Sarah Massumi, 5. April 2024

Von der Wand ins Netz, oder: Wie die Kunst ins Internet kommt

Der Louvre hat eine. Die National Gallery in London auch. Das Rijksmuseum in Amsterdam, die Staatlichen Museen zu Berlin, die Nationalgalerie in Prag, der Prado in Madrid und natürlich erst recht das Metropolitan Museum of Art in New York – sie alle haben das, was man heutzutage von Museen ab einer gewissen Größe als „Grundausstattung“ erwarten darf: eine Onlinesammlung.

Unter der sprechenden Überschrift Collections, Sammlungen Online, Colección, Sammlung Digital u. v. m. wird hier das zentrale Herzstück der Institutionen – die Sammlung – Interessierten, Kunstliebhaber*innen, Bildungssuchenden und Forschenden weltweit virtuell zugänglich gemacht. Auch die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe ging im Dezember 2011 mit einem digitalen Katalog, dem Vorläufer der heutigen Sammlung Online, an den Start und baut diesen seitdem kontinuierlich aus. Denn eine solche virtuelle Repräsentation des Bestandes ist nicht nur in Zeiten von geschlossen Museumstüren (sei es aufgrund von langjährigen Gebäude-Sanierungen oder Pandemien) von unschätzbarem Wert.

Doch wie kommt die Kunst eigentlich ins Internet? Welche Stationen durchläuft ein Objekt in unserem Museum und wer ist alles daran beteiligt, bis ein digitales Abbild und die zugehörigen Informationen auf der Museumswebseite erscheinen?

 

Digitalisierung ist Teamwork

Wie auch die Ausstellung eines Museumsobjektes im realen Raum erfordert die Bereitstellung von Digitalisaten abteilungsübergreifendes Teamwork. Alles beginnt mit der Entscheidung, welche Werke oder Konvolute als erstes (oder als nächstes) bearbeitet und online gestellt werden sollen. Im Hinblick auf limitierte personelle und zeitliche Ressourcen setzen Direktion und Sammlungsleiter*innen die Prioritäten: welche Bestände sind von besonderem Interesse und sollten vorrangig aufgearbeitet werden? Gibt es vielleicht Konvolute, die aufgrund von Forschungsanfragen oder Ausstellungsvorhaben fotografiert und anschließend, mit hochaufgelösten Bildern, online gestellt werden können?

 

Der Weg der Objekte

Dann beginnt der Weg der Objekte durch das Museum. Die Depotverwalter*innen für Gemälde und Plastik bzw. für das Kupferstichkabinett transportieren die Kunstwerke von ihren angestammten Plätzen im Depot in das hauseigene Fotoatelier der Kunsthalle. Nicht selten ist hierbei auch der Einsatz weiterer Kolleg*innen und/oder der Restaurator*innen notwendig. Denn großformatige Objekte, alte illustrierte Bücher, brüchiges Papier oder andere empfindliche Werke erfordern einen besonders umsichtigen Umgang und ein spezielles Setup, um im Bearbeitungsprozess nicht beschädigt zu werden.

Das Foto zeigt einen Fotografen der Kunsthalle, der gerade ein Kunstwerk fotografiert.

Unsere beiden Fotograf*innen fertigen hochaufgelöste, digitale Fotografien von den Vorder- und Rückseiten der Gemälde und Papierarbeiten an, von dreidimensionalen Werken (also Skulpturen und Plastiken) werden mehrere Ansichten aufgenommen. Die Kolleg*innen stellen sicher, dass die Aufnahmen eine ausreichend gute Qualität sowohl für gedruckte Veröffentlichungen als auch für Onlinepublikationen aufweisen und farbgetreu sind. Ist dies erledigt, werden die Objekte wieder zurück an ihre Aufbewahrungsorte gebracht. Ein positiver Nebeneffekt: einmal fotografierte Werke werden langfristig geschont, da sie für eine Begutachtung nicht mehr jedes Mal bewegt werden müssen. Auch schwer zugängliche Kunst, die besonders unhandlich ist oder sich andernorts befindet, ist dadurch gewissermaßen einfacher erreichbar.

 

Das Wissen über die Objekte

Die digitalen Aufnahmen werden anschließend in der internen Sammlungsdatenbank Imdas Pro abgelegt bzw. mit dieser verknüpft. Eine Museumsdatenbank stellt nicht nur für die Onlinesammlung das grundlegende Werkzeug dar: Das zuvor analog auf Inventarbücher, Karteikarten, Standortkarteien, Bildakten und Literatur verteilte Wissen über die Kunstwerke wird hier zentral, strukturiert und idealerweise so vollständig wie möglich abgelegt. Dokumentar*innen, Kurator*innen, Provenienzforscher*innen, Restaurator*innen, Registrars, Depotverwalter*innen – sie alle geben Informationen ein, pflegen, prüfen und korrigieren die Daten und greifen bei ihrer täglichen Arbeit darauf zurück. In der Kunsthalle Karlsruhe begann die Arbeit mit der Sammlungsdatenbank (passenderweise) mit Adam und Eva: Albrecht Dürers Kupferstich von 1504 war im Jahr 2001 das erste Werk, das mit einem Datensatz in Imdas Pro erfasst wurde.

Links ist ein Kunstwerk von Albrecht Dürer zu sehen. Rechts und in der Mitte liegen handschriftliche Notizen dazu.
Auf dem Screenshot ist die imdas Datenbank zu sehen, wo einige Informationen zu einem Kunstwerk von Albrecht Dürer eingetragen sind.

Nach einem langjährigen Projekt sind wir im Bereich der digitalen Grundinventarisierung sehr gut aufgestellt: Nahezu sämtliche Kunstobjekte sind in der Sammlungsdatenbank mindestens mit einem Basisdatensatz und einem Arbeitsfoto erfasst, mit dem sich ein Werk rasch identifizieren lässt – die wesentlichen Grundlagen für eine weitere Bearbeitung und spätere Veröffentlichung.

 

Der Weg der Daten in die Welt

Hat das mit den Objekten verbundene Wissen (die sogenannten Metadaten) seinen Weg vom Papier in die Datenbank gefunden, so muss es von hier aus – gemeinsam mit dem digitalen Bild – hinaus in die Welt. Und das erfordert, anders als man es vielleicht erwartet, etwas mehr als nur einen Knopfdruck: nämlich die enge Zusammenarbeit von Kolleg*innen aus den Abteilungen Kommunikation und Sammlung/Wissenschaft mit verschiedenen externen Dienstleistern.

Diese unterstützen uns zum einen dabei, die gewünschten Informationen mittels einer technischen Schnittstelle aus der Sammlungsdatenbank auszugeben. Zum anderen sorgen sie dafür, dass die Inhalte wie gewünscht in unserer Sammlung Online, dargestellt werden. Eine klare und ansprechende Gestaltung sowie die reibungslose und nutzungsfreundliche Funktion der Website sind hierbei das A und O.

Auf dem Foto sieht man eine Abbildung von Albrecht Dürers "Adam und Eva" im Rahmen der Sammlung online der Kunsthalle Karlsruhe.

Eine unendliche Geschichte?

Über 10 000 Kunstwerke aus dem Bestand der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe sind aktuell in der Sammlung Online aufrufbar. Das Angebot wächst stetig weiter, sowohl in absoluten Zahlen als auch in der Qualität der zur Verfügung gestellten Daten. Die sogenannte „Erschließungstiefe“, d. h. die Detailliertheit der mit einem Objekt verknüpften Informationen, reicht mittlerweile von den grundlegenden Basisdatensätzen mit einem niedrig aufgelösten Foto bis hin zu ausführlichen Werkdatensätzen mit Bildbeschreibungen, hochaufgelösten und (wo rechtlich möglich) frei downloadbaren Abbildungen, Rückseitenfotografien, Angaben zu Trivia, Ausstellungen und Literatur sowie wissenschaftlichen Kommentaren. Hinzu kommen weiterführende Inhalte vermittelnder Natur, wie die Einbindung von digitalen Touren, Blogbeiträgen, literarischen Auseinandersetzungen mit und detaillierten Betrachtungen von Kunstwerken aller Sammlungsbereiche.

Angesichts des Umfangs der Bestände ist klar: Die Arbeit an unserer Sammlung Online ist nicht nur work in progress – sie ist eine Aufgabe ohne Schlusspunkt. Denn es geht nicht allein um die fortlaufende inhaltliche Anreicherung, Prüfung und Publikation von Daten zu den vorhandenen Werken. Sowohl die Sammlung als auch unser Wissen zu den Kunstobjekten wächst und verändert sich und wird konstante Pflege und Zuwendung erfordern, um den Ansprüchen an Zuverlässigkeit und Aktualität zu genügen.

Hinzu kommt: Neben der (Weiter-)Entwicklung der technischen Infrastruktur im Hintergrund, die für die Websitebesucher*innen zumeist unsichtbar ist, werden wir abteilungsübergreifend auch an dem „Wie“ des Angebotes kontinuierlich weiterarbeiten. Denn die Nutzungsgewohnheiten und Erwartungshaltungen der vielfältigen, virtuellen Besucher*innengruppen sind ebenfalls einem fortwährenden Wandel unterworfen. Ein regelmäßiger Blick nach rechts und links, der regelmäßige Austausch mit Museumskolleg*innen im In- und Ausland sowie (potentiellen) Nutzer*innen ist dabei stets Inspiration und Ansporn.

Von ihren physischen Aufbewahrungsorten an Wänden, in Kästen und Regalen hat es die Kunst ins Internet geschafft – wohin ihre Reise von hier aus führt, liegt nun auch in der Hand der Betrachter*innen!

Sarah Massumi, 5. April 2024

Von der Wand ins Netz, oder: Wie die Kunst ins Internet kommt

Der Louvre hat eine. Die National Gallery in London auch. Das Rijksmuseum in Amsterdam, die Staatlichen Museen zu Berlin, die Nationalgalerie in Prag, der Prado in Madrid und natürlich erst recht das Metropolitan Museum of Art in New York – sie alle haben das, was man heutzutage von Museen ab einer gewissen Größe als „Grundausstattung“ erwarten darf: eine Onlinesammlung.

Unter der sprechenden Überschrift Collections, Sammlungen Online, Colección, Sammlung Digital u. v. m. wird hier das zentrale Herzstück der Institutionen – die Sammlung – Interessierten, Kunstliebhaber*innen, Bildungssuchenden und Forschenden weltweit virtuell zugänglich gemacht. Auch die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe ging im Dezember 2011 mit einem digitalen Katalog, dem Vorläufer der heutigen Sammlung Online, an den Start und baut diesen seitdem kontinuierlich aus. Denn eine solche virtuelle Repräsentation des Bestandes ist nicht nur in Zeiten von geschlossen Museumstüren (sei es aufgrund von langjährigen Gebäude-Sanierungen oder Pandemien) von unschätzbarem Wert.

Doch wie kommt die Kunst eigentlich ins Internet? Welche Stationen durchläuft ein Objekt in unserem Museum und wer ist alles daran beteiligt, bis ein digitales Abbild und die zugehörigen Informationen auf der Museumswebseite erscheinen?

 

Digitalisierung ist Teamwork

Wie auch die Ausstellung eines Museumsobjektes im realen Raum erfordert die Bereitstellung von Digitalisaten abteilungsübergreifendes Teamwork. Alles beginnt mit der Entscheidung, welche Werke oder Konvolute als erstes (oder als nächstes) bearbeitet und online gestellt werden sollen. Im Hinblick auf limitierte personelle und zeitliche Ressourcen setzen Direktion und Sammlungsleiter*innen die Prioritäten: welche Bestände sind von besonderem Interesse und sollten vorrangig aufgearbeitet werden? Gibt es vielleicht Konvolute, die aufgrund von Forschungsanfragen oder Ausstellungsvorhaben fotografiert und anschließend, mit hochaufgelösten Bildern, online gestellt werden können?

 

Der Weg der Objekte

Dann beginnt der Weg der Objekte durch das Museum. Die Depotverwalter*innen für Gemälde und Plastik bzw. für das Kupferstichkabinett transportieren die Kunstwerke von ihren angestammten Plätzen im Depot in das hauseigene Fotoatelier der Kunsthalle. Nicht selten ist hierbei auch der Einsatz weiterer Kolleg*innen und/oder der Restaurator*innen notwendig. Denn großformatige Objekte, alte illustrierte Bücher, brüchiges Papier oder andere empfindliche Werke erfordern einen besonders umsichtigen Umgang und ein spezielles Setup, um im Bearbeitungsprozess nicht beschädigt zu werden.

Unsere beiden Fotograf*innen fertigen hochaufgelöste, digitale Fotografien von den Vorder- und Rückseiten der Gemälde und Papierarbeiten an, von dreidimensionalen Werken (also Skulpturen und Plastiken) werden mehrere Ansichten aufgenommen. Die Kolleg*innen stellen sicher, dass die Aufnahmen eine ausreichend gute Qualität sowohl für gedruckte Veröffentlichungen als auch für Onlinepublikationen aufweisen und farbgetreu sind. Ist dies erledigt, werden die Objekte wieder zurück an ihre Aufbewahrungsorte gebracht. Ein positiver Nebeneffekt: einmal fotografierte Werke werden langfristig geschont, da sie für eine Begutachtung nicht mehr jedes Mal bewegt werden müssen. Auch schwer zugängliche Kunst, die besonders unhandlich ist oder sich andernorts befindet, ist dadurch gewissermaßen einfacher erreichbar.

 

Das Wissen über die Objekte

Die digitalen Aufnahmen werden anschließend in der internen Sammlungsdatenbank Imdas Pro abgelegt bzw. mit dieser verknüpft. Eine Museumsdatenbank stellt nicht nur für die Onlinesammlung das grundlegende Werkzeug dar: Das zuvor analog auf Inventarbücher, Karteikarten, Standortkarteien, Bildakten und Literatur verteilte Wissen über die Kunstwerke wird hier zentral, strukturiert und idealerweise so vollständig wie möglich abgelegt. Dokumentar*innen, Kurator*innen, Provenienzforscher*innen, Restaurator*innen, Registrars, Depotverwalter*innen – sie alle geben Informationen ein, pflegen, prüfen und korrigieren die Daten und greifen bei ihrer täglichen Arbeit darauf zurück. In der Kunsthalle Karlsruhe begann die Arbeit mit der Sammlungsdatenbank (passenderweise) mit Adam und Eva: Albrecht Dürers Kupferstich von 1504 war im Jahr 2001 das erste Werk, das mit einem Datensatz in Imdas Pro erfasst wurde.

Auf dem Bild wird ein großformatiges Gemälde der Kunsthalle Karlsruhe in einer Transportkiste mit einem Kran aus dem Fenster gehoben.

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Mit Kraft, Augenmaß und Fingerspitzengefühl

Jeden Handgriff dieses konservatorischen und logistischen Großprojektes hatten Nele Bordt und ihr Team im Vorfeld mit Unterstützung der Ausführenden sorgfältig durchdacht und geplant. Es ist alles perfekt vorbereitet. Auch die Wetterverhältnisse in dieser Septembernacht sind mit mäßigen Temperaturen nahezu ideal – es regnet nicht und vor allem weht kein Wind. Er würde die schweren Holzkisten mit ihrer wertvollen Fracht unkontrolliert zum Kippen bringen – der Auszug der Großformate hätte dann verschoben werden müssen. Neben Anselm Feuerbachs Gemälde verlassen im Dunkel der Nacht drei weitere großformatige Historienbilder aus dem 19. Jahrhundert ihren angestammten Platz in der Kunsthalle: Die Disputation zwischen Luther und Eck von Carl Friedrich Lessing, der sogenannte Türkenlouis von Ferdinand Keller und das Gemälde Konradin von Hohenstaufen von Anton Werner. Diese Gemälde haben die Kunsthalle seit ihrem Einzug bislang so gut wie nicht verlassen. Die Maße der gerahmten Ölgemälde, die damals vermutlich in gerolltem Zustand in die Kunsthalle eingezogen waren, bewegen sich zwischen 3,10 und 6,28 Meter.

Ihr Auszug in den sperrigen, klimastabilen Transportkisten gleicht einer Herkulesaufgabe.

Konservatorische Vorbereitungen

Bevor die Großformate ihre Reise antreten durften, war ihr Erhaltungszustand von den Restaurator*innen präzise analysiert und in Einzelheiten fotografisch festgehalten worden. Dann folgte bei Bedarf die punktuelle Festigung der Malschichten mit einem speziellen Klebemittel, um die Gemälde aus konservatorischer Sicht transportfähig zu machen und Beschädigungen vorzubeugen. Die Demontage der Bilder von den Museumswänden sowie die Abbaulogistik erfolgte nach einem streng ausgearbeiteten und durchgetakteten Plan: Bislang von einem Granitsockel im Feuerbachsaal gestützt, wurde etwa Das Gastmahl des Plato mittels Elektrohubwagen langsam und vorsichtig von der Wand gehoben. Das Gemälde war zuvor mit aufblasbaren Luftkissen unterlegt und etwas angehoben worden, um insbesondere Verletzungen des Rahmens zu verhindern. Während der Demontage verhinderten viele helfende Hände und verschiedene technische Hilfsmittel das Kippen des gerahmten Bildes, das dann auf zwei mobile Holzgerüste gestellt wurde. Anschließend lösten die Restaurator*innen das Gemälde aus seinem Rahmen und stabilisierten seine Rückseite mit schützendem Polyestervlies und Karton.

Auf dem Foto sieht man in einer Detailansicht wie ein Gemälde der Kunsthalle Karlsruhe mit Luiftkissen angehoben wird.
Auf dem Bild ist das Gemälde "Gastmahl des Plato" von Anselm Feuerbach zu sehen. Davor steht ein Spinnenkran.
Man sieht, wie das großformatige Gemälde "Gastmahl des Plato" von der Wand abgehängt wurde und auf einer Holzkonstruktion steht.
Auf dem Foto sieht man einen Kran der einen Rahmen eines großen Gemäldes hält. Der Rahmen wird gerade demontiert und für den Transport vorbereitet.
Eine Transportkiste steht offen bereit. Daneben steht das Gemälde, was darin verpackt werden soll.
Auf dem Foto sieht man, wie ein großes Gemälde der Kunsthalle Karlsruhe gerade in eine Kiste verpackt wird.

Ähnlich wie mit dem Gastmahl des Plato wurde im Vorfeld auch mit den anderen drei Großformaten verfahren, die in thermoisolierte Holzkisten gehoben und darin fest fixiert wurden. Während des gesamten Transports boten sie den Gemälden nicht nur Stabilität und Schutz vor mechanischen Beschädigungen, sondern dienten auch zum Ausgleich von Klimaschwankungen hinsichtlich der Temperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit.

Inzwischen sind die Gemälde sicher in ihrem Interimsdepot angekommen. Der Umzug der Großformate ist beendet, das Team ist erleichtert und kann sich nun neuen Aufgaben widmen. Und die Gemälde warten auf ihre Rückkehr in die dann frisch sanierte Kunsthalle.

Sarah Massumi, 5. April 2024

Von der Wand ins Netz, oder: Wie die Kunst ins Internet kommt

Der Louvre hat eine. Die National Gallery in London auch. Das Rijksmuseum in Amsterdam, die Staatlichen Museen zu Berlin, die Nationalgalerie in Prag, der Prado in Madrid und natürlich erst recht das Metropolitan Museum of Art in New York – sie alle haben das, was man heutzutage von Museen ab einer gewissen Größe als „Grundausstattung“ erwarten darf: eine Onlinesammlung.

Seit der Neuzuschreibung von rund 300 Zeichnungen an die römische Werkstatt von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) im Jahr 2014 hat sich viel getan. Stetig wachsen die Onlinesammlungen der Museen, durch die ihre Bestände auf eine völlig neue Art sichtbar und – zumindest virtuell – erfahrbar werden können. Auch Werke, die zuvor nur einem kleinen Kreis von Spezialist*innen bekannt waren, sind heute weltweit, jederzeit und von jeder Person mit Internetzugang zu betrachten und zu studieren. Die Corona-Pandemie steigerte zudem die Bereitschaft, digital miteinander zu kommunizieren und – alleine vor dem heimischen Bildschirm – mit einer großen Gruppe Bilder zu teilen, sie gemeinsam zu untersuchen und über sie zu diskutieren, ganz egal, ob man sich in New York, Paris oder Karlsruhe befindet. Bei ausreichend hoher Auflösung der Abbildungen kann man sogar zusammen in ein Werk zoomen und kollektiv Dinge entdecken, die sich analog vor dem Original und unter dem Mikroskop lediglich einer einzigen Person erschließen würden. Das sind nur einige der vielen Beweggründe, weshalb wir uns bei der Aufbereitung der Ergebnisse des DFG-geförderten Forschungsprojektes für die Publikation als Datenbank mit explorativem Ansatz entschieden haben.

Teamarbeit damals wie heute

In der traditionellen Zeichnungsforschung haben sich kennerschaftliche Autoritäten, mit speziellem Fachwissen zu einzelnen Künstlern, meist individuell ausgebildet: zwischen Original und Forscher*in. Natürlich tauschte man sich in Fachkreisen aus, sowohl persönlich als auch schriftlich – in allen großen Sammlungen haben sich auf den Passepartouts oder Kartonträgern die zarten Bleistiftkommentare von Expert*innen mit ihren Zuschreibungen und Verweisen zu den jeweiligen Originalen erhalten. Diese handschriftlichen Vermerke von berühmten Kunsthistoriker*innen aus verschiedenen Zeiten sind ein großer Schatz und durchaus berührend, wenn man die Werke analog studiert. Methodisch scheinen die sich durch digitale Publikationsformen ausbreitenden Sammlungskenntnisse jedoch eher kollaborative Arbeitsformen zu unterstützen. Das ist eine ausgesprochen demokratisierende Methodenentwicklung, die neue Ideen, Interessen, Perspektiven und Fragestellungen generiert. Innovation erfolgt dabei nicht mehr nur durch eine Einzelperson als vielmehr im Team, das im Idealfall in einem gleichberechtigten Austausch seine Vorstellungen, Gedanken und Anregungen entwickelt.

Ein Titan der Kunstgeschichte: Giovanni Battista Piranesi

In der Entstehung unserer Datenbank zu den Zeichnungen aus Piranesis Werkstatt war und ist dieser Teamgedanke in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: Die Blätter selbst stammen aus der Werkstatt eines der großen Titanen der Kunstgeschichte: Giovanni Battista Piranesi war eine wegweisende und bis heute vielfach rezipierte Autorität in der Gattung der Romansichten und der Antikendarstellungen, aber auch der Architekturfantasien und der Kunst der Radierung. Mehr als tausend gedruckte Darstellungen stammen von diesem außergewöhnlichen Künstler, der neben seiner Tätigkeit als Druckgrafiker und Verleger auch Archäologe, Antikenhändler, Architekt und Architekturtheoretiker war. Seine künstlerische Genialität und sein Ideenreichtum waren überragend. Laut seines ersten Biografen Jacques-Guillaume Legrand (1753-1807) äußerte sich der Künstler einst selbst über seine überbordende Kreativität: „Ich muss neue Ideen hervorbringen, und ich glaube, wollte man mir den Plan eines neuen Universums auftragen, ich wäre Narr genug, ihn zu entwerfen.“

 

Abbildung einer Architekturphantasie mit Brücken und Triumphbögen von Giovanni Battista Piranesi.

Teamarbeit – im 18. wie im 21. Jahrhundert

Doch bei aller individuellen Schöpferkraft: Natürlich konnte er diese gewaltige Produktion nicht alleine stemmen! Natürlich brauchte er dafür ein Team, das ihm Motive und Vorlagen lieferte, die seine Imagination anregten und die er weiter verwertete. Und hier kommen die Karlsruher Blätter ins Spiel: Die meisten zeigen antike Architekturreliefs, ornamentale Details oder Studien nach römischen Plastiken, von mehreren Mitarbeitern Piranesis manchmal direkt nach den antiken Monumenten abgezeichnet. Viele Blätter weisen Spuren von unterschiedlichen Kopier- und Pausverfahren auf, die uns heute erahnen lassen, wie zahlreich und geschäftig die Gruppe an Zeichnern und Zeichnerinnen (Piranesis Tochter Laura, geboren wohl um 1755 und gestorben im Jahr 1785, war auch dabei) in Piranesis Werkstatt gewesen sein muss. In einem Zeitalter vor der Erfindung der Fotografie waren die Künstler*innen erfinderisch in ihren Methoden zur Vervielfältigung und Übertragung von Motiven. Auf den Blättern tragen sowohl die unterschiedlichen Strichbilder, Linienführungen und Beschriftungen als auch die verschiedenen Papiere, Ölflecken, Stecknadellöchlein oder Griffelspuren zahlreiche Informationen, die nicht nur von einem großen Arbeitskollektiv aus dem 18. Jahrhundert erzählen, sondern heute in einer engen Zusammenarbeit von Forscher*innen der Kunstgeschichte und der Restaurierung ausgewertet worden sind. Denn Inhalt und Material sind in diesen Objekten untrennbar miteinander verwoben, erst ihre gemeinsame Betrachtung enthüllt die Entstehungs- und Nutzungsgeschichte der Blätter. Teamarbeit – im 18. wie im 21. Jahrhundert!

Für die Forscher*innen sind diese gemeinsamen Untersuchungen spannend, ja regelrecht beglückend und tragen erheblich zum gegenseitigen Erkenntnisgewinn bei. Doch befinden wir uns in einem Museum, das sowohl zu einer Veröffentlichung seiner wissenschaftlichen Forschungen verpflichtet ist als auch zu einer Publikationsform, die nicht nur für Expert*innen interessant ist. Und es ist ein inspirierender Prozess, zu überlegen, wie die eigene Faszination an einem sehr speziellen Thema, das auch in der Fachwelt abseits des Mainstreams liegt, auf andere übertragen werden kann – wie der Funke überspringen könnte…

Herausforderungen in der vielschichtigen Vermittlung

Die Objekte waren eine Herausforderung: Großformatige, etwas abgegriffene und fleckige Bände, ausgeschnittene und wieder eingeklebte Zeichnungen, ornamentale, sich ähnelnde Motive, die für sich genommen erst einmal keine Geschichte erzählen. Nur im Kontext vermag sich die Vielfalt ihrer Bedeutungsebenen erschließen. Daher galt es auch hier, in einer Teamarbeit Lösungen zu finden! Externe und interne Kolleg*innen aus dem Forschungsprojekt und mehrere Abteilungen der Kunsthalle (Sammlung und Wissenschaft sowie Kommunikation mit u.a. Digital Management) feilten gemeinsam an einer Präsentationsform der Datenbank, die sowohl den wissenschaftlichen Standards als auch dem Vermittlungsauftrag des Museums gerecht werden musste – und dabei natürlich den finanziellen Rahmen nicht sprengen durfte.

So beginnt der Einstieg mit einem kurzen Clip, der das Blättern durch eines der beiden großen Alben zeigt und so den (nicht immer einfachen) Umgang mit den analogen Objekten vermittelt. Beim Hinunterscrollen ist das Eintauchen in unsere Bände über drei Zugänge möglich: die Einzelwerke, Highlights oder Essays. Mit einem Klick gelangt man zu einem Überblick über alle enthaltenen Zeichnungen, die zahlreiche Wissensebenen enthalten: Technische Angaben und umfassende Analysen aus der Kunstgeschichte und der Materialtechnologie ermöglichen in klarer inhaltlicher Ordnung eine vertiefte Lektüre zu jedem einzelnen Blatt, wobei die jeweilige Position einer Zeichnung innerhalb des Klebebandes rasch ermittelt werden kann. Über ein Buchsymbol gelangt man zu den aufgeschlagenen Albumseiten, durch die digital geblättert werden kann, um sich einen generellen Eindruck über den Inhalt beider Bände zu verschaffen. Für jede Doppelseite und jede einzelne Zeichnung wurde darüber hinaus ein kurzer Teasertext verfasst. Dieser hält zu Erscheinung und/oder Inhalt des Gesehenen einige Informationen bereit, die auch ohne Fachwissen verständlich sind. Wo kam ein Relief her, wer hat auf das Blatt geschrieben, was sind das für Flecken, was ist eine Soffitte? Zu vielen Fachbegriffen wurde zudem ein Glossar erarbeitet. In die hoch aufgelösten Abbildungen kann hineingezoomt werden, so dass viele mit dem bloßen Auge kaum zu erkennende Spuren deutlich zu sehen sind – und schließlich werden zu jedem Blatt mindestens sieben unterschiedliche Aufnahmen angeboten: Neben dem normalen Auflicht und dem Durchlicht (in dem z. B. Wasserzeichen im Papier erkennbar sind) wurden unter verschiedenen Wellenlängenbereichen des elektromagnetischen Spektrums sogenannte multispektrale Bilddaten erzeugt, die Unterschiede zwischen den Materialien und historische Gebrauchsspuren sichtbar machen können. Der schnelle Wechsel zwischen diesen Aufnahmen verdeutlicht nicht nur, was bei einer gewöhnlichen Beleuchtung einer Zeichnung oft unsichtbar bleibt, sondern macht auch einfach Spaß. Wissenschaftliche Forschung und spielerischer Zugang verbinden sich zu unerwarteten Erkenntnisgewinnen. Weitere explorative Zugänge bieten auf jedem Einzelblatt die Mikroskop-Buttons: Sie führen zu Hotspots, die zusätzliche Informationen zu vergrößerten Ausschnitten bieten – eine Griffelspur, eine korrigierte Linie, ein besonderes Motiv… Last but not least: Ihre individuellen Kommentare – ehemals in Bleistift auf den Passepartouts – können die Expert*innen wie auch alle Kunstinteressierte für jedes Blatt digital abgeben, und kommentiert von der Redaktion erscheinen auch diese für alle sichtbar im Netz.

Foto des Klebebands 1, der zugeschlagen auf einer erhöhten Unterlage liegt.

Unsere Datenbank begann als Idee und entstand mit dem Wissen, der Erfahrung und der Arbeitskraft vieler externer und interner Kolleg*innen aus verschiedenen Fachbereichen. Ihre zahlreichen Funktionen und die in ihr enthaltenen, umfangreichen Forschungsergebnisse hätten in einer oder mehreren gedruckten Publikationen nicht abgebildet werden können. Erst die digitale Publikationsform macht diese in vielerlei Hinsicht besonderen Zeichnungen aus der Werkstatt Piranesis und das über sie entstandene Wissen allen Interessierten auf unterschiedliche Weise zugänglich. Zudem kann und soll die Datenbank auch zukünftige Erkenntnisse aufnehmen und ein Austauschforum bleiben: für alle – allein oder im Team.

Jetzt die Datenbank In Piranesis Werkstatt – Die Karlsruher Alben entdecken!

Sarah Massumi, 5. April 2024

Von der Wand ins Netz, oder: Wie die Kunst ins Internet kommt

Der Louvre hat eine. Die National Gallery in London auch. Das Rijksmuseum in Amsterdam, die Staatlichen Museen zu Berlin, die Nationalgalerie in Prag, der Prado in Madrid und natürlich erst recht das Metropolitan Museum of Art in New York – sie alle haben das, was man heutzutage von Museen ab einer gewissen Größe als „Grundausstattung“ erwarten darf: eine Onlinesammlung.

Unter der sprechenden Überschrift Collections, Sammlungen Online, Colección, Sammlung Digital u. v. m. wird hier das zentrale Herzstück der Institutionen – die Sammlung – Interessierten, Kunstliebhaber*innen, Bildungssuchenden und Forschenden weltweit virtuell zugänglich gemacht. Auch die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe ging im Dezember 2011 mit einem digitalen Katalog, dem Vorläufer der heutigen Sammlung Online, an den Start und baut diesen seitdem kontinuierlich aus. Denn eine solche virtuelle Repräsentation des Bestandes ist nicht nur in Zeiten von geschlossen Museumstüren (sei es aufgrund von langjährigen Gebäude-Sanierungen oder Pandemien) von unschätzbarem Wert.

Doch wie kommt die Kunst eigentlich ins Internet? Welche Stationen durchläuft ein Objekt in unserem Museum und wer ist alles daran beteiligt, bis ein digitales Abbild und die zugehörigen Informationen auf der Museumswebseite erscheinen?

 

Digitalisierung ist Teamwork

Wie auch die Ausstellung eines Museumsobjektes im realen Raum erfordert die Bereitstellung von Digitalisaten abteilungsübergreifendes Teamwork. Alles beginnt mit der Entscheidung, welche Werke oder Konvolute als erstes (oder als nächstes) bearbeitet und online gestellt werden sollen. Im Hinblick auf limitierte personelle und zeitliche Ressourcen setzen Direktion und Sammlungsleiter*innen die Prioritäten: welche Bestände sind von besonderem Interesse und sollten vorrangig aufgearbeitet werden? Gibt es vielleicht Konvolute, die aufgrund von Forschungsanfragen oder Ausstellungsvorhaben fotografiert und anschließend, mit hochaufgelösten Bildern, online gestellt werden können?

 

Der Weg der Objekte

Dann beginnt der Weg der Objekte durch das Museum. Die Depotverwalter*innen für Gemälde und Plastik bzw. für das Kupferstichkabinett transportieren die Kunstwerke von ihren angestammten Plätzen im Depot in das hauseigene Fotoatelier der Kunsthalle. Nicht selten ist hierbei auch der Einsatz weiterer Kolleg*innen und/oder der Restaurator*innen notwendig. Denn großformatige Objekte, alte illustrierte Bücher, brüchiges Papier oder andere empfindliche Werke erfordern einen besonders umsichtigen Umgang und ein spezielles Setup, um im Bearbeitungsprozess nicht beschädigt zu werden.

Leider haben sich Museen ein bisschen von der Gesellschaft entfremdet, durch zu viele schlaue Worte und durch zu viel Brimborium.

Unsere beiden Fotograf*innen fertigen hochaufgelöste, digitale Fotografien von den Vorder- und Rückseiten der Gemälde und Papierarbeiten an, von dreidimensionalen Werken (also Skulpturen und Plastiken) werden mehrere Ansichten aufgenommen. Die Kolleg*innen stellen sicher, dass die Aufnahmen eine ausreichend gute Qualität sowohl für gedruckte Veröffentlichungen als auch für Onlinepublikationen aufweisen und farbgetreu sind. Ist dies erledigt, werden die Objekte wieder zurück an ihre Aufbewahrungsorte gebracht. Ein positiver Nebeneffekt: einmal fotografierte Werke werden langfristig geschont, da sie für eine Begutachtung nicht mehr jedes Mal bewegt werden müssen. Auch schwer zugängliche Kunst, die besonders unhandlich ist oder sich andernorts befindet, ist dadurch gewissermaßen einfacher erreichbar.

 

Das Wissen über die Objekte

Die digitalen Aufnahmen werden anschließend in der internen Sammlungsdatenbank Imdas Pro abgelegt bzw. mit dieser verknüpft. Eine Museumsdatenbank stellt nicht nur für die Onlinesammlung das grundlegende Werkzeug dar: Das zuvor analog auf Inventarbücher, Karteikarten, Standortkarteien, Bildakten und Literatur verteilte Wissen über die Kunstwerke wird hier zentral, strukturiert und idealerweise so vollständig wie möglich abgelegt. Dokumentar*innen, Kurator*innen, Provenienzforscher*innen, Restaurator*innen, Registrars, Depotverwalter*innen – sie alle geben Informationen ein, pflegen, prüfen und korrigieren die Daten und greifen bei ihrer täglichen Arbeit darauf zurück. In der Kunsthalle Karlsruhe begann die Arbeit mit der Sammlungsdatenbank (passenderweise) mit Adam und Eva: Albrecht Dürers Kupferstich von 1504 war im Jahr 2001 das erste Werk, das mit einem Datensatz in Imdas Pro erfasst wurde.

Die wahre Challenge ist es, simpel zu formulieren und trotzdem schlaue Inhalte rüber zu bringen.

Mit Kraft, Augenmaß und Fingerspitzengefühl

Jeden Handgriff dieses konservatorischen und logistischen Großprojektes hatten Nele Bordt und ihr Team im Vorfeld mit Unterstützung der Ausführenden sorgfältig durchdacht und geplant. Es ist alles perfekt vorbereitet. Auch die Wetterverhältnisse in dieser Septembernacht sind mit mäßigen Temperaturen nahezu ideal – es regnet nicht und vor allem weht kein Wind. Er würde die schweren Holzkisten mit ihrer wertvollen Fracht unkontrolliert zum Kippen bringen – der Auszug der Großformate hätte dann verschoben werden müssen. Neben Anselm Feuerbachs Gemälde verlassen im Dunkel der Nacht drei weitere großformatige Historienbilder aus dem 19. Jahrhundert ihren angestammten Platz in der Kunsthalle: Die Disputation zwischen Luther und Eck von Carl Friedrich Lessing, der sogenannte Türkenlouis von Ferdinand Keller und das Gemälde Konradin von Hohenstaufen von Anton Werner. Diese Gemälde haben die Kunsthalle seit ihrem Einzug bislang so gut wie nicht verlassen. Die Maße der gerahmten Ölgemälde, die damals vermutlich in gerolltem Zustand in die Kunsthalle eingezogen waren, bewegen sich zwischen 3,10 und 6,28 Meter.

Ihr Auszug in den sperrigen, klimastabilen Transportkisten gleicht einer Herkulesaufgabe.

Kunst ist ja sinnlos. Wir könnten ohne sie leben, aber dann wäre das Leben nicht so schön und bunt und interessant.

Konservatorische Vorbereitungen

Bevor die Großformate ihre Reise antreten durften, war ihr Erhaltungszustand von den Restaurator*innen präzise analysiert und in Einzelheiten fotografisch festgehalten worden. Dann folgte bei Bedarf die punktuelle Festigung der Malschichten mit einem speziellen Klebemittel, um die Gemälde aus konservatorischer Sicht transportfähig zu machen und Beschädigungen vorzubeugen. Die Demontage der Bilder von den Museumswänden sowie die Abbaulogistik erfolgte nach einem streng ausgearbeiteten und durchgetakteten Plan: Bislang von einem Granitsockel im Feuerbachsaal gestützt, wurde etwa Das Gastmahl des Plato mittels Elektrohubwagen langsam und vorsichtig von der Wand gehoben. Das Gemälde war zuvor mit aufblasbaren Luftkissen unterlegt und etwas angehoben worden, um insbesondere Verletzungen des Rahmens zu verhindern. Während der Demontage verhinderten viele helfende Hände und verschiedene technische Hilfsmittel das Kippen des gerahmten Bildes, das dann auf zwei mobile Holzgerüste gestellt wurde. Anschließend lösten die Restaurator*innen das Gemälde aus seinem Rahmen und stabilisierten seine Rückseite mit schützendem Polyestervlies und Karton.

Sarah Ball, 25. Juni 2022

Coding da Vinci 2022: Wie ein Kulturhackathon verbindet und vermittelt

Es ist das Zusammenspiel zwischen Kultur und Technik, das Coding da Vinci so besonders macht. Im Rahmen des Kulturhackathons stellte die Kunsthalle exklusive Daten des mehrjährigen Piranesi-Projekts einer technikaffinen Community zur freien Verfügung. Das Ergebnis: Ein spannendes Projekt und ungeahnte Perspektiven.

Coding da…“ – Was? Sammlungsbestände von Museen und Kulturinstitutionen gehören der Gesellschaft: Diesem Prinzip bedient sich auch der Kulturhackathon Coding da Vinci und lädt sowohl Museen als auch Software-Entwickler*innen, Hacker*innen, technikaffine Kreative und Kulturinteressierte ein, aus offenen Kulturdaten gemeinsam digitale Projekte zu schaffen. Doch was kann man unter offenen Kulturdaten verstehen? Beginnen wir von vorne …

Der Ablauf

Am Anfang der Teilnahme der Kunsthalle an Coding da Vinci stand die Vorbereitung der Daten: Die Wahl fiel dabei auf einen Teil der Datensätze des umfassenden Piranesi-Forschungsprojektes. Damit wurde ein umfangreiches Konvolut architektonischer Motive mit ausführlichen Meta-Daten zur Verfügung gestellt. Sowohl die Daten als auch die Bilder sind, wie der Großteil der Werke der Online-Sammlung, gemeinfrei unter CC0-Lizenzen zugänglich und können ohne Einschränkungen verwendet werden.

Das Bild zeigt eine Architekturzeichnung. Darüber steht der Schriftzug Architektur neu erleben und das Logo der Kunsthalle Karlsruhe

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Einen Einblick in die ausführlichen Daten gibt ein kurzes Video, das auf dem YouTube-Kanal von Coding Da Vinci angesehen werden kann.

Anfang Mai startete Coding Da Vinci offiziell mit einem großen Kick-Off-Wochenende im ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, bei dem Museen und Kulturinstitutionen sowie die Teilnehmer*innen zusammenkamen. Es wurden Daten vorgestellt, ausgewählt, Gruppen formiert, kennengelernt, Daten interpretiert, gegessen, getrunken und kreative Ideen ausgetauscht. Auch die Daten des Piranesi-Projekts der Kunsthalle stießen auf Begeisterung.

Im Anschluss an das Kick-Off-Wochenende folgte eine mehrwöchige Sprintphase, in der die Teilnehmer*innen das Projekt ihrer Wahl im Austausch mit den Kulturinstitutionen weiterentwickelten. Der Hackathon ist mittlerweile abgeschlossen. In Eigeninitiative arbeiten die zwei Gruppen, die sich den Piranesi-Datensätzen annahmen noch weiter an der Entwicklung ihrer Projekte.

Übrigens: Die Daten der Kunsthalle und der anderen Institutionen sind weiterhin auf der Website von Coding Da Vinci verfügbar und können auch unabhängig vom mehrwöchigen Hackathon genutzt und verarbeitet werden.

Kunstwerke anders gedacht

Coding Da Vinci ist eine andere, eine neue Art der Kunstvermittlung. Während die klassische Kunstvermittlung vor allem durch die kunsthistorischen Interpretationen der Werke geprägt ist, geht es beim Kulturhackathon um das Gegenteil. Ähnlich wie beim Digital-Projekt Art of  der Kunsthalle werden die Teilnehmer*innen dazu eingeladen, die Daten bzw. Kunstwerke auf eine ganz neuartige Weise zu interpretieren und in neue Kontexte zu setzen.

Aufgrund dieser intensiven Auseinandersetzung kann sowohl Coding Da Vinci, als auch die Projektergebnisse als eine Form der Vermittlung angesehen werden – von der nicht nur die Teilnehmer*innen, sondern sicherlich auch die Institutionen in hohem Maße profitieren können.

Auch bei den Piranesi-Daten der Kunsthalle konnte eine große Diskrepanz des vorgestellten Inhaltes zu den später erarbeiteten Projekten festgestellt werden, die verdeutlicht, wie facettenreich und alles andere als trivial Perspektiven und Interpretationen sind. So entstand aus der ursprünglichen Kunsthallen-Idee aus den Daten eine Art Erkennungs-App für Architektur-Elemente zu entwickeln, u. a. der Gedanke, ein Spiel zu entwickeln, in dem der Geist Piranesis durch seine Werkstatt führt. Letztendlich eine hervorragende und niederschwellige Form der Vermittlung des Projekts.

Ein Mann zeichnet auf ein großes Plakat und verbildlicht somit die vorgestellten Ideen der Veranstaltung.

Coding Da Vinci als Chance

Mit dem Kulturhackathon bot sich der Kunsthalle eine weitere Möglichkeit zur Vernetzung und Verknüpfung mit anderen Bereichen. Es ist immer wieder bereichernd und gewinnbringend, aus der eigenen Komfortzone des Museums zu treten, in „andere Welten“ einzutauchen und Inspiration für die Digitalisierung der Kunstinhalte zu sammeln. Es ist spannend zu sehen, wie die Teilnehmer*innen die Kunst aufnehmen und es ermöglicht Berührungspunkte zur eigenen Zielgruppe.

Ein weiteres Learning ist es, als Kulturinstitution mehr in Richtung Maschinenlesbarkeit zu denken, um weiterhin mit digitalen Angeboten mit dem Zahn der Zeit mithalten zu können. Coding Da Vinci hat erneut einen tollen Blick auf das Digitale als ein absolut gleichwertiges Pendant zum Analogen geworfen und die Dringlichkeit hervorgehoben, einen niederschwelligen und nicht stigmatisierten Zugang zu Kunst zu ermöglichen.

Dr. Heidi Pfeiffenberger, 11. Juli 2020

Making of „Art of“

Viele Projekte haben eine lange Vorlaufzeit, die dann oft wie im Flug vergeht. So war es auch beim neuesten Digitalprojekt der Kunsthalle: Rund 18 Monate haben wir intensiv an Art of gearbeitet. Und jetzt geht in wenigen Tagen der erste Baustein online. Wow.

Das Konzept

Was unter dem Arbeitstitel Deine Kunsthalle 24/7 in Planung ging, wurde nun Schritt für Schritt weiterentwickelt und detailliert konzipiert. Die Kunsthalle Karlsruhe hatte sich mit diesem Projekt das Ziel gesetzt, ein digitales Angebot für eine jüngere nicht-museumsaffine Zielgruppe zu entwickeln.
Aber was heißt das konkret? Unter der jüngeren Zielgruppe verstehen wir Personen zwischen 22 und 27 Jahren, bei denen ein Besuch im Kunstmuseum bisher nicht ganz oben auf der Liste der Freizeitbeschäftigungen steht. Neben der Zielgruppe waren auch Art und Mehrwert der Anwendung klar definiert: eine mobile first Website, die sich dauerhaft in das digitale Angebot der Kunsthalle integrieren lässt und den User*innen unterhaltsame Zugänge zu den Kunstwerken der Kunsthallen-Sammlung ermöglicht.

Die Website besteht aus drei Bausteinen, die sich ganz wunderbar unter dem Titel Art of zusammenfassen lassen:

Art of Wasting Time – mit Kunstwerken mehr über die eigene Persönlichkeit, Launen oder Vorlieben erfahren.
Art of Creating Stuff – selbst mit den Kunstwerken der Kunsthalle kreative Collagen erstellen und eigene Produkte gestalten.
Art of Chit-Chatting – Hintergrundgeschichten aus dem Museum und ungewöhnliche Details zu Kunstwerken erfahren.

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Der Werkzeugkoffer

Was so spielerisch klingt, war für das Team ein hartes Stück Arbeit mit viel Kreativität und Mut zur Offenheit. Zahlreiche teaminterne Brainstorming-Sessions, kreative Workshops mit externen Partner*innen – darunter auch Anke von Heyl – und stundenlange Gespräche mit der Fokusgruppe verhalfen uns zur finalen Konzeption.
Unsere Fokusgruppe, ein ausgewählter Kreis nicht-museumsaffiner Personen zwischen 22 und 35 Jahren, stand uns hierbei mit Rat und Tat zur Seite. Look and Feel, Naming, Design, UX und Content wurden hierbei ausgiebig unter die Lupe genommen, getestet, kritisiert und gelobt. Für uns bedeutete das Erkenntnisgewinn und Inspiration, aber auch die ein oder andere lehrreiche und arbeitsintensive Korrekturschleife.

Der Inhalt – offen, anders, kreativ

Die Basis von Art of bilden die Kunstwerke der Kunsthallen-Sammlung, die unter www.moodfor.art
bald auf neue Weise entdeckt werden können. Hierbei werden Fashion, Lifestyle und Alltagskultur – ganz alltägliche Themen und Interessensgebiete – mit Kunst kombiniert. Was haben Bärte, Mode, Essen, Inneneinrichtung oder Tattoos mit Kunst gemeinsam? Genau diesen und ähnlichen Fragen sind wir nachgegangen und haben die drei Formate Art of Wasting Time, Art of Creating Stuff und Art of Chit-Chatting entwickelt.

Umgesetzt werden konnte das alles dank der Unterstützung durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, das ein passendes Förderprogramm mit dem Titel Digitale Wege ins Museum II aufgelegt hatte.

Dr. Johanna Scherer, 31. Januar 2020

Der „digitale Hochaltar“: Eintauchen in Baldungs Bilderwelten

Das faszinierend selbstbewusste Selbstbildnis Hans Baldung Griens ist nur eines der zahlreichen spannenden Details, die auf seinem Hauptwerk – dem 1516 geschaffenen Hochaltar im Freiburger Münster entdeckt werden können.

Der wandelbare Altaraufsatz, der sich nach wie vor an seinem ursprünglichen Aufstellungsort im Chor des gotischen Kirchenraums in Freiburg befindet, war der bedeutendste Auftrag in der Karriere des Renaissance-Malers. Er zählt zu den wichtigsten Altarwerken in der deutschen Malerei Anfang des 16. Jahrhunderts.

Um dieses zentrale Werk Baldungs in der Großen Landesausstellung in seiner Vielfalt und Detailtiefe zugänglich machen zu können, entschied sich das Baldung-Team schon früh für eine digitale Adaption des Altars.

Während die originalen Altartafeln im Freiburger Münster meist nur aus einem recht großen Abstand heraus betrachten werden können, gibt der digitale Hochaltar in der Baldung-Ausstellung den Besucher*innen die Möglichkeit, das Werk bis ins kleinste Detail zu erkunden und vollständig in Baldungs Bildwelten einzutauchen.

Als wissenschaftliche Volontärin im kuratorischen-Team war ich für die inhaltlich-konzeptionelle Entwicklung des digitalen Exponats verantwortlich. Für mich war die Zusammenarbeit mit den Projektbeteiligten ein sehr spannender Prozess, bei dem die unterschiedlichen Perspektiven und Kompetenzen, insbesondere die technischen und kunsthistorischen, produktiv zusammenwirken konnten. Hier wurde u.a. die intuitive Nutzungsoberfläche ausführlich diskutiert.

Abbildung des digitalen Hochaltars in der Großen Landesausstellung Hans Baldung Grien. Davor stehen zwei Personen und betrachten eine Installation.

Das Ergebnis ist ein imposanter Touchscreen, auf dem die Ausstellungsbesucher*innen über ein Navigationsfeld die unterschiedlichen Zustände des Wandelaltars aufrufen können: Den geöffneten – der ist normaler Weise nur zur Weihnachtszeit in Freiburg zu sehen – und den geschlossenen Zustand, aber auch die bemalte Rückseite. Auf diese Weise wird die Wandelbarkeit des Altars durch die Klappflügel verdeutlicht. Zudem können Besucher*innen schrittweise immer tiefer in das Werk eintauchen, indem die einzelnen Tafeln der geöffneten und geschlossenen Vorderseite und die der Rückseite ausgewählt werden können und so zahlreiche Details zur Auswahl angeboten werden. Auch kurze Texte zur Einordnung werden stets bereitgestellt. Nutzer*innen können aber auch völlig frei über den Touchscreen ins Bild zoomen und auf eigene Faust faszinierende Details finden. Mein Lieblingsdetail ist einer der zahllosen kleinen Engel der Marienkrönung, der neugierig unter dem Mantelzaum der Maria hervorlugt.

Ohne die tatkräftige Unterstützung des Projekts durch die Erzdiözese Freiburg wäre das Exponat in seiner jetzigen Form nicht umsetzbar gewesen: Spontan erklärte man sich in Freiburg nämlich bereit, neue, extrem hochauflösende Fotografien des Werks anzufertigen. Insbesondere aufgrund der schwer zugänglichen Rückseite des Altars ist dies kein leichtes Unterfangen. Dass sich der Aufwand gelohnt hat, zeigen die begeisterten Reaktionen der Besucher*innen, von denen auch die Kolleg*innen im Aufsichtsdienst der Ausstellung zu berichten wissen. Aus diesem Grund freuen wir uns ganz besonders, dass der digitale Hochaltar, der durch Erzbischof Hermann Stiftung finanziell unterstützt wurde, auch nach der Karlsruher Ausstellung weiterhin gezeigt wird: Nämlich im neu entstehenden Münsterforum, direkt hinter dem Freiburger Münster, das im April 2020 eröffnet wird.

Florian Trott, 13. Oktober 2019

Von der Kunst, sich zu verändern

Über Digitalisierung im Kulturbereich wird viel gesprochen. Zahlreiche Tagungen und Konferenzen befassen sich mit den unterschiedlichsten Aspekten dieser Herausforderung.

Was sie gemeinsam haben: Die Feststellung, dass es notwendig ist, sich zu verändern – als Kulturinstitution, als Mitarbeiter*in, als Leiter*in.

Mit genau dieser Herausforderung beschäftigt sich auch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, das im Rahmen des großangelegten Dialogprozesses Kulturpolitik der Zukunft zu einer Tagung mit dem Titel Die Kunst sich zu verändern. Digitalität und Kultureinrichtungen ins ZKM | Zentrum für Kunst und Medien eingeladen hatten. 

In ihrer Einführung berichtete Ministerin Theresia Bauer, dass sie derzeit an vielen unterschiedlichen Veranstaltungen teilnehme, die im Kern alle von der Kunst, sich zu verändern, handelten. Egal ob Ingenieur*innen, Mediziner*innen oder eben Kulturverantwortliche – alle müssten sich offensiv mit den Veränderungen auseinandersetzen, die die digitale Transformation mit sich bringt, vor allem mit Blick auf die Zukunft. Auch für Kultureinrichtungen ist es wichtig, dass diese die Veränderungen reflektieren und sich so aufstellen, dass sie morgen noch als öffentliche Orte attraktiv und somit relevant für die Gesellschaft sind. Damit waren nicht nur das Thema, sondern auch die Erwartungen an den Tag gesetzt! 

Ein Impulsvortrag vom Leiter der Abteilung Social Media / Innovation der Süddeutschen Zeitung verdeutlichte den Teilnehmenden mit einem Zwölf-Punkte-Plan, was digital mutige Menschen auszeichnet. Daran knüpften anschließend Workshop-Einheiten an, die thematisch breit angelegt waren und Fragen nach neuen Organisations- und Arbeitsformen im 21. Jahrhundert ebenso aufgriffen wie Kommunikationsmethoden, Visionsentwicklung oder den Einsatz von KI. 

Das breiteste Diskurspotenzial sollte die Coaching-Methode road to hell erzeugen: Alle Teilnehmer*innen, die aus den unterschiedlichsten Bereichen verschiedener Kultureinrichtungen und -Verwaltungen stammten, waren aufgefordert, in spartenspezifischen Kleingruppen einen Weg von der road to hell zur road to heaven zu finden, um zu verhindern, dass Kultureinrichtungen in 20 Jahren gesellschaftlich abgehängt und irrelevant geworden sind. (Dies war das vorgegebene Ausgangsszenario für die Kleingruppenworkshops.)

Was macht sie nun aus, die Kunst sich verändern zu können? Die aus unserer Sicht wichtigsten Aspekte des Tages im ZKM lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

  • Zu erwarten war die Forderung nach mehr Personal und mehr Geld. Ob dies global berechtigt ist, wäre zu hinterfragen und zu diskutieren. In den Gesprächen konnten vereinzelt auch Stimmen vernommen werden, die die Auffassung vertraten, vorhandene Ressourcen müssten einfach nur anders bzw. besser eingesetzt werden. 
  • Gefordert wurden auch „Digitalmanager*innen“ – sicher keine schlechte Idee. Ob es für eine Einrichtung insgesamt zielführend ist, wenn die Verantwortung für digitale Themen bei einer einzelnen Person gebündelt wird, erscheint fraglich. Wir sind der Überzeugung, dass die digitale Transformation einer Kultureinrichtung nur gelingen kann, wenn das ganze Team dies als Aufgabe begreift und mutig angeht. 
  • Wir müssen die Museumsblase verlassen! Wichtig ist es, neue Perspektiven einzunehmen, und offen zu sein, für Impulse anderer. Notwendig sind Querdenkertum und interdisziplinäre Teams!
  • Wir brauchen viel Mut: für neue Perspektiven, für wirklich neue Wege; Mut, auch scheitern zu können.
  • Innovationspotenziale sollen freigesetzt werden, indem agil und iterativ gearbeitet wird. Dafür bedarf es einer neuen Arbeitskultur und neuer Arbeitsstrukturen. Führung, Organisation und Arbeitsprozesse sollen möglichst flexibel und effizient gestaltet werden. Voraussetzungen dafür sind Freiräume und Zeit.
  • Für modernes zeitgemäßes Arbeiten notwendig ist natürlich die entsprechende technische Infrastruktur. 
  • Weiterbildungen: Wir wollen sofort mutig mit dem Lernen beginnen, weil wir uns schnell weiterentwickeln wollen und müssen. 

Klar geworden ist, dass die digitale Transformation ein großes Maß an Veränderungsfähigkeit fördert und fordert, von der Organisation und von allen Kolleg*innen. Welche Ergebnisse lieferte der Tag noch? Wir brauchen mehr Überforderungsbewältigungskompetenz, denn: 

 

Überforderung ist kein Problem, sondern der Default-Modus unserer Zeit.
(Dirk von Gehlen)

Tabea Schwarze, 8. August 2019

Was User*innen von Museen erwarten

Als Mitarbeiter*in einer Kommunikationsabteilung analysiert man für die unterschiedlichsten Projekte Zielgruppen und versucht sich in diese hineinzuversetzen, um so Konzepte optimal entwickeln und umsetzen zu können.

Da man aber auch der Gefahr ausgesetzt ist, sich in einer Echokammer zu befinden und das erst beim Launch des Projektes zu bemerken – das Angebot also an der Zielgruppe vorbei zu entwickeln – entschieden wir uns bei der Vorbereitung des Konzeptes für das Förderprogramm Digitale Wege ins Museum II dazu, unser Vorhaben der anvisierten Zielgruppe vorzustellen und die Rückmeldungen in die weitere Ideenentwicklung einfließen zu lassen.

In einer abgewandelten Form der Fokusgruppenbefragung sprachen wir mit zehn Personen unserer Zielgruppe. Diese waren zwischen 25 und 35 Jahre alt und u.a. definiert als nicht zwangsläufig museumsaffin, aber keineswegs kulturfern, berufstätig und einen aktiven Lifestyle pflegend.

Nachfolgend wollen wir sieben Learnings teilen, die wir aus der Fokusgruppenbefragung mitgenommen haben.

  1. Miteinander zu sprechen hilft immer
    Egal mit welchen schlüssigen Methoden und Vorgehen versucht wird, sich in eine Zielgruppe hineinzuversetzen und wie vermeintlich nah man sich an dieser befindet: Nichts kann das ehrliche Gespräch mit dieser ersetzen. Die so gewonnenen Einblicke und Erkenntnisse nutzen zudem für ein tiefer gehendes und weiter reichendes Verständnis der Zielgruppe.
  2. Faszination des Blicks hinter die Kulissen
    Für die Akteur*innen des Kulturbetriebs erscheint es wie ein alter, kaum mehr interessanter Hut. Die Gespräche der Fokusgruppenbefragung zeigten aber einmal mehr, dass das Interesse für die unterschiedlichen Bereiche und Aspekte der Museumsarbeit, die nicht in der Öffentlichkeit stattfinden, ungebrochen ist.
  3. Den Dialog ernstnehmen
    Ob potenzielle, digitale oder analoge Besucher*innen: Eine gelungene Kommunikation besteht aus Zuhören und Sprechen. So sollte auch die zwischen einer Kultureinrichtung und den verschiedenen (potenziellen) Besuchergruppen funktionieren. Immer wieder wurde im Kontext der Fokusgruppenbefragung erwähnt, wie wichtig es den einzelnen Akteur*innen ist, in diesen Austausch zu treten.
  4. Partizipation – mehr als nur ein Buzzword
    Die meisten Museen werden aus Steuermitteln finanziert. Entsprechend verständlich ist der Wunsch nach Mitbestimmung. Auch wenn es (noch?) nicht umsetzbar scheint, dass Ausstellungen künftig gemeinschaftlich erdacht und umgesetzt werden, gilt es hier neue Möglichkeiten der (ernstgemeinten) Partizipation zu finden, zu testen und umzusetzen.
  5. Menschen interessieren sich für Menschen
    Dies ist ein Fazit, das sich durch die gesamte Fokusgruppenbefragung zog. Spannend hierbei: Unsere Auswertungen aus dem Bereich der digitalen Kommunikation zeigen, dass sich zumindest unsere digitalen Besucher*innen stärker für Werke und deren Geschichten als für die der Museumsmitarbeiter*innen interessieren.
  6. Information is King
    Informationen und qualitative Inhalte zählen: Auch wenn im Digitalen der Fokus auf komprimierten Inhalten liegt, sollten diese deshalb keineswegs inhaltsarm sein. Die Zielgruppe vermittelte in den Gesprächen mehrfach den Wunsch, sich im Digitalen „nebenher“ mit wenig Zeitaufwand zu informieren und dazuzulernen. Dass diese Angebote unterhaltsam und / oder ansprechend dargeboten werden müssen, um ihren Weg zur Zielgruppe zu finden und von dieser wahrgenommen zu werden, ist selbstverständlich.
  7. Die Zeit der Experimente ist vorbei
    Für uns eine besonders erstaunliche Erkenntnis: Mehrfach wurde betont, dass im Digitalen nicht nach Experimenten gesucht werde. Die Befragten nutzten eher eine überschaubare Zahl an Anwendungen und verfolgt bei diesen auch die Neuerungen. Daraus werden Standards und Erwartungen abgeleitet, die andere, neue Anwendungen zu erfüllen haben. Für Kultureinrichtungen sollte dies eine große Herausforderung sein.

Was wir mit diesen Erkenntnissen gemacht haben?

Nach der Auswertungsphase haben wir unsere ursprüngliche Projektidee überarbeitet und die Zielgruppe enger und näher definiert. Auch wenn uns bewusst ist, dass dies nur ein kleiner, nicht repräsentativer Ausschnitt einer Zielgruppe war, helfen uns die Ergebnisse diese besser zu verstehen. Im Kontext des Projektes Digitale Wege ins Museum II, an dem wir aktuell im Hintergrund mit Hochdruck arbeiten, wird demnächst eine weitere Fokusgruppenbefragung mit dem aktuellen Projektstand und der enger gefassten Zielgruppe durchgeführt.

An die Kulturtussi Anke von Heyl geht an dieser Stelle ein großer Dank: Im Rahmen mehrerer Workshops hat sie uns in der Konzeptentwicklungsphase maßgeblich unterstützt und uns die Methode einer Fokusgruppenbefragung für dieses Projekt empfohlen.

Wie seht Ihr das? Was erwartet Ihr von Museen und Kultureinrichtungen?

Tabea Schwarze

Blogger*innen über die Kunsthalle

Seit vielen Jahren freuen wir uns über Eure Blogbeiträge über die Kunsthalle. Eine Auswahl aktueller und älterer Artikel findet Ihr ab sofort hier.

Ihr habt auch über die Kunsthalle gebloggt, findet aber Euren Beitrag nicht? Meldet Euch gerne in den Kommentaren, oder schreibt uns eine kurze Mail.
Die Auflistung der Beiträge drückt keine Unterstützung oder Einverständnis mit weiteren Inhalten auf den jeweiligen Blogs aus.

Anke von Heyl | Herbergsmütter: Jetzt Kunst Pflanzen. Interaktions-Impulse zu Inventing Nature der Kunsthalle Karlsruhe

Ute Vogel | Vogelsfutter: Inventing Nature – Kunsthalle Karlsruhe

Katja Neuhaus | Kultur in Karlsruhe: Inventing Nature – Pflanzen in der Kunst

Anke von Heyl | Kulturtussi: Inventing Nature. Pflanzen in der Kunst

Jasmin Olschewski | NIMSAJ: Inventing Nature – Pflanzen in der Kunst #supportyourlocals

Wibke Ladwig | Sinn und Verstand: Vom Wachsen und Werden und Vergehen: Pflanzen in der Kunst – Inventing Nature

Dr. Werner Telesko | Arts in Words: Karlsruhe | Staatliche Kunsthalle Karlsruhe: François Boucher

Angelika Schoder | mus.er.me.ku: Art of… Fokusgruppen als Ideengeber für Museen

Jaqueline Scheiber | minusgold: The Art Of – in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Karlsruhe

Anke von Heyl: Mood for Art – Ein Projekt der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe

Miriam Steinbach | Die Schreibmaschine: “‘Art of’ von der Kunsthalle Karlsruhe”

Herbergsmütter: Wenn zuhause die Kunst einzieht: #wastingtimewithart #kunsthalleathome

Caroline Schäfer | thearticle: Hans Baldung in Karlsruhe: Grien, Grien, Grien sind alle meine Farben

Cara | theothercara: Hans Baldung Grien – Kunsthalle Karlsruhe

André Dietenberger | Reise Blögle: Wer war Hans Baldung Grien?

Anke von Heyl | Kulturtussi: Große Schaulust: Hans Baldung Grien in der Kunsthalle Karlsruhe

Miriam Steinbach | Die Schreibmaschine: Heimat: Silvia Bächli & Eric Hattan in der Kunsthalle Karlsruhe

Jakob Siegmund | Kavantgarde: Silvia Bächli und Eric Hattan in der Kunsthalle Karlsruhe

Cara | theothercara: Silvia Bächli – Kunsthalle Karlsruhe

Marie Nasemann | fairknallt: Ist Fotografie Wirklichkeit?

Rolf Noergaard | Photo-Philosophy: Photographie und Malerei im 19. Jahrhundert 

Anke von Heyl | Kulturtussi: Der Raum zwischen den Streifen.

Angelika Schoder | mus.er.me.ku: Können Blogger und Instagrammer Museen bei der Kulturvermittlung unterstützen?

Miriam Steinbach | Die Schreibmaschine: Ein Nachmittag mit den Werken von Sean Scully in der Kunsthalle Karlsruhe

Michael Bauer | mikelbower: Nicht blinzeln

Herbergsmütter: Wir zieh’n, fallera

Sandra Bihlmaier | Living in Karlsruhe: The En Plein Air Exposition

Gudrun Heinz | Bernina Blog: K&M – Kunst und Mode

Alle Blogbeiträge zu der Blogparade #selfierade und den Blogger*innenreise #kbreise14 und #kbreise15 findet Ihr im Bereich Digital.

Newsletter

Auch während der sanierungsbedingten Schließung informieren wir Sie hier über die Geschehnisse hinter den Kulissen der Kunsthalle.