grazien, durch welche Sie regieren,
Führen Ihre Hand und sprechen durch Ihren Mund.“).

Und Voltaire fügte hinzu: Die Stadt trage ihren Namen zu Recht. Sie sei in den schrecklichen Zeiten des Krieges (wir nennen ihn heute den Siebenjährigen Krieg) tatsächlich ein Asyl der Ruhe.

Hubbuchs Faible für Frankreich

Ausschlaggebend für Hubbuchs Sonder-Status bei den Franzosen dürfte sein Frankreich-Faible und völkerverbindendes Engagement sein. Er unternimmt viele Studienreisen ins westliche Nachbarland, etwa nach Trouville, Fécamp, Deauville, Le Havre, St. Malo oder Paris. Die dabei entstandenen Zeichnungen veröffentlicht er 1931 als Buch im Selbstverlag. Damit will Hubbuch der „Erbfeind“-Propaganda, der Volksverhetzung und Kriegstreiberei entgegentreten und stattdessen „den Brüdern drüben die Bruderhand“ reichen, konkret: den „Arbeitenden und Schaffenden“. Die wahren Grenzen würden nicht zwischen den Völkern, sondern innerhalb der Völker verlaufen, wie er im Vorwort des Buches schreibt: „Innerhalb eines jeden Volkes geht die Trennungslinie und scheidet zwei Klassen: Die Klasse der Habgierigen, Herrschsüchtigen, Genußsüchtigen und Hetzer von der großen Klasse der Arbeitenden, die den Frieden wollen!“ Die Bilder in Frankreich würden denen der Weimarer Republik gleichen: auf der einen Seite „verbrauchte Menschen, Armut, Krankheit, Verbrechen, Prostitution“, auf der anderen Seite die „Fratzen der Scharfmacher“.

Karlsruhe als Zentrum der Neuen Sachlichkeit

Sein politisch links orientiertes, humanistisches Engagement setzt Hubbuch nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Er zeigt seine antifaschistischen Arbeiten im Rathaus und an anderen öffentlichen Orten in Rastatt. Ende 1946 verlässt er die deutsch-französische Grenzstadt jedoch wieder und kehrt zurück nach Karlsruhe. In seiner Heimatstadt nimmt er einen Lehrauftrag an der Technischen Hochschule an, ab 1948 lehrt er wieder als Professor an der dortigen Kunstakademie. An jener Kunstinstitution, an der Hubbuch schon ab Mitte der 1920er Jahre bedeutende Spuren hinterlässt: Gemeinsam mit Künstlerfreund Georg Scholz und Wilhelm Schnarrenberger wirkt er daran mit, dass die Akademie zu einem Zentrum der Neuen Sachlichkeit und des Verismus in Deutschland avanciert. Die neusachlichen Künstler und Künstlerinnen fangen die gesellschaftliche Wirklichkeit nüchtern, ruhig und exakt ein und nutzen altmeisterliche Maltechniken. Sie widmen sich Künstler*innen, Schriftsteller*innen oder Journalist*innen in Cafés, den Vergnügungen in Zirkussen oder Varietés, der modernen „Neuen Frau“, der dekadenten Oberschicht, der ausgemergelten Arbeiterschaft, den Prostituierten, Obdachlosen und Kriegsversehrten, den mit Fabriken zugebauten Stadtvierteln oder den von neuen Bahnlinien zerfurchten Dörfern. Die Verist*innen, zu denen Karl Hubbuch zugerechnet wird, gehören auch der Neuen Sachlichkeit an, sind aber stärker politisch orientiert. Sie stehen zumeist der Arbeiterklasse nahe, Hubbuch bekennt sich zum Kommunismus. Die gesellschaftlichen Zustände stellen sie hart, direkt und schonungslos dar, oft übersteigert bis ins Karikaturhafte, Satirische, Groteske.

Innovatives Kultur-Biotop

Karl Hubbuch ist Teil eines innovativen Kultur-Biotops in Karlsruhe. Der visionäre Direktor der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (damals Badische Kunsthalle), Willy F. Storck und seine Nachfolgerin Lilli Fischel, verwandeln das bis dahin lokal ausgerichtete Haus in ein modernes „Museum für alle“. Sie engagieren sich für die fortschrittliche Kunst in der Stadt, zum Beispiel mit Ausstellungen und Ankäufen. Auch der Badische Kunstverein und die jüdische Galerie Moos entfachen avantgardistischen Aufbruchsgeist in der Fächerstadt. Unter progressiven Künstlern, Künstlerinnen und Kulturschaffenden herrscht geselliges Miteinander, sie treffen sich in Cafés, besuchen sich zu Hause oder in Ateliers und verwirklichen gemeinsame Projekte. Mit Hermann Brand, einem jüdischen Schauspieler am Badischen Landestheater, und den beiden Künstlerkollegen Anton Weber und Erwin Spuler gründet Karl Hubbuch 1930 die kritische Kunstzeitschrift Zakpo, für die er unter den Pseudonymen „Boris Burawoy“ und „Franz Radek“ viele Zeichnungen und Linolschnitte liefert.

Karl Hubbuch umarmt eine Säule an der Karlsruher Akademie

Chronist der gar nicht so „Goldenen Zwanziger“

Hubbuch entwickelt sich zum gesellschaftskritischen Chronisten der „Goldenen Zwanziger“, die gar nicht so golden sind. Auf der einen Seite zeichnet, malt und karikiert er Glanz, Vergnügungsrausch und kulturelle Blütezeit: Menschen in Tanzlokalen, Damen in Cafés, emanzipierte Frauen mit Bubikopf und Hut in Theaterlogen, „Schleckermäuler“ vor prall gefüllter Kuchentheke. Auf der anderen Seite zeigt er Armut, Arbeitslosigkeit und Elend: Die Bauwut der Städte, wo Gründerzeithäuser, Fabrikgebäude, Flussbrücken, Straßenbahnen und dampfende Eisenbahnen auf engstem Raum aufeinanderprallen, die von Zeitdruck, Hungerlöhnen und Wirtschaftsnot gebeutelten Arbeiter oder das entwürdigende Leben von Prostituierten. Mit schwungvollem Strich, scharfen Konturen, Blick für Details, Sinn für raffinierte Kompositionen und der Fähigkeit, Städte, Landschaften und vor allem Menschen in ihrer lebendigsten Vielfalt aufs Bild zu bannen. Hubbuchs Zeichnungen, Radierungen, Aquarelle oder Ölgemälde vibrieren vor Lebenskraft – sei es im Heiteren, Ironischen, Ernsten oder Tragischen.

„Frischer Wind“: Hubbuchs Begegnung mit Hilde Isay

Als Hubbuch künstlerisch aufsteigt, lernt er seine wichtigste Weggefährtin kennen: die Fotografin Hilde Isay. Sie kommt 1926 an die Karlsruher Kunstakademie (damals Badische Landeskunstschule) und studiert bei ihm. Sie verlieben sich, später heiraten sie. Beide befruchten sich künstlerisch enorm, arbeiten kongenial zusammen, reisen gemeinsam. Hilde bringt „frischen Wind“ in Hubbuchs Leben. Sie verkörpert die moderne „Neue Frau“, mit Bubikopf, runder Hornbrille, Zigarette rauchend, hegt eine Leidenschaft für Bauhaus-Möbel und verschreibt sich der damals noch jungen Fotografie. Auch Karl Hubbuch begeistert sie für die Lichtbildnerei. In slapstickartigen Performances inszenieren sie sich im Atelier vor der Kamera: mit Föhn, Nudelholz oder Besen. Doch ihre Ehe währt nur kurz. Während sie, die Tochter einer jüdischen Tuchhändlerfamilie, über Wien und London in die USA emigriert, bleibt Hubbuch in Karlsruhe.

Karl und Hilde Hubbuch inszenieren sich vor der Kamera in einem wohnlichen Umfeld.

Hetzkampagnen gegen Hubbuch

Doch das traditionelle Kunstmilieu, das sich der lokalen, volkstümlichen und heimatverbundenen Hans-Thoma-Schule verbunden fühlt, protestiert gegen die modernen Kunstströmungen. Es tobt ein „Kulturkampf“, der sich mit den ausgehenden Jahren der Weimarer Republik immer mehr zuspitzt. Karl Hubbuch gerät ins Fadenkreuz der deutschnationalen Presse und des Reichsverbandes bildender Künstler Deutschland, Gau Südwestdeutschland. Autoren der Karlsruher Zeitung oder des Führers verunglimpfen vor allem Hubbuchs Aktdarstellungen als „perverse Fleischbeschau“, „schlimmste Hurenmalerei“ oder „bolschewistische Nuditäten“, die eine „vergiftende Wirkung“ nach sich zögen und zur „Entsittlichung des Volkes“ führen würden.

Aus für die moderne Kunst

Als die Nationalsozialisten 1933 in Deutschland die Macht übernehmen, endet die Zeit der kulturellen Avantgarde in Karlsruhe. Hubbuch wird als Professor an der Akademie entlassen. Der neue Kunsthallen-Direktor Hans Adolf Bühler brandmarkt dessen Bilder in der Ausstellung Regierungskunst 1918-1933 als „entartet“. Hubbuch schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch die Jahre der NS-Barbarei, malt Blumen für Uhrengehäuse der Firma Schmid-Schlenker in Schwenningen und entwirft Keramikfliesen mit Gräser- und Blumendekors an der Karlsruher Majolika-Manufaktur. Es lässt sich nur erahnen, wie sich die fortschrittlichen Kulturströmungen in Karlsruhe weiterentwickelt hätten, wenn Künstler wie Karl Hubbuch sich weiter kreativ hätten entfalten können.

Erschreckend aktuell: Hubbuchs Kampf für eine humanere Welt

So erinnert Hubbuchs Zeichnung Die Umschüler auch an die faschistischen Täter, die eine Ära des vibrierenden Karlsruher Kulturlebens auslöschten und seine eigene verheißungsvolle Künstlerkarriere zunichtemachten.  Auch wenn er sie nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzen konnte und Karlsruhe ihn als Akt der „Wiedergutmachtung“ rasch wieder zum Akademieprofessor berief, so blieb doch der Schatten des NS-Terrors haften. Josef Krips, der 1926 als jüngster Generalmusikdirektor in Deutschland ans Badische Landestheater berufen und wegen seiner jüdischen Abstammung von den Nazis entlassen wurde, sagte nach dem Krieg rückblickend auf seine Karlsruher Jahre: „Eine so kulturbewußte Stadt, wie es damals Karlsruhe war, gibt es heute in der ganzen Welt nicht mehr.“ Angesichts der weltweiten Wiederkehr rechtspopulistischer Regierungen, Kriegskatastrophen oder menschenfeindlicher Hetze und Gewalt erweist sich Hubbuchs Umschüler als erschreckend aktuelle Warnung vor neuen „Zivilisationsbrüchen“. Karl Hubbuch kämpft als Künstler auch im Nachkriegsdeutschland weiterhin für eine humanere, friedlichere Welt, indem er sich gegen einen drohenden Atomkrieg wehrt. Er bleibt weltoffen, reist weiterhin nach Frankreich und arbeitet 1963 als Ehrengast der Villa Massimo in Rom. Bis er fast vollständig erblindet und keine Arbeiten mehr schafft. Hubbuch stirbt am zweiten Weihnachtsfeiertag 1979 in Karlsruhe. Im Winter 2018 ehrte ihn die Stadt mit der Einweihung des Karl-Hubbuch-Wegs im „Künstlerviertel“ von Neureut, wo auch Matthias Grünewald, Albrecht Dürer oder Rembrandt mit Straßennamen verewigt wurden.

Die Neuerwerbung von Hubbuchs Umschüler für die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe konnte dank der großen Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gelingen.

Prof. Dr. Holger Jacob-Friesen

Die heimliche Gründerin der Karlsruher Kunsthalle

Zum 300. Geburtstag der Meister-Sammlerin Karoline Luise von Baden am 11. Juli 2023

Seit der Neuzuschreibung von rund 300 Zeichnungen an die römische Werkstatt von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) im Jahr 2014 hat sich viel getan. Stetig wachsen die Onlinesammlungen der Museen, durch die ihre Bestände auf eine völlig neue Art sichtbar und – zumindest virtuell – erfahrbar werden können. Auch Werke, die zuvor nur einem kleinen Kreis von Spezialist*innen bekannt waren, sind heute weltweit, jederzeit und von jeder Person mit Internetzugang zu betrachten und zu studieren. Die Corona-Pandemie steigerte zudem die Bereitschaft, digital miteinander zu kommunizieren und – alleine vor dem heimischen Bildschirm – mit einer großen Gruppe Bilder zu teilen, sie gemeinsam zu untersuchen und über sie zu diskutieren, ganz egal, ob man sich in New York, Paris oder Karlsruhe befindet. Bei ausreichend hoher Auflösung der Abbildungen kann man sogar zusammen in ein Werk zoomen und kollektiv Dinge entdecken, die sich analog vor dem Original und unter dem Mikroskop lediglich einer einzigen Person erschließen würden. Das sind nur einige der vielen Beweggründe, weshalb wir uns bei der Aufbereitung der Ergebnisse des DFG-geförderten Forschungsprojektes für die Publikation als Datenbank mit explorativem Ansatz entschieden haben.

„Man kann nicht liebenswürdiger sein als die Markgräfin. Sie übertrifft wirklich alles, was Sie mir von ihr erzählt haben. Keine Französin gibt es, die so viel Geist, Kenntnisse und Höflichkeit besäße wie sie. Ihre Konversation hat mich entzückt, hätte ich sie nur schon früher kennengelernt!“

Es war Voltaire, der Aufklärer, der berühmteste Intellektuelle seiner Zeit, der Karoline Luise 1758 auf diese Weise pries. Vorangegangen war ein viertägiger Besuch in Karlsruhe – ein Aufenthalt, den der Dichter-Philosoph mehreren Zeugnissen zufolge sehr genoss: Er lobte das Schloss, wo Geschmack wichtiger sei als Pracht, den botanischen Garten mit seinen 3.000 exotischen Pflanzen, die Gespräche mit Karoline Luise und die erstaunlichen Pastelle von ihrer Hand. Später sandte ihm die Markgräfin ein solches Werk nach Genf, wofür sich Voltaire mit einer gereimten Lobeshymne bedankte:

„Tout me plaît en vous, tout me touche;
Parlez, belle princesse, écrivez ou peignez:
Les Grâces, par qui vous régnez,
Ou conduisent vos mains, ou sont sur votre bouche.“

(„Alles an Ihnen gefällt mir, alles berührt mich;
Ob Sie reden, schöne Prinzessin, ob Sie schreiben oder malen:
Die Grazien, durch welche Sie regieren,
Führen Ihre Hand und sprechen durch Ihren Mund.“).

Und Voltaire fügte hinzu: Die Stadt trage ihren Namen zu Recht. Sie sei in den schrecklichen Zeiten des Krieges (wir nennen ihn heute den Siebenjährigen Krieg) tatsächlich ein Asyl der Ruhe.

Karlsruhe als Zentrum der Neuen Sachlichkeit

Sein politisch links orientiertes, humanistisches Engagement setzt Hubbuch nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Er zeigt seine antifaschistischen Arbeiten im Rathaus und an anderen öffentlichen Orten in Rastatt. Ende 1946 verlässt er die deutsch-französische Grenzstadt jedoch wieder und kehrt zurück nach Karlsruhe. In seiner Heimatstadt nimmt er einen Lehrauftrag an der Technischen Hochschule an, ab 1948 lehrt er wieder als Professor an der dortigen Kunstakademie. An jener Kunstinstitution, an der Hubbuch schon ab Mitte der 1920er Jahre bedeutende Spuren hinterlässt: Gemeinsam mit Künstlerfreund Georg Scholz und Wilhelm Schnarrenberger wirkt er daran mit, dass die Akademie zu einem Zentrum der Neuen Sachlichkeit und des Verismus in Deutschland avanciert. Die neusachlichen Künstler und Künstlerinnen fangen die gesellschaftliche Wirklichkeit nüchtern, ruhig und exakt ein und nutzen altmeisterliche Maltechniken. Sie widmen sich Künstler*innen, Schriftsteller*innen oder Journalist*innen in Cafés, den Vergnügungen in Zirkussen oder Varietés, der modernen „Neuen Frau“, der dekadenten Oberschicht, der ausgemergelten Arbeiterschaft, den Prostituierten, Obdachlosen und Kriegsversehrten, den mit Fabriken zugebauten Stadtvierteln oder den von neuen Bahnlinien zerfurchten Dörfern. Die Verist*innen, zu denen Karl Hubbuch zugerechnet wird, gehören auch der Neuen Sachlichkeit an, sind aber stärker politisch orientiert. Sie stehen zumeist der Arbeiterklasse nahe, Hubbuch bekennt sich zum Kommunismus. Die gesellschaftlichen Zustände stellen sie hart, direkt und schonungslos dar, oft übersteigert bis ins Karikaturhafte, Satirische, Groteske.

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