Dr. Dorit Schäfer, 22. Mai 2020

Ein Silberstift auf Reisen

Wie Hans Baldung Griens Skizzenbuch die Flughafensecurity in Angst und Schrecken versetzte.

Einige Zeichnungen aus dem Karlsruher Skizzenbuch von Hans Baldung Grien sind auf seinen Reisen entstanden. Der Künstler trug derartige Reiseskizzenbücher bei sich, als er durch das Elsass und durch Schwaben wanderte – sie waren handlich und ausgesprochen praktisch, um unterwegs das zu zeichnen, was ihn interessierte: pittoreske Burgen, interessante Pflanzen oder attraktive Gesichter.

Die längste und spannendste Reise machte das Karlsruher Skizzenbuch jedoch fünfhundert Jahre später. Es war eingeladen worden zu einer Ausstellung nach London ins British Museum, in der die neuesten Forschungen zum Zeichnen mit Silberstiften präsentiert wurden. „Drawing in Silver and Gold: Leonardo to Jasper Johns“ war diese herausragende Schau betitelt. Im Kreis von Werken Leonardos, Dürers, Rembrandts und Jasper Johns‘ sollte das Karlsruher Werk genau das repräsentieren: Ein Reiseskizzenbuch mit einem historischen (wahrscheinlich sogar dem originalen) Silberstift der Renaissance.

Noch nie war dieses Kleinod des Karlsruher Kupferstichkabinetts so weit gereist, noch nie hatte es Deutschland jemals verlassen. Lange überlegten wir, ob wir der britischen Leihanfrage zustimmen und das fragile Stück aus dem Haus geben sollten. Doch war das wissenschaftliche Konzept der amerikanischen und englischen Kolleg*innen überzeugend, der Kontext für unser Kunstwerk gewinnbringend, das British Museum ein zweifellos vertrauenswürdiger und vertrauter Partner, und mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen wurde die Ausleihe geplant. Nur der ersten Ausstellungsstation in Washington stimmten wir nicht zu – die Strapaze schätzten wir als zu riskant ein.

Die Kunstspedition fertigte einen maßgeschneiderten Handkoffer an, mit dem eine Kurierin der Kunsthalle – in diesem Falle ich – das Buch nach London begleiten sollte. Keinen Augenblick durfte es aus den Augen gelassen werden. Der Koffer war gepolstert, stoß- und klimageschützt, so dass sich die Temperatur des Innenbereiches erst allmählich, innerhalb von 24 Stunden, der Außentemperatur anpasste – sofern man ihn nicht öffnete. Er sah aus wie ein überdimensionierter Kosmetikkoffer – ein Beautycase in Postgelb (äußerlich nicht unbedingt schmeichelhaft für mich…). Im Flieger war ein extra Sitz für das gute Stück gebucht – die Organisation schien perfekt. Konservatorisch sprach zudem nichts gegen das obligatorische Röntgen des Koffers, das bei der Security anstand. Doch spätestens da hatten wir alle einen wesentlichen Faktor übersehen: Den Silberstift! Denn seine Nadelform und seine über 20 cm messende Länge machen aus ihm eine potenziell tödliche Waffe, die sich auf dem Monitor gefährlich abzeichnete.

„Öffnen Sie bitte den Koffer!“ schnarrte es mir entsprechend streng und unerbittlich entgegen. Das jedoch hätte das Mikroklima meiner leuchtenden Kanarienkiste zerstört, und damit die notwendige Stabilität von Temperatur und Luftfeuchtigkeit für meinen Beauty-Baldung. „Ich bitte sehr um Entschuldigung – aber das geht leider nicht!“ verstärkte nur die misstrauischen Minen der Sicherheitsbeamten. „Was ist denn da drin?“

Nun, wie vermittelt man in einer solchen Situation, dass man ein Skizzenbuch der Renaissance mit einem historischen Silberstift bei sich trägt? Irgendwie gelang es mir nicht so recht, denn innerhalb von fünf Minuten scharten sich nacheinander fünf hochgewachsene männliche Sicherheitsbeamte um mich, jeder fünf Zentimeter größer als der vorherige und jeder mit einem Stern mehr auf der Schulterklappe. Ich bin eine große Frau und fühle mich selten klein – aber nun war es so weit, körperlich und auch sonst – klein mit Hut sozusagen.

„Ein Silberstift? Was ist denn das?“ „Das ist doch kein Stift!“ „Ein Skizzenbuch aus der Renä – was?“ „Der sieht gefährlich aus!“ „Wir können Sie so nicht durchlassen!“ „Was passiert denn, wenn Sie den Koffer aufmachen?“ Ich kam ins Schwitzen, und mein Gesicht leuchtete fast so stark wie mein Köfferchen – nur in Zinnoberrot. Ich rief in Karlsruhe an, um telefonische Verstärkung von unseren Restauratoren zu erhalten. Und dann kam ER – der George Clooney unter der Security. Jung, schön, und ausgesprochen souverän. Ein Ritter auf weißem Pferd mitten auf dem Frankfurter Flughafen – mit gefühlten 37 Sternen auf seiner Schulterklappe. Röter konnte ich ja nicht werden – also schilderte ich ihm ruhig und klar, was ich warum und wie transportierte, und mein Flehen wurde erhört. Mit einem charmanten Lächeln winkte er mich samt meinem gelben Handgepäck durch und wünschte Baldung und mir eine gute Reise.

Selten war ich so erleichtert – sowohl über die Tatsache, dass Baldungs Kleinod geschützt blieb als auch über diese Beamten, die mit großer Sorgfaltspflicht die Sicherheit der Fluggäste gewährleisteten. Und als der Flieger endlich nach London abhob, dachte ich darüber nach, was wohl Baldung dazu gesagt hätte? Dass ein riesiger Metallvogel sein Skizzenbuch in einer Höhe von 10.000 Metern nach England fliegt und dass sein Silberstift als Mordwaffe eingestuft wird? In seiner Kunst ist neben großer Ernsthaftigkeit auch immer ein Sinn für Humor ablesbar – ich denke, Baldung hätte geschmunzelt, wenn nicht gar schallend gelacht. Wie die Rückreise unseres Skizzenbuches verlief? Die wurde dann anders durchgeführt.

Tabea Schwarze, 15. April 2020

100 Tage mit Baldung

Etwa sechs Wochen ist es her, dass die 100-tägige Große Landesausstellung Hans Baldung Grien zu Ende gegangen ist. Zeit für ein Resümee.


Es ist 1959, die Besucher*innen strömen in die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe um den Renaissancemaler Hans Baldung Grien zu sehen. Einen Meister seiner Zeit, keine Frage, aber einer, der im Vergleich mit seinen Zeitgenossen und Wegbegleitern wie etwa Albrecht Dürer immer etwas weniger Beachtung erfährt. Die Besucher*innen sind von der Ausstellung begeistert – ganz gleich, ob sie sie aufgrund des Mangels von Alternativen im Karlsruhe der späten 1950er Jahre oder aufgrund der Faszination dieser einzigartigen Kunst besucht haben. So begeistert, dass sie sich 2018, als wir auf der art Karlsruhe einen Ausblick auf das Jahresprogramm 2019 geben, noch immer in die Ausstellung 1959 zurückversetzen können und von da an auf die Eröffnung der Großen Landesausstellung 2019 hinfiebern.

Und das kommt nicht von ungefähr: In den 60 Jahren, die zwischen den beiden großen Baldung-Ausstellungen liegen, gab es keine weitere umfassende Schau des bedeutenden Renaissance-Malers. Dr. Holger Jacob-Friesen, Sammlungsleiter der Kunsthalle und Hauptkurator der Baldung-Ausstellung, entwickelte vor knapp 10 Jahren die Idee, Hans Baldung Grien – von dem er seit Studientagen fasziniert ist – nach 60 langen Jahren wieder eine Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zu widmen. 

Jahrelange intensive Forschungsarbeit, die im Baldung-Team der Kunsthalle geleistet wurde, mündete in Vorbereitung auf die Große Landesausstellung zunächst in einem internationalen Symposium, das im November 2018 stattfand. Die Ergebnisse der verschiedenen Positionen sind in einem Tagungsband veröffentlicht.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu Besuch in der Großen Landesausstellung umringt von Personen.

Ein Jahr später – es war gefüllt mit umfangreichen Vorbereitungsarbeiten in den verschiedenen Arbeitsbereichen der Kunsthalle und mit dem Transport zahlreicher Leihgaben aus den wichtigsten Baldung-Sammlungen der Welt nach Karlsruhe –konnte die Große Landesausstellung Ende November 2019 in Anwesenheit des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann eröffnet werden. 100 Tage erfreute sich die Ausstellung großer Beliebtheit: Über 60.000 Besucher*innen machten sich auf den Weg nach Karlsruhe in die Kunsthalle.

Der Umstand, dass beide Baldung-Ausstellungen in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe stattfinden, kommt nicht von ungefähr: Wer den Treppenaufgang der Kunsthalle aufmerksam betrachtet, kann in einem der kleineren Fresken Schwinds Hans Baldung Grien entdecken, wie er den Markgrafen Christoph I von Baden porträtiert. Diese Szene verweist auf eines der wichtigsten Werke in der Sammlung der Kunsthalle: Die s.g. Markgrafentafel Baldungs. Aber auch zahlreiche weitere bedeutende Werke Baldungs sind Teil unserer Sammlung. Das für Baldungs Werk zentrale Karlsruher Skizzenbuch sei hier nur beispielhaft erwähnt. Im Sommer 2019 konnte mit den drei Fragmenten des Gemäldes Lot und seine Töchter ein weiteres wichtiges Werk Baldungs durch die Unterstützung der Museumsstiftung Baden-Württemberg, die Ernst von Siemens Kunststiftung sowie eine private Mäzenin für unsere Sammlung erworben und so den Besucher*innen auch dauerhaft präsentiert werden.

Allen, die der Großen Landesausstellung nachtrauern, die hier ihre Affinität zur Kunst Baldungs (wieder)entdeckt haben und die sich weiter mit diesem eigenwilligen Renaissancemaler beschäftigen wollen, werden auch zukünftig mit unserer Sammlung die Gelegenheit hierzu haben. Wer sich auch zuhause mit Baldung beschäftigen möchte, dem seien neben dem im Buchhandel weiterhin erhältlichen Katalog und dem Tagungsband, das digitalisierte und kommentierte Skizzenbuch Baldungs, das kurzweilige Format Baldung in a nutshell, Baldung in unserer Onlinesammlung oder die Ausstellungsfilme empfohlen.

Wenn Sie Ihre Erlebnisse aus der Großen Landesausstellung teilen möchten, freuen wir uns auf Ihren Kommentar!

Roswitha Baumann im Gespräch mit Tabea Schwarze, 6. März 2020

Baldung begegnen 1959 -2020

Wer kennt es nicht: Kunstwerke oder Künstler*innen, die einen lange Jahre begleiten, einem immer wieder begegnen und manchmal sogar prägend werden.

So ging es auch einer Besucherin der Baldung-Ausstellung 1959, mit der wir uns zum Gespräch trafen.

Was war der Anlass Ihres Besuchs der Baldung-Ausstellung 1959?

Durch meinen ersten Besuch in den Museen in Paris im Jahre 1959 wurde mein schon vorhandenes Interesse für Kunst noch verstärkt, und ich interessierte mich mehr für die Ausstellungen im Raum Karlsruhe, als ich es von meiner Schulzeit gewohnt war. Deshalb hatte ich schon den Plan in der Schublade, meine Zulassungsarbeit für die Prüfung zum Lehramt an Grund- und Hauptschulen über ein künstlerisches Thema zu verfassen. Dabei inspirierte mich sogleich die Ausstellung in der Kunsthalle Karlsruhe über den Maler Hans Baldung Grien.

Da auch meine Dozentin, Frau Dr. R., eine echte Karlsruherin, gleich von dem Gedanken begeistert war, habe ich mich gern auf dieses Projekt eingelassen.

Wie haben Sie die Ausstellung 1959 in Erinnerung? Was gefiel Ihnen besonders gut? Was ist Ihnen noch besonders in Erinnerung geblieben?

Die Ausstellung hat mich von vornherein stark beeindruckt , aber ich muss zugeben, dass die mediale Begleitung vor 60 Jahren mir eher dürftig erschien und in keiner Weise mit den heutigen, auch digitalen, Möglichkeiten zu vergleichen ist.

Wie hat Baldung Sie seit 1959 begleitet?

Natürlich ist das Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit über ein halbes Jahr lang prägend für ein ganzes Leben.Und die gelegentlichen Begegnungen mit den Werken des Künstlers in vielen europäischen Museen waren im Laufe meines Lebens bis heute ein Déjà-vu.

Zeichnung des Blicks über Straßburg aus Hans Baldung Griens Skizzenbuch

Welches ist Ihr persönliches Lieblingswerk Baldungs?

Mein Lieblingswerk ist Teil des Karlsruher Skizzenbuches , betitelt mit „Blick vom Straßburger Münsterturm nach Norden“ Die wichtigsten Straßen der Straßburger Altstadt sind zum Teil heute noch so wahrzunehmen.

Wie haben Sie die Ausstellung 2019 / 2020 im Vergleich zu der Ausstellung 1959 erlebt? Welche neuen Perspektiven haben sich Ihnen eröffent?

Die Ambivalenz des Künstlers Hans Baldung Grien ist mir bei der Erstellung der Arbeit im Jahre 1959 nicht so stark bewusst gewesen wie es mir heute nach 60 Jahren klar geworden ist.

Durch die verschiedenen Führungen durch die aktuelle Ausstellung habe ich auch erfahren, dass die sehr kompetenten Ausstellungsguides alle einen besonderen Schwerpunkt im Auge hatten. Das habe ich von der Ausstellung 1959 so nicht in Erinnerung.

Im Nachhinein bewundere ich  den Mut des Malers, die Frauen nicht nur schön und demütig darzustellen, sondern auch sehr verführerisch und bedrohlich.

Ein Beispiel für die veränderte Wahrnehmung nach 60 Jahren ist auch ein Vergleich der Titelbilder  der Kataloge. Im Jahre 1959 das Selbstbildnis des Künstlers auf der Rückseite des Altares im Freiburger Münster  und im aktuellen Katalog als Titelbild das relativ frivole Bildnis Maria und Kind und Papageien.

Da ich in meinem Lehrerberuf fast 30 Jahre an der Johann-Peter-Hebel-Schule in Karlsruhe unterrichtet habe, hat sich die räumliche Nähe zur Kunsthalle bzw. der Orangerie geradezu angeboten, diese Einrichtungen mit Schulklassen zu besuchen  Die hervorragende museumspädagogische Begleitung dieser Projekte ist mir in guter Erinnerung geblieben, und ich bin sicher , dass viele meiner ehemaligen Schüler heute noch eine gewisse Affinität zu diesen Einrichtungen behalten  und gepflegt haben.

Dr. Johanna Scherer, 31. Januar 2020

Der „digitale Hochaltar“: Eintauchen in Baldungs Bilderwelten

Das faszinierend selbstbewusste Selbstbildnis Hans Baldung Griens ist nur eines der zahlreichen spannenden Details, die auf seinem Hauptwerk – dem 1516 geschaffenen Hochaltar im Freiburger Münster entdeckt werden können.

Der wandelbare Altaraufsatz, der sich nach wie vor an seinem ursprünglichen Aufstellungsort im Chor des gotischen Kirchenraums in Freiburg befindet, war der bedeutendste Auftrag in der Karriere des Renaissance-Malers. Er zählt zu den wichtigsten Altarwerken in der deutschen Malerei Anfang des 16. Jahrhunderts.

Um dieses zentrale Werk Baldungs in der Großen Landesausstellung in seiner Vielfalt und Detailtiefe zugänglich machen zu können, entschied sich das Baldung-Team schon früh für eine digitale Adaption des Altars.

Während die originalen Altartafeln im Freiburger Münster meist nur aus einem recht großen Abstand heraus betrachten werden können, gibt der digitale Hochaltar in der Baldung-Ausstellung den Besucher*innen die Möglichkeit, das Werk bis ins kleinste Detail zu erkunden und vollständig in Baldungs Bildwelten einzutauchen.

Als wissenschaftliche Volontärin im kuratorischen-Team war ich für die inhaltlich-konzeptionelle Entwicklung des digitalen Exponats verantwortlich. Für mich war die Zusammenarbeit mit den Projektbeteiligten ein sehr spannender Prozess, bei dem die unterschiedlichen Perspektiven und Kompetenzen, insbesondere die technischen und kunsthistorischen, produktiv zusammenwirken konnten. Hier wurde u.a. die intuitive Nutzungsoberfläche ausführlich diskutiert.

Abbildung des digitalen Hochaltars in der Großen Landesausstellung Hans Baldung Grien. Davor stehen zwei Personen und betrachten eine Installation.

Das Ergebnis ist ein imposanter Touchscreen, auf dem die Ausstellungsbesucher*innen über ein Navigationsfeld die unterschiedlichen Zustände des Wandelaltars aufrufen können: Den geöffneten – der ist normaler Weise nur zur Weihnachtszeit in Freiburg zu sehen – und den geschlossenen Zustand, aber auch die bemalte Rückseite. Auf diese Weise wird die Wandelbarkeit des Altars durch die Klappflügel verdeutlicht. Zudem können Besucher*innen schrittweise immer tiefer in das Werk eintauchen, indem die einzelnen Tafeln der geöffneten und geschlossenen Vorderseite und die der Rückseite ausgewählt werden können und so zahlreiche Details zur Auswahl angeboten werden. Auch kurze Texte zur Einordnung werden stets bereitgestellt. Nutzer*innen können aber auch völlig frei über den Touchscreen ins Bild zoomen und auf eigene Faust faszinierende Details finden. Mein Lieblingsdetail ist einer der zahllosen kleinen Engel der Marienkrönung, der neugierig unter dem Mantelzaum der Maria hervorlugt.

Ohne die tatkräftige Unterstützung des Projekts durch die Erzdiözese Freiburg wäre das Exponat in seiner jetzigen Form nicht umsetzbar gewesen: Spontan erklärte man sich in Freiburg nämlich bereit, neue, extrem hochauflösende Fotografien des Werks anzufertigen. Insbesondere aufgrund der schwer zugänglichen Rückseite des Altars ist dies kein leichtes Unterfangen. Dass sich der Aufwand gelohnt hat, zeigen die begeisterten Reaktionen der Besucher*innen, von denen auch die Kolleg*innen im Aufsichtsdienst der Ausstellung zu berichten wissen. Aus diesem Grund freuen wir uns ganz besonders, dass der digitale Hochaltar, der durch Erzbischof Hermann Stiftung finanziell unterstützt wurde, auch nach der Karlsruher Ausstellung weiterhin gezeigt wird: Nämlich im neu entstehenden Münsterforum, direkt hinter dem Freiburger Münster, das im April 2020 eröffnet wird.

Tabea Schwarze, 13. Dezember 2019

Wie war Baldung vor 60 Jahren – aus Sicht der Besucher*innen ?

60 Jahre ist sie her, die letzte große Retrospektive, die sich dem außergewöhnlichen und unterschätzten Renaissance-Künstler Hans Baldung Grien widmete. Spätestens, wenn man sich das Keyvisual der Großen Landesausstellung vergegenwärtigt, kommt die Frage auf, wie eine Ausstellung eines solch außergewöhnlichen und bisweilen expliziten Künstlers vor 60 Jahren gewirkt haben muss.

Wir haben eine Besucherin getroffen, die vor 60 Jahren die Baldung-Ausstellung in der Kunsthalle besuchte und ihre Erinnerungen mit uns teilte.

1959 war Ingeborg Stadler noch keine 20 Jahre alt und extrem sportbegeistert. Neben dieser Leidenschaft interessierte sie sich vor allem für Kunst, organisierte später Ausstellungen mit Laienkünstler*innen und nahm regelmäßig an den Vorträgen des damaligen Kunsthallendirektors Jan Lauts teil.

„das kulturelle Angebot in der Stadt war gering, sobald es dann überregionale Ausstellungen zu sehen gab, mussten wir dorthin – unabhängig davon was, wann und wo.“

Eine ihrer Sportfreundinnen arbeitete als Sekretärin bei Jan Lauts und berichtete von den oft nächtelangen Arbeiten an einer großen Ausstellung über den bislang wenig beachteten Renaissance-Künstler Hans Baldung Grien. Diese war ursprünglich zum 400. Todesjahr Baldungs 1945 geplant und sollte nun nach dem Kriegsende der erste Ausstellungshöhepunkt der Kunsthalle werden. Durch die Begeisterung der Freundin angesteckt, besuchte Ingeborg Stadler die Ausstellung – und dass, obwohl ihr Interesse eigentlich stärker der Kunst der Moderne galt.

Wenn Ingeborg Stadler sich an die Baldung-Ausstellung 1959 zurück erinnert, fallen ihr vor allem die sakralen Werke und biblische Szenen Baldungs ein. Auch, wenn ihr Andenken an die Ausstellung ein profanes Werk ist: Das Ausstellungsplakat, das ein Selbstporträt des Künstlers zeigt, hängt noch heute in ihrem Haus. Dieses Gemälde fasziniert sie bis heute. Seit einigen Monaten wird es durch einen Ausschnitt des Plakatmotivs für die Baldung-Ausstellung 2019 ergänzt.

Angesprochen auf das in der nun eröffneten Ausstellung Hans Baldung Grien. heilig | unheilig fokussierte Spannungsfeld des künstlerischen Schaffens zwischen den Polen heilig und unheilig, zeigt Ingeborg Stadler Begeisterung und Vorfreude. Insbesondere auch auf die wenig sakralen und vielmehr provokanten Werke des Baldungs: „das Schockierende gehört zur Kunst – ob früher oder jetzt“.

Prof. Dr. Sigrid Schade, 17. November 2019

Voyeurismus und Pornografie in Hans Baldung Griens Hexenbildern

Hans Baldung Griens zum Teil drastische Hexendarstellungen sind charakteristisch für den Künstler. Die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Sigrid Schade ordnete diese ein und geht im Folgenden auf die voyeuristischen und pornografischen Aspekte der Werke ein.

Die Wiederaufnahme des antiken Aktbildes kann aus heutiger Sicht als  eine der erfolgreichsten „Marketing“-Strategien der Renaissance-Künstler bezeichnet werden.

Südlich der Alpen wurden vor allem mythologische Themen wie u.a. Venus und Nymphen als Vorwand für weibliche Aktbilder aufgegriffen, die eine scheinbar ideale Schönheit bebilderten.

Nördlich der Alpen wurden weibliche Aktbilder auch mit der Figur der Hexe fusioniert, von Altdorfer und Dürer zuerst, vor allem aber von Hans Baldung Grien. Erotisch aufgeladene Darstellungen mit dem Hexen-Thema zu verbinden, ermöglichte es ihm – von Kirche und Obrigkeit weitgehend unzensiert – direkte sexuelle Anspielungen zum persönlichen und privaten Gebrauch und Vergnügen männlicher Käufergruppen anzubieten. 

Abbildung von Hans Baldung Griens Werk Nackte junge Hexe und fischgestaltiger Drache

Die Hexendarstellungen von Hans Baldung Grien gehören zu den spektakulärsten seiner visuellen Gestaltungen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass sie – vor allem Männer – zu einer neuen Weise des Sehens und Genießens von Bildern einluden, die man als pornografisch bezeichnen kann.

In den ersten Holzschnitten von Hexenszenen zwischen 1510 und 1514 werden die dargestellten weiblichen Akte noch durch die aus den Illustrationen bekannten Attribute (Furken, Feuer, Ziegenböcke, Zauberutensilien) als Hexen ausgezeichnet.

Zugleich zeigt Baldung ihre Körper in expressiven, obszönen und provokativen Haltungen, die nichts mehr mit dem klassisch idealen Aktbild der Renaissance gemein haben. 

Abbildung des Holzschnittes Die Hexen von Hans Baldung Grien

Hierfür greift er auf Imaginationen des Hexensabbats zurück, deren phantasierten Rituale von ausschweifender und devianter Sexualität (mit dem Teufel, mit Tieren etc.) und Akte sexueller und körperlicher Autonomie der Frauen (Abtreibung, Onanie, Anhexen von Impotenz etc.) die Legitimation dafür lieferten. In der Zeichnung Drei Hexen von 1514 – übrigens ein Neujahrsgruss für einen ihm bekannten Kleriker – sind diese Merkmale der Hexen nur noch vereinzelt zu sehen.

Der wild agierende weibliche nackte Körper wird selbst zum Attribut, bzw. zur Verkörperung der Hexe, so wie auch in dem späteren Ölgemälde Zwei Wetterhexen von 1523.

Diese Verschiebung des Hexenbildes von der Schadenzaubertaten ausübenden Frau hin zur „Magie“ ihres Körpers, verschiebt auch den Blick des Betrachters von dem des belesenen und des die Hexenvorstellungen aus Schriften wiedererkennenden Kenners hin zu dem eines Voyeurs, der sich an den Verführungsphantasien visuell ergötzt.

Baldung macht in seinen Inszenierungen auch den voyeuristischen Blick und die Wünsche des Betrachters sichtbar: durch die direkte Adressierung mittels Blicke aus dem Bild, durch explizites Zu-Sehen-Geben der Körper als Aufforderung zur Identifizierung mit den Akteuren. Er macht die Voyeure auf sich selbst und ihre Schaulust aufmerksam. 

Die Frage ist natürlich, ob er damit solche Blickwünsche und die Schaulust auch als Ursache für die Hexenimaginationen der Verfolger „entlarvte“ oder ob er sie nicht „befeuerte“.

Unbestritten ist, dass diese Darstellungen seine Sichtbarkeit und seinen Erfolg als Künstler mitbegründeten, in manchen prüderen Phasen der Kunstgeschichtsschreibung aber auch einschränkten. Seine Hexenbilder gehören jedenfalls zu den am häufigsten rezipierten Werken, die bis ins 19. Jahrhundert hinein innerhalb und außerhalb des Hexenthemas als Vorlage für pornografische Bilder anderer Künstler dienten.

Prof. Dr. Sigirid Schade in der Kunsthalle

Am 6.2.20 hält die Kunsthistorikerin begleitend zu der Ausstellung Hans Baldung Grien. heilig | unheilig einen Vortrag zu diesem Thema.

Prof. Dr. Sigrid Schade, 14. November 2019

Hans Baldung Griens voyeuristischer Blick-Wechsel auf das Hexenthema

Sie begegnen den Betrachter*innen im Werk Baldungs immer wieder, mal eindeutig, mal weniger deutlich als solche zu erkennen: Die Hexen. Was es mit den für Baldung charakteristischen Darstellungen auf sich hat, erläutert Kunsthistorikerin Prof. Dr. Sigrid Schade.

Zur Vorgeschichte und zur Realität der Hexenverfolgungen

Das Hexenthema und Hexenverfolgungen erreichten den deutschen Südwesten ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Zahlreiche Prozesse gegen und Verbrennungen von so genannten „Hexen“ können nachgewiesen werden, auch in Nürnberg, Basel und Straßburg – den Hochburgen des frühen Buchdrucks. Städte, in denen Hans Baldung Grien gelebt und gearbeitet hat, waren Schauplätze von solchen Verfolgungen.

In Publikationen von Prozessberichten, juristischen Anleitungen und Predigten über das Hexenwesen, Teufelspakt und Hexensabbat wurden zunehmend Darstellungen von Hexen eingesetzt, um auch die Aufmerksamkeit eines leseunkundigen Publikums auf sich zu ziehen. Zunächst erschienen Hexen-Illustrationen als Miniaturen in Manuskripten sowie nach der Erfindung des Buchdrucks auch als Holzschnitte. Diese Schriften erfreuten sich großer Beliebtheit und wurden nicht zuletzt wegen dieser Darstellungen zu Bestsellern. In diesen Veröffentlichungen wurden Hexen als Ausübende von so genannten Schadenszaubertaten charakterisiert. Diese umfasste u.a. Unwetterzauber, Lahmhexen oder auch das Anhexen von Impotenz.

Die Kirche argumentierte, dass Schadenzauber nur durch einen „Pakt“ mit dem Teufel möglich sei – womit sie den Beischlaf von Frauen mit ihm meinte. Die Inquisitoren stellten die angeblichen Taten der als Hexen bezeichneten Frauen in den Vordergrund, um so die Notwendigkeit einer Verurteilung auch durch zivile Gerichte zu unterstreichen. Zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert wurden etwa 50.000 Frauen, Männer und Kinder (vor allem Frauen) in Mitteleuropa als Hexen verbrannt.

Jenseits der Diskussion um den Schadenzauber stand in den theologischen und inquisitorischen Schriften jedoch die frauenfeindliche Zuschreibung der besonderen Sündhaftigkeit der Frau im Zentrum. Nach der Tradition der christlichen Religion und ihrer Gründungsmythen, wie bspw. dem Sündenfall, geraten Männer mit dem Teufel erst durch die Frau in Berührung. Dies wiederum geschehe durch und wegen ihrer sexuellen Verführungskraft. Der Beischlaf mit dem Teufel als Voraussetzung für die Befähigung zur schwarzen Magie sowie die angenommenen Orgien anlässlich des Sabbats befeuerten unablässig die Phantasie der Kleriker und Laien, der Humanisten und Bürger der Zeit.

Für Kleriker und Theologen bestand die Gefahr der weiblichen Verführung vor allem im außerehelichen Geschlechtsverkehr, dem Ehebruch und der Todsünde der Wollust. Die Humanisten betrachteten (weibliche) Verführung als Verlust der Kontrolle über die Leidenschaften. Es ging ihnen um den Verlust der (männlichen) Vernunft.

Abbildung des Werks "Zwei Hexen" des Künstlers Hans Baldung Grien, das vom 30. November 2019 bis zum 8. März 2020 in der Ausstellung "Hans Baldung Grien - heilig | unheilig" in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zu sehen sein wird.

Hexenbilder als Sammlerstücke

Die kulturhistorische Perspektive zeigt, dass die einzelnen Elemente der Hexenmythologie in Text und in Bild weitestgehend ausgearbeitet und weit verbreitet waren, bevor Baldung und andere Künstler das Thema aufgriffen. Somit entwickelten sie keineswegs „seltsame“, also abwegige oder für ihre Zeit ungewöhnliche Phantasien, sondern schöpften aus den Quellen zeitgenössischer Hexenvorstellungen. In Gerichtsverhandlungen, Predigten und im neuen Medium Buchdruck verbreiteten sich diese unablässig.
Baldung und einige seiner Zeitgenossen produzierten Hexendarstellungen als „autonome Kunstwerke“, die nun nicht mehr als Illustrationen zu Texten gedacht waren.

Dazu experimentierte Baldung mit neuen Techniken, um besonders plastische und dramatisierende Effekte zu ermöglichen und ein ausgesuchtes Sammlerpublikum anzusprechen. Daneben illustrierte Baldungs Werkstatt bspw. auch die Publikation der Hexen-Predigten des Johann Geiler von Kaisersberg.

Das neue Konzept vom männlichen, genialen Künstler und dessen von Gott gegebener Imagination hatte auch die Kunstwelt in den Städten nördlich Italiens erreicht. Dies kam zusammen mit Veränderungen des sozialen Status der Künstler und neuer Auftraggeberschichten sowie freieren Absatzmöglichkeiten für das neue Massenmedium Druckgraphik. In der Folge entstand eine neuartige Konkurrenz zwischen den Künstlern.

Es wurde notwendig, durch Originalität, besondere Bildthemen und durch die Entfaltung eines eigenen Malstils Aufmerksamkeit zu erregen und sich einen Namen zu machen. So sollten nicht nur Auftraggeber sondern auch Käufer für bereits gefertigte Werke gefunden werden. Hans Baldung Grien perfektionierte den Balanceakt zwischen der Notwendigkeit, sich von anderen Künstlern zu unterscheiden und sie gleichzeitig zu zitieren, um von deren Bekanntheit und Wiederkennungspotential zu profitieren.

Zugleich reagierte er auf die Vielfalt seiner Adressaten mit unterschiedlichen Ausführungen. Hierzu waren Belesenheit und umfangreiche Kenntnisse notwendig, die Baldung, aus einer Gelehrtenfamilie stammend, vorweisen konnte. So konnte er im Bereich der zahlreichen Hexendarstellungen Wiedererkennungseffekte erzielen und zugleich eine neue Art von Schaulust erzeugen, welche allenfalls im engeren Freundeskreis geteilt werden konnte.

Prof. Dr. Sigrid Schade in der Kunsthalle

Am 6.2.20 hält die Kunsthistorikerin begleitend zu der Ausstellung Hans Baldung Grien. heilig | unheilig einen Vortrag zu diesem Thema.

Tabea Schwarze, 20. September 2019

Von der begehrten Leihgabe zum spektakulären Neuankauf

Ein Großteil der Vorbereitungszeit auf eine Große Landesausstellung wie Hans Baldung Grien. heilig | unheilig fließt neben der Forschung und wissenschaftlichen Aufbereitung der Inhalte in die Verhandlung mit potenziellen Leihgeber*innen. Manchmal kommt es aber anders als geplant:

So war es ein wichtiger Meilenstein, als Kurator Dr. Holger Jacob-Friesen den britischen Privatsammler und Besitzer der Fragmente des Werks Lot und seine Töchter als Leihgeber für die Ausstellung im Spätherbst gewinnen konnte. Schließlich ist die im Untertitel der Ausstellung verankerte Ambivalenz zwischen dem Heiligen und dem Unheiligen in diesem Werk ganz besonders präsent: Das Gemälde zeigt die biblische Geschichte Lots, der nach seiner Flucht aus Sodom von seinen Töchtern betrunken gemacht und zum Inzest verführt wird. Im Hintergrund erstarrt seine Frau zur Salzsäule, da sie verbotenerweise auf Sodom zurück geblickt hat.

Foto der zusammengesetzten Fragmente des Baldung-Gemäldes Lot und seine Töchter

Überraschend verkündete der private Besitzer jedoch wenig später, das Werk umgehend verkaufen zu wollen. Aufgrund der Wichtigkeit der Gemäldefragmente für die Ausstellung und der Seltenheit, in der Werke Alter Meister wie Hans Baldung Grien auf dem Kunstmarkt zur Verfügung stehen, wurden in der Kunsthalle schnell auf die neue Situation reagiert: Mit viel Energie wurden Gutachter gesucht und gefunden sowie Unterstützer*innen für den geplanten Ankauf gewonnen.

Mit Hilfe der Museumsstiftung Baden-Württemberg, der Ernst von Siemens Kunststiftung sowie einer privaten Mäzenin, die anonym bleiben möchte, konnten die drei Fragmente des Werkes für die Kunsthalle erworben werden. Erstmals präsentiert werden sie – nach notwendigen Restaurierungsmaßnahmen – in der Ausstellung Hans Baldung Grien. heilig | unheilig.

Übrigens: Dass das Werk fragmentiert ist, wird entweder auf die so erzielte Wertsteigerung (drei Baldung-Gemälde erzielen einen höheren Preis als eines), oder der Anstößigkeit des Themas zurückgeführt. Während das Gemälde schon vor vielen Jahrzehnten bzw. Jahrhunderten zerlegt worden sein muss, konnte seine ursprüngliche Gestalt und damit auch sein initiales Thema, erst zu Beginn der 2000er Jahre Dank einer restauratorischen Untersuchung herausgefunden werden.

Bis zu diesem Zeitpunkt war der rechte Teil, der Lots zur Salzsäule erstarrende Frau zeigt, überstrichen und um 90 Grad gedreht an die liegende Tochter Lots angebracht. Der auf diese Weise vereinzelte liegende Akt erinnerte an Cranachs Nymphen. Lot (hier als Lott betitelt) und die zweite Tochter existierten daneben als eigenständige Bildnisse.

Erst durch eine Infrarotreflektographie, die Kenntnis des Berliner Lot-Fragments sowie die zueinander passenden Fugen der Fragmente, konnten die einzelnen Teile weitestgehend zusammengeführt werden. Der vierte Teil, der die zweite Tochter Lots zeigt, ist nur durch Reproduktionen bekannt. Es stand dem Kunstmarkt zur Zeit des Ankaufs nicht zur Verfügung

Foto der Direktorin Prof. Dr. Pia Müller-Tamm, die demonstriert, wie das vierte Fragment des Lot-Gemäldes aussieht
Dr. Johanna Scherer, 1. September 2019

heilig | unheilig

Beim Lesen des Untertitels „heilig | unheilig“ unserer Großen Landesausstellung zu Hans Baldung Grien, mag sich manch eine*r gefragt haben, was sich genau dahinter verbirgt. Auch im Team wurde der Titel intensiv diskutiert:

Die Gegenüberstellung von „heilig“ und „unheilig“ klingt natürlich gut, aber ist „unheilig“ überhaupt ein Wort? Gab es nicht vor nicht allzu langer Zeit eine Musikband mit diesem Namen? Was werden die Besucher*innen damit verbinden?

Zumindest laut Duden ist die Definition eindeutig: „unheilig“ bedeutet so viel wie: „nicht heilig; nicht gerade fromm, christlich“. Allerdings sagt das noch nichts darüber aus, was das mit dem Künstler Hans Baldung Grien zu tun hat.

Mit der Gegenüberstellung der beiden Adjektive im Untertitel soll das weite Spektrum thematisiert werden, das Baldung in seinen Bildern abdeckt und dabei die große Spannung zum Ausdruck zu bringen, die zwischen den thematischen Polen des Werks besteht: Konkret bezieht sich das auf die Spannung zwischen den traditionellen, sakralen Bildwelten Baldungs und den neuen, weltlichen Themen, die er mitunter äußerst drastisch darstellte. Viele Werke Baldungs, wie etwa seine Serie der Wildpferde, erscheinen uns heute provokant und geradezu modern.

Detail des Gemäldes Adam und Eva von Hans Baldung Grien. Es zeigt vorne eine nackte Frau und dahinter einen nackten Mann.

heilig

Für Baldung, wie für jeden Maler des Spätmittelalters und der Renaissance, waren Aufträge für religiöse Bildwerke – sei es für Kirchen, sei es für die private Nutzung – eine zentrale Einnahmequelle. Zwar gingen solche Aufträge mit der Einführung der Reformation in Straßburg zurück und neue Bildthemen, etwa aus der antiken Mythologie, gewannen nun noch stärkere Bedeutung.

Letztlich schuf Baldung jedoch auch zur Zeit der Reformation und bis an sein Lebensende Bilder von der Jungfrau Maria und von Heiligen. Ob er selbst ein Anhänger der Reformation war, können wir nicht mit Sicherheit sagen. Dass er ein sehr gläubiger Mensch gewesen sein muss, lässt sich jedoch an zahlreichen Werken, die eine tiefempfundene Frömmigkeit ausdrücken, erahnen.

Dabei waren seine Themen zwar traditionell, nicht jedoch Baldungs Umsetzung: Innovative und expressive Holzschnitte wie zum Beispiel die Bekehrung des Saulus, sollten die gläubigen Betrachter*innen vor allem auf einer affektiven Ebene berühren.

Abbildung von Hans Baldung Griens Holzschnitt, der sieben wilde Pferde zeigt

unheilig

Mindestens genauso wichtig wie die sakralen Bilder sind in Baldungs Werk weltliche Themen, die ebenfalls eine große Vielfalt besitzen. Ein roter Faden lässt sich dennoch erkennen: Man geht wohl nicht zu weit, wenn man behauptet, dass Baldungs Werk ein ausgeprägtes Interesse für das Sündhafte des Menschen, für seine Triebhaftigkeit, aufweist. Diese thematisierte Baldung jedoch häufig quasi indirekt, etwa in den bereits erwähnten Wildpferden und vor allem in den Hexen-Darstellungen. Doch auch die vielen Darstellungen des Sündenfalls gehören zu diesem Themenkreis. An diesem Punkt wird deutlich, dass sich die Gegenüberstellung bzw. Trennung „heilig⎟ unheilig“ nur bis zu einem gewissen Grad aufrecht erhalten lässt: Denn wo genau sollte man beispielsweise Adam und Eva, die biblischen Stammeseltern, die der Sünde verfallen sind, hier einordnen?

So werden auch die Besucher*innen der Ausstellung eine große Bandbreite zwischen diesen Polen sehen können und feststellen, dass es bei Baldung zahlreiche Schattierungen, Zwischenbereiche und Ambivalenzen gibt. Und nicht selten scheint bei ihm beides auch in eins zu fallen, das Heilige und das Unheilige.

Dr. Heidi Pfeiffenberger, 18. Juli 2019

#GoGrien: Der Countdown läuft – auch beim digitalen Begleitangebot

Hans Baldungs so genanntes „Karlsruher Skizzenbuch“ besteht aus 100 Silberstift-Zeichnungen. In der kommenden Landesausstellung „Hans Baldung Grien. heilig | unheilig“ wird allerdings nur eine Doppelseite aufgeschlagen sein können.

Grund genug, um sich Gedanken über dessen Präsentation zu machen.

Das Skizzenbuch Hans Baldungs, genannt Grien, gehört mit seinen Blättern aus dem 16. Jahrhundert zu den verborgenen Schätzen des Kupferstichkabinetts der Kunsthalle. Die Präsentation des fast 500 Jahre alten, fragilen und besonders lichtempfindlichen Buches bedarf daher besonderer Schutzmaßnahmen. Das Licht des Ausstellungsraumes beispielsweise darf den Wert von 50 Lux nicht übersteigen und auch die aufgeschlagene Doppelseite muss während der Dauer der Ausstellung mehrfach gewechselt werden.

User*innen First

Getreu dem Motto User*innen first, nimmt auch die Konzeption des digitalen Begleitangebots deutlich an Fahrt auf. Trotz der empfindlichen Substanz des Skizzenbuches soll den Besucher*innen ein detaillierter Blick ins Buch gewährt werden – nicht nur, um sich ein eigenes Bild von Baldungs herausragenden zeichnerischen Fähigkeiten zu machen, sondern auch um den Ausstellungsbesuch möglichst abwechslungsreich zu gestalten.

Blättern, zoomen oder switchen?

Das intern mit Digitale Skizzenbuch betitelte Projekt, befindet sich aktuell in der Konzeptions- und Designphase. Ganz im Gegensatz zu den physischen Bedingungen, die es im Ausstellungsraum zu beachten gilt, werden im digitalen Bereich überraschend andere Anknüpfungspunkte ermöglicht.

Schnittstellen-Management

Was sind die spannendsten Informationen für unsere Besucher*innen? In welcher Form präsentieren wir? Als Wandprojektion, Slideshow oder interaktive Anwendung? Welches Medium eignet sich für unsere Zielgruppe am besten? Wie viele inhaltliche Vertiefungsmöglichkeiten wird es geben? Arbeiten wir ausschließlich visuell oder legen wir den Fokus auf Text – oder beides? Wie wird die Anwendung in den Ausstellungsraum integriert?

All das sind Fragen, die im Vorfeld der Konzept-Phase eine zentrale Rolle spielen und zwischen allen beteiligten Akteur*innen besprochen werden. Hier ist eine enge Vernetzung der verschiedenen Abteilungen des Museums gefragt. Wissenschaft und Kommunikation arbeiten Hand in Hand mit der Webagentur und Ausstellungsarchitektur, um das gemeinsame Ziel zu realisieren: Einen ausgiebigen Blick in das Karlsruher Skizzenbuch zu werfen, neue Perspektiven auf das Werk zu eröffnen und spannende Fakten zu erfahren.

Neben dem Digitalen Skizzenbuch werden für die Baldung-Ausstellung 2019 auch weitere digitale Angebote zur Hand geben. Der Faktencheck: 1959 versus 2019 liefert weitere Informationen.

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