Mit anderen Worten …
Kuratorin Dr. Kirsten Claudia Voigt
… als jenen der Kunstgeschichte, haben sich Schriftstellerinnen und Schriftsteller in zwei Projekten – in den Jahren 2013 und 2017 – mit Porträts und Landschaftsgemälden unserer Sammlung befasst. Ihre Beobachtungen, Gedanken und Mutmaßungen, ihre Dialoge mit Bildern nehmen diese lauschend als impulsgebendes Gegenüber. Sie dichten den Bildern aber gleichzeitig etwas an – individuelle Dimensionen, klug, kühn, raffiniert, mal individuell und emotional, mal sezierend scharf und erhellend. Poetische, fiktionalisierende oder essayistische Texte erweitern Bilder um einen für jedermann betretbaren Möglichkeitsraum, in dem der Leser-Betrachter-Hörer sich frei bewegen, eingeladen und ermutigt fühlen darf, zu weiteren Imaginationen, Empfindungen, Fortsetzungen, Geschichten … immer wieder … mit anderen Worten….
Marie Ellenrieder „Selbstbildnis“ Martin Walser
Ich frage mich jetzt selber, wenn ich sehe, wie schön ich mich gemalt habe, ob das erlaubt sei, sich so schön zu malen. Und ich sage, Ja! Es ist erlaubt, sich so schön zu malen. Kunst ist dazu da, alles schöner zu machen als es ist.
Meister des Marienlebens Bildnis eines Gelehrten Nora Gomringer
Wenn einer heute gelehrt ist, dann hat er auf jeden Fall eine Brille auf der Nase und Bücher, oft die seiner eigenen Heimbibliothek, im Hintergrund, wenn man ihn zeigt. Das ist eine ganz andere Bildsprache. Der Mensch umgeben von Büchern anderer. Das ist Gelehrsamkeit heute. Gemalt wird ja nicht mehr so viel …
Max Ernst „Der Wald“ Marlene Streeruwitz
Man kann in den Krieg hineingehen wie in eine Landschaft, weil der Krieg die Landschaft ist. Für die Zeit des Kriegs bilden Krieger und Terrain eine Einheit, deren Bewältigung über Sieg oder Niederlage entscheidet.
Friedrich Overbeck „Bildnis des Malers Johann Carl Eggers“ Ursula Krechel
Ja, der Blick des Angeschauten
ist intensiv, hoheitsvoll, ein wenig hochmütig und verhalten zugleich. Und
der Maler Friedrich Overbeck sieht gut, er sieht auch, was in dem Malerfreund
vor sich geht: Wärmeempfinden, Zuneigung, ja, mehr als Zuneigung,
eine Intensität des Schauens und des Zurückschauens, eben das, was zwei
nahe Menschen miteinander verbindet und was üblicherweise keinen Dritten
etwas angeht.
Franz de Hamilton „Konzert der Vögel“ Jan Wagner
wie armselig unsere eigene sprache
verglichen mit jener der vögel klingt –
heckenbraunelle, grasmücke und lerche,
wiedehopfe, auerhähne, fink –,
Johann Christian Clausen Dahl „Elblandschaft bei Dresden im Mondschein“ Cornelia Funke
Wir können wohl heute nicht mehr ermessen, was der Mond in einer Zeit bedeutete, in der die Nacht nicht von Straßenlichtern erleuchtet war. Das stetig wachsende Licht am Himmel, das Trost und Hoffnung spendete, der finstere Schrecken des Neumonds, die zugleich verzaubernde und verstörende Schönheit des Vollmonds …. das Mondlicht vertrieb die Finsternis der Nacht so viel wirksamer als die Feuer, die der Mensch den Göttern gestohlen hatte.
Jakob Philipp Hackert „Waldlandschaft mit dem schlafenden, von Tauben behüteten Knaben Horaz“ Friedrich Christian Delius
Die Waldkulisse ist von seltener Wucht. Sie ist nicht lieblich, nicht gefällig, sie lädt nicht ein, sich in die Landschaft hineinzuversetzen und in ihr herumzuspazieren. Sie ist auch keine Naturabbildung, sondern eine Komposition, als arkadische Landschaft vom Maler inszeniert und arrangiert.
Aelbert Jacobsz. Cuyp „Flusslandschaft mit melkender Frau“ Brigitte Kronauer
Das tun sie mit solch beschwörender Intensität, dass es uns in Verlegenheit bringt. Denn offensichtlich wollen sie etwas, stellen eine stumme Frage und trauen uns, den Überforderten, eine überzeugende Antwort zu. Man kann sich eigentlich nur wie der heilige Franziskus in einen Bibelspruch retten, der sie aber wohl nicht zufriedenstellt. Wenn sie lange genug gewartet haben, wenden sie sich ab. Sie kommen aber beim nächsten Mal hartnäckig wieder.
Otto Dix „Die Schwangere“ Juli Zeh
Die Ärztin kann mich auf den ersten Blick nicht leiden. Schon wie ich in die Praxis komme und zu ihr sage, guten Tag, ich bin trächtig, da antwortet sie nicht herzlichen Glückwunsch oder schön oder aha, sondern: Wollen Sie es behalten?
Carl Friedrich Lessing „Das Bodetal im Harz“ Kathrin Schmidt
Wiszniewski hockte mit den anderen noch nahe beim Feuer am Flussufer, während die drei Bielers, von Stein zu Stein springend, sich aufgemacht hatten, das Wasser zu überqueren, um nach Kuhlmann zu sehen. Bar jeden Kriegsgeräts, jeder Rüstung lag der im Grase und grunzte.
Caspar David Friedrich „Felsenriff am Meeresstrand“ Katja Lange-Müller
Von milchigem, ins Violette changierendem Blau ist der endlose Himmel in diesem Bild, und ganz leicht gewölbt, wie um die Weite des Himmels und des Meeres noch zu betonen, die weiß schimmernde Horizontlinie, am hellsten dort, wo das Felsenriff sich erhebt, nein, sich aufbäumt, als sei es soeben erst geboren; die leuchtenden Wolkenbäuche diagonal darüber könnten den Vorgang bezeugen, wenn sie das könnten.
Niederländischer Meister „Bildnis einer älteren Frau“ Brigitte Kronauer
Selbst in den Augen derer, die, wie ich, eine Nonnenschule besucht haben und bis heute zur Aufheiterung gelegentlich in einem alten Buch mit Trachten blättern, also an allerhand bizarre Kopfbedeckungen gewöhnt sind, müßte diese, fast möchte man sagen, hypertrophe Trophäe den Vogel abschießen.
Nicolaes Berchem Winterlandschaft mit Kalkofen Hermann Kinder
Gepackt bin ich von der Düsternis dieser Landschaft – darin schmutzig-heller Schnee und Rauch, kleine Flecken von Rot bei der Kleidung und den Gesichtern der Figuren. Gepackt vom Ruinösen, vom Verfall der Brücke, den Gebäuden. Kahle Riesenbäume stürzen aus dem Bild.
Die Publikationen Unter vier Augen und Unter freiem Himmel, erschienen im Kerber-Verlag, sind in der Kunsthalle, dem Onlineshop der Kunsthalle sowie im Buchhandel erhältlich.